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Spukhaus

"... schön, daß ihr gekommen seid."
Inge Berner ließ das Ehepaar Linden ein. "Ihr müßt entschuldigen, wir sind noch nicht richtig hier.", meinte sie mit einer Geste auf die Koffer im Flur und führte die Gäste ins Wohnzimmer.
" Wir sortieren gerade unsere Dias. Es geht ja heute schnell mit der Filmentwicklung."
Ernst Berner begrüßte die Bekannten - Freunde würde Inge sie nennen - wendete sich aber gleich wieder seinen Dias zu. Gegenüber des Tisches war eine Leinwand aufgebaut. Inge Berner warf einen Blick auf die Filmschnipsel. "Ja es war wunderschön. Die kleinen Städtchen sind im Spätsommer besonders reizvoll." Es klang als zitiere sie einen Reisebericht. "Und dann hat Südengland uns ja immer schon fasziniert."
Bald saß sie mit den Lindens bei einer Tasse Kaffee und erzählte von der Reise. "Einige Tage lang hatten wir scheußliches Wetter. Ein Wind so kalt wie ein nasses Handtuch und dazu Nieselregen. Eigentlich das richtige Wetter für Daven. Stellt euch vor, wir haben das bekannteste Spukhaus der Grafschaft gesehen! Und mehr noch..." Sie zog den Reiseführer unter einem Stapel hervor. Er war abgegriffen und schon sichtlich betagt. Inge blätterte im Buch und schob den Finger zwischen zwei Seiten. Dann las sie vor:
"Neben dem Hafen weist Daven noch eine weitere Sehenswürdigkeit auf: ein echtes Spukhaus. In der Buntingstreet 23 befindet sich das Haus der Familie..." Sie brach ab. "Ach das ist nicht so wichtig." befand sie und spann den Faden ihrer Erzählung fort. "Es war also dieser kalte Tag, fast schon Abend, als wir Daven erreichten. Kein Mensch war unterwegs aber zum Glück haben wir die Buntingstreet schnell gefunden. Und das Haus war wirklich reizend, wenn auch etwas vernachlässigt. - Ernst, such doch bitte einmal das Dia heraus! -
Eine cremefarbene Fassade, überall Stuck und so schöne Gardinen vor den kleinen Fenstern - unbeschreiblich. Wir müssen eine Weile davor gestanden haben, dann bemerkte ich, daß eine Gardine beiseite geschoben wurde. Jemand schaute hinaus, beinahe mißbilligend, wie mir schien. Ernst aber meinte", ein schneller Seitenblick, "die Frau habe auf Gäste gelauert. Jedenfalls, im Fenster stand ein Schild: BED AND BREAKFAST. Draußen war es ungemütlich, das Licht hinter den Vorhängen wirkte einladend..." Frau Berner hob die Stimme: "Das Haus müßte auf dem vorletzten Film sein. Wir haben doch am anderen Morgen noch Bilder vom Hafen gemacht." erinnerte sie ihren Mann.
"Ohne lange zu überlegen haben wir daraufhin geklingelt. Eine ältliche Frau öffnete. Sie trug tatsächlich eine weiße Rüschenschürze über einem tabakfarbenen Kleid.
Wir fragten wegen der Übernachtung und sie nickte. Nachdem wir unsere Sachen aus dem Wagen geholt hatten, fanden wir ein geheiztes, sauberes Zimmer vor. Obwohl wir der Haushälterin ein schönes Trinkgeld zusteckten, wollte sie sich nicht zum Spuk äußern. Vielleicht sind einmal ängstliche Vorgänger von uns aus vorbereiteten Zimmern wieder ausgezogen..."
Sie seufzte. "Leider kann ich euch nicht mehr sagen, als daß wir eine ungestörte Nacht verbrachten. Kein Geist, keine Erscheinung..."
Ernst schaltete den Diaprojektor an und verdunkelte das Zimmer.
"Wir haben die Dias selber noch nicht gesehen", erklärte seine Frau.
Bilder von hügeligen Landschaften und Bruchsteinkirchen erschienen, dann beugte Inge Berner sich gespannt nach vorne. "Bald müßte es kommen."
Eine winkelige Straße wurde auf der Leinwand sichtbar, eine Häusergruppe schloß sich an. Lindens nickten beifällig und bewunderten die Fassaden. "Nein, man kann es nicht sehen." bemerkte Inge ärgerlich. Ernst präsentierte das nächste Dia. Links und rechts waren Häuser aus dem letzten Jahrhundert zu sehen. Das Ehepaar Linden betrachtete die Gebäude so interessiert, daß ihnen, der entgeisterte Ausdruck ihrer Gastgeber entging.
"Aber das Haus..."
In der Bildmitte klaffte eine Lücke zwischen den Fassaden. Verkohlte Balken ragten zwischen eingestürzten Mauern in den blauen, südenglischen Himmel.

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