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Willkommen...

Eberhard Paul schaltete ruckartig eine Gang herunter und ebenso ruckartig riss er das Lenkrad nach rechts. Der schwere Wagen schlingerte mit protestierend jaulenden Reifen um die Abzweigung herum und schoss dann auf die Tunnelöffnung zu.

Eberhard hatte wohl bemerkt, dass die Ampel an der Abzweigung rot gewesen war, aber das kümmerte ihn nicht. Er kannte die Strecke und wußte, dass jetzt, mitten in der Nacht, hier kaum jemand unterwegs war, schon gar keine Bullen, die ihn hätten zur Kasse bitten können. Die zitternden Finger der Scheinwerfer erfassten für eine Sekunde ein Schild am rechten Rand der Tunnelöffnung ."Kirchberg-Tunnel" stand da zu lesen, "Länge 846 Meter" und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h war auch angezeigt.

Der Wagen tauchte in die mattgelbe Beleuchtung des Tunnels ein und Eberhard trat das Gaspedal durch. Er sah auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht, in einer guten Viertelstunde würde er wohl zu Hause sein. Es wurde aber auch Zeit. Der Alkohol begann seine Wirkung zu tun, er hatte das Gefühl, als würde sein Kopf ganz allmählich zu einem Ballon aufgeblasen, und seine Magennerven signalisierten, dass es Zeit war, einen Teil des Zeugs wieder loszuwerden.

Er war beim Narrentreffen in Schramberg gewesen, der Umzug am Nachmittag hatte sich im üblichen Rahmen gehalten, aber ohne einen kräftigen Zug durch die Gemeinde danach liefen solche Treffen ja niemals ab. Im Grunde, das wusste er, war er nach der gültigen Gesetzeslage eigentlich nicht fahrtüchtig, aber er nahm sich die Freiheit, das anders zu sehen.

Er warf einen Blick auf den Beifahrersitz. Sein Narrenhäs lag dort nachlässig zusammengefaltet. Die zuoberst liegende Teufelsmaske war in der letzten Kurve ins rutschen geraten und drohte nun auf die Handbremse abzustürzen. Er schob sie mit einer hastigen Bewegung zurück.

Irgend etwas stimmte nicht. Bei der Geschwindigkeit, die er fuhr - der Tacho zeigte konstant 130 - hätte er eigentlich nach längstens dreißig Sekunden den Tunnel passiert haben müssen. Aber nach wie vor glitten die grauen Tunnelwände auf beiden Seiten vorbei , nach wie vor huschten die gelben Lichter an der Decke über das Auto. So sehr er seine Augen auch anstrengte, der Tunnelausgang, der bei Tageslicht als heller Halbkreis schon bei der Einfahrt zu sehen war, war nirgends zu entdecken.

Eberhardt blickte erneut auf die Uhr. Null Uhr zehn. Seit etwa acht Minuten war er jetzt in der Röhre. Acht Minuten, das bedeutete, dass er mehr als sechzehn Kilometer zurückgelegt haben musste, und das in einer Tunnelröhre, die nur 846 Meter lang war. Sein benebeltes Gehirn ließ die Alarmglocken schrillen. Er drosselte die Geschwindigkeit und überlegte, ob er wenden und zurückfahren sollte.

Unvermittelt rückten die Tunnelwände zusammen und verengten die Röhre auf eine Fahrbahn, so eng, dass er nicht mal würde eine Tür öffnen können, wenn er jetzt aussteigen wollte. Eberhard geriet in Panik und hielt den Wagen an, wollte im Rückwärtsgang der Falle entkommen.

" Nun fahr schon weiter, du Idiot" sagte eine Stimme neben ihm, " einen Kilometer hinter uns kommt ein Tanklastzug, auch viel zu schnell und der Fahrer ist genau so besoffen wie Du! Was glaubst Du, was passiert, wenn der hinten auf uns auffährt."

Eberhardt führ vor Schreck wieder an. Er blickte nach rechts und sah, wie sich sein Narrenhäs entfaltete wie eine Luftmatratze, die man aufblies, die hölzerne Teufelsmaske wurde mit angehoben und lehnte, nachdem der Vorgang beendet war, wie ein menschlicher Kopf an der Nackenstütze. Eberhard fuhr sich mit der Hand über die Augen. "Was ist das denn?" stöhnte er.

Die Teufelsmaske stieß ein dumpfes Gelächter aus. "Die Frage ist falsch gestellt, Freund Eberhard", feixte sie, " sie muss heißen: Wer bist Du denn? Gestatten, Kroaxl, dein persönlicher Schutzteufel!"

Eberhardt fühlte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. " Schutzteufel? Wo gibt's denn so was? Von Schutzengeln hab ich schon gehört. Aber Schutzteufel?"

Kroaxl zappelte vor Vergnügen: " Du musst uns schon zugestehen, dass wir das, was die Konkurrenz als erfolgreiches Rezept benutzt" , er zeigte mit einer Hand nach oben, " für unsere Zwecke kopieren. Nun, ich bin Dein Schutzteufel und hatte bisher die Aufgabe, Dich immer schön bei der Stange zu halten und dich fleißig zu unterstützen beim Punktesammeln für die Greencard."

Eberhard schauderte. " Punktesammeln wofür? Was für ne Greencard? Und wieso hatte die Aufgabe?"

"Moment, gleich, Du bist etwas unkonzentriert, Freund Eberhard. Ich glaube, ich schalte mal lieber auf Autopilot um. Wir wollen doch nicht so kurz vor dem Ziel noch einen Unfall bauen." Der Teufel im Narrenhäs beugte sich zu Eberhard herüber, drehte den Zündschlüssel und zog ihn ab. Wider erwarten blieb der Wagen nicht stehen sondern fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Eberhard versuchte nacheinander zu bremsen, Gas zu geben und das Lenkrad zu bewegen, keinerlei Reaktion. Der Wagen schoss weiterhin zwischen den Tunnelwänden dahin wie auf Schienen geführt. Dabei wurde die Beleuchtung immer schlechter, und die graue Farbe der Wände wich nach und nach einem rußigen Schwarz.

Kroaxl feixte. " So ist das schon besser, nu können wir uns ganz auf unsere Unterhaltung konzentrieren. Weißt Du, bei uns funktioniert das ganz ähnlich wie bei Eurer Verkehrssünderkartei in Flensburg. Jeder Kandidat erhält für jeden irdischen Regelverstoß Punkte auf ein Konto gutgeschrieben. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass bei uns nicht nach fünfzehn Punkten der Führerschein weg ist, sondern mit hundert Punkten erhält der Kandidat die Greencard. Ach ja, und bei uns gibt es auch keinen Idiotentest, mit dem man die Folgen rückgängig machen kann. Die ersten dreißig Punkte muss der Kandidat alleine machen, danach bekommt er einen persönlichen Schutzteufel an die Seite gestellt, der ihm nach Kräften hilft, bis das Konto voll ist."

"Ich versteh gar nichts" . Eberhards Blick war starr auf das Armaturenbrett gerichtet. Die Fahrt durch den Untergrund dauerte jetzt schon mehr als dreißig Minuten. Die Tanknadel zitterte seit geraumer Zeit im roten Bereich hin und her, und ganz vage keimte in ihm die Hoffnung auf, der Sprit könnte zuende gehen, ehe diese Horrorfahrt an ihrem Ziel angelangt sein würde. " Welche irdischen Regeln? Und was hast Du damit zu schaffen?"

Kroaxl schien seine Gedanken lesen zu können. " Keine Sorge, was den Sprit betrifft, er wird reichen. Das ist genau berechnet. Wir werden am Ziel sein, noch ehe die Geisterstunde zu Ende ist. Tja was die Regeln betrifft so sind ganz profane Dinge gemeint, Gesetze, Verordnungen, Gebote, moralische Regeln, halt alles das, was den normalen Erdenbürger einengt. Nun gibt es ja Leute, die bei solchen Regelverstößen gelegentlich erwischt und entsprechend sanktioniert werden, und die dann aus Furcht vor weiteren Strafen oder aus Einsicht darauf verzichten, weiter gegen die Regeln zu verstoßen.

Und da setzt die Aufgabe des Schutzteufels ein. Er schützt den Kandidaten vor solchen Sanktionen, um ihm die Lust am Regelverstoß zu erhalten. So habe ich zum Beispiel dafür gesorgt, dass dein Sachbearbeiter beim Finanzamt Deine getürkte Steuererklärung nicht genauer geprüft hat, dass die Kassiererin im Supermarkt grade wo anders hingesehen hat, als Du Zigaretten geklaut hast, das Radargerät der Polizei nicht funktioniert hat, als Du eigentlich geblitzt werden solltest, es niemand bemerkt hat, als Du die gefundene Brieftasche mit den zehntausend Eiern einfach eingesteckt hast und und und... Du warst Dir ja so sicher, dass Du nicht erwischt wirst, dass Du Deine 100 Punkte in Rekordzeit zusammen hattest. Der neunundneunzigste war heute, als Du dich mit besoffenem Kopf in Dein Auto gesetzt hast, und der hundertste, als Du vorher am Tunneleingang absichtlich die rote Ampel überfahren hast.. Und hier hab ich jetzt deine Greencard, Nach den Regeln, unseren Regeln in Anspruch zu nehmen sofort. Und deshalb war ich Dein Schutzteufel, ab morgen werde ich einen neuen Klienten betreuen. Eigentlich schade, es war ganz unterhaltsam mit Dir. Was ist denn? Du bist so blass um die Nase?"

"Was ist das, die Greencard", Eberhard gurgelte die Frage mehr, als dass er sprach, "und was soll das bedeuten: In Anspruch zu nehmen sofort?"

"Du denkst ziemlich langsam heute", Kroaxl seufzte ergeben, " Du kennst das doch aus Eurem Bundesrepublikanischen Staat. Die Greencard ist so eine Art Eintrittskarte für..... Moment wir sind da."

Der enge Tunnel öffnete sich zu einer weiten, düsteren Halle. Die Fahrbahn teilte sich in ein Dutzend Spuren auf, und jede endete an einer Schranke mit einem runden Schild " Zoll- Douane" Jede Schranke wurde von einer Art Schilderhäuschen flankiert in der ein Uniformierter stand. Ohne Zweifel, dachte Eberhard, ein Grenzübergang. Ein Grenzübergang wohin?

Sein Wagen bog selbständig in eine der Fahrspuren ein, rollte aus und kam vor der Schranke zum Stehen. Der Uniformierte trat aus dem Schilderhäuschen , umrundete den Wagen und öffnete dann die Beifahrertür, steckte den Kopf herein. Eberhard erschrak. Die Visage des Zöllners glich seiner Teufelsmaske, oder jetzt der von Kroaxl wie ein Ei dem anderen.

"Willkommen in der Hölle" sagte der Zöllner, " führen sie irgendwelche zollpflichtigen Waren mit? Wenn nicht, begeben sie sich bitte direkt zur Einwanderungsbehörde dort vorne links. Block A, Eingang C.....

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