Die Hyperion-Gesänge

von Dan Simmons.

Die Welt in knapp 800 Jahren: die Menschheit hat sich vom zerstörten Heimatplaneten Erde entfernt und in der Galaxis angesiedelt. Mehrere hundert Welten sind zur Hegemonie zusammengeschlossen. Eine auf den ersten Blick phantastisch anmutende Kultur, die sogenannte Farcaster-Portale für instantane Reisen von Planet zu Planet nutzt und "Fatline"-Übertragungen für die Kommunikation in Echtzeit.
Sieben Pilger befinden sich am Vorabend eines galaktischen Krieges auf einer letzten Pilgerfahrt zum Planeten Hyperion, der Heimatstätte der mysteriösen Shrike-Kreatur, die von einigen als Gottheit vereehrt wird und von anderen als blutrünstiges Monster gefürchtet ist. Jeder der sieben Pilger hat seine eigene Geschichte und seine eigenen Beweggründe für die Pilgerfahrt. Die Reise zum Shrike bietet Gelegenheit, diese Geschichten zu erzählen.

Was anfangs etwas verwirrend beginnt, da Dan Simmons den Leser ohne jegliche Erklärungen und ohne Vorbereitung einfach auf die Geschichte losläßt und sich nicht damit aufhält, groß und breit die Geschichte der Hegemonie ausführlich zu erklären, oder gar solche Begriffe wie "Farcaster", "Fatline" oder sogar als Raumschiffe fungierende Riesenbäume mit viel Technobabble zuerst erklärbar zu machen, entwickelt sich recht schnell zu einem der ungewöhnlichsten und wichtigsten Science Fiction Werke der Neuzeit.
Dan Simmons schöpft für Hyperion aus Quellen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Simmons nimmt die Grundideen der Gedichte "Hyperion" und "The Fall Of Hyperion" des englischen Dichters John Keats (die beiden Versepen beschreiben den mythologischen Götterkampf der Griechen), verbindet diese strukturell mit den "Canterbury Tales" von Geoffrey Chaucer und entwickelt daraus einen visionären Science Fiction Epos, der sich mit den grundlegenden Dingen menschlicher Zivilisation und der menschlichen Natur beschäftigt.
Im Verlaufe des ersten Buches lernt der Leser die sieben Pilger kennen und mit ihnen und ihren Geschichten baut sich allmählich das Bild des Universums und der Hegemonie in 800 Jahren auf. Was zu Beginn noch fremd und etwas verwirrend erschien, gewinnt zunehmend an Kontur und wenn man der Meinung war, zu wissen, was Dan Simmons mit seiner Geschichte vorhat, kommt man schnell zur Einsicht, daß etwas sehr viel größeres vorgeht. Denn alle Pilger verbindet eine Gemeinsamkeit, im Mittelpunkt steht dabei jeweils das mysteriöse Shrike, ein Wesen, das sich offenbar rückwärts durch die Zeit bewegt und aus der Zukunft stammt.
Die Geschichten der Pilger sind sehr unterschiedlich angelegt, und beleuchten diverse Aspekte des Lebens in der Hegemonie. Am bewegendsten ist die Geschichte des Vaters, der sich zusammen mit einem Säugling auf Pilgerfahrt begeben hat. Wie es sich herausstellt wurde seine Tochter vor Jahren bei Forschungsarbeiten an den sogenannten Zeitgräbern auf dem Planeten Hyperion Opfer eines Unfalls. Aus unbekannten Gründen alterte sie von nun an rückwärts und wurde jeden Tag jünger, verlor Tag um Tag ein Stück mehr ihrer Erinnerung an die Zukunft und entwickelte sich schließlich zum Säugling zurück, während ihre Eltern sich um sie kümmerten und mit ansehen mußten, wie ihre Tochter jeden Tag aufs neue erwacht und nichts von ihrer tückischen Krankheit weiß.
Der Leser begegnet aber auch der Privatdetektivin Lamia Browne, die die Mörder des Cybriden John Keats finden suchen soll. Eine Suche, die schließlich zum Shrike führt. In dieser Geschichte wird erstmals auch das größere Ausmaß der Geschichte angedeutet, wenn man erfährt, daß ein beinahe allmächtig wirkender Technocore aus Künstlichen Intelligenzen maßgeblich die Geschicke der Hegemonie leitet und verschiedene Fraktionen im Technocore offenbar unterschiedliche Pläne verfolgen. Der Cybrid John Keats ist eine Replika, eine Nachempfindung des englischen Dichters, dessen eigentlicher Sinn zuerst jedoch noch im Dunkeln bleibt.
Der zweite Band nimmt dann eine andere Perspektive an und verläßt die sieben Pilger für eine Weile, während der John Keats Cybrid in den Mittelpunkt rückt. Zusammen mit ihm lernt man mehr der Hegemonie kennen und Zusammenhänge werden aufgedeckt, die man zuerst nicht einmal für möglich gehalten hatte.
In den beiden Hyperionbänden beschäftigt sich Simmons mit solchen Fragen, wie das Verhältnis von Gott und Mensch, Religion und Mensch beschaffen sein sollte, ob das Wohl des Individuums oder auch vieler Individuen wichtiger als das Wohl der Menschheit ist, wo letztlich jeder Mensch seine Loyalität haben sollte - gegenüber der Gesellschaft und ihren Institutionen oder gegenüber der menschlichen Rasse selbst.
Und was zuerst wie eine mehr oder minder typische "seltsames Alienmonster mit seltsamen Absichten" Geschichte aussieht, entwickelt sich so zunehmend in etwas völlig anderes: nämlich in einen zuerst nicht wahrgenommenen Konflikt zwischen Maschinenintelligenzen im Technocore und den Menschen, die zunehmend mehr wie Schafe erscheinen, die sinnfrei und recht sinnlos in den Tag hineinleben und sich von Technologie abhängig gemacht haben, die der Technocore ihnen zur Verfügung stellt. Die scheinbar so phantastisch erscheinende Hegemonie macht allmählich einem anderen Bild Platz. Es ist ein wichtiger Aspekt im Buch, wenn sich herausstellt, daß die KIs des Technocores selbst auf die Suche nach einer Ultimativen Intelligenz, nach Gott sind. Wie all das nun mit dem Shrike und den Pilgern zusammenhängt, sollte man natürlich selbst entdecken. Es lohnt sich definitiv. Die Hyperionbände von Dan Simmons regen zum Nachdenken an, behandeln fundamentale Fragen und - was ansonsten gerne Science Fiction Geschichten vorgeworfen wird - bei allen phantastischen Technologien und ungewohnten Schauplätzen steht stets der Mensch, die Menschheit im Mittelpunkt. Und mit ihm all seine Sehnsüchte und Hoffnungen und Ideale.

Die ersten beiden Bände sind auf Deutsch als Sammelband erhältlich, was sich im Gegensatz zu den nur einzeln erhältlichen englischen Bänden als gute Idee erweist, denn der Cliffhanger im ersten Band macht den zweiten Band zur Pflichtlektüre. Die Handlung aus den beiden Hyperionbänden wiederum wird bei Endymion von Dan Simmons fortgesetzt.

[geschrieben von Thomas]

 

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