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Die drei Sprachen

nach einem Märchen, gesammelt und niedergeschrieben von den Gebrüdern Grimm

Es lebte einmal ein Graf, der hatte nur einen Sohn, doch der war dumm und konnte nichts lernen. Da meinte der Graf, daß er seinem Sohn einmal etwas beibringen müsse und schickte ihn zu einem Gelehrten, der ihn etwas lehren sollte.
Als der Sohn nun nach einem Jahre des Lernens zurückkehrte, fragte ihn der Graf danach, was er denn gelernt habe. Der Sohn antwortete: "Ich habe gelernt, was die Hunde bellen."
Da war der Graf enttäuscht und sandte ihn erneut für ein weiteres Jahr zu einem großen Gelehrten, der dem dummen Jungen etwas beibringen sollte. Nach einem weiteren Jahre des Lernens kehrte der Sohn nun heim, wo ihn der Graf fragte, was er denn so gelernt habe. Der Junge antwortete: "Ich habe gelernt, was die Frösche quaken."
Da ward der Graf böse und sprach: "So will ich es noch ein drittes Mal probieren, auf daß du schlauer wirst, und dich zu dem größten Gelehrten im Lande schicken." Der Sohn gehorchte wie ihm aufgetan und lernte ein drittes Jahr bei einem Gelehrten.
Nun kehrte er nach dem dritten Jahre zurück, und als ihn der Graf fragte, was er denn gelernt habe, so antwortete der Junge: "Ich habe gelernt, was die Vögel zwitschern."
Nun ward der Graf sehr zornig und rief seinen treuen Diener und einige Soldaten zusammen und sprach: "Er ist mein Sohn nimmermehr, führt ihn hinaus in den tiefen Wald und nehmt ihm das Leben. Und bringt mir als Zeugnis dieser Tat Auge und Zunge von ihm."
Der Diener tat wie ihm aufgetragen und führte den Jungen in den Wald, doch brachte er es nicht über sich, ihm das Leben zu nehmen, sondern ließ ihn ziehen mit der Bitte, nie wieder zurückzukehren. Um für den Mord Zeugnis abzulegen, nahm der Diener Auge und Zunge vom Reh und zeigte sie dem König vor.
Der Jüngling indes wanderte ziellos durch den finstren Wald und gelangte an des Königs Hof, wo er zu einem einfachen Diener wurde und sich so Speis und Trank verdiente. Eines Tages begegnete er auf dem Hofe der Tochter des Königs, und sie verliebten sich ineinander. Er wollte sie zu seiner Gemahlin nehmen, doch der König sprach: "Die Prinzessin ist schon versprochen an einen Edelmann, doch so es auch der Wille meiner Tochter sei und ihre Liebe größer ist als alles, was ich bisher erlebte, so will ich sie dir doch zu Frau geben."
Der Jüngling nahm die Prinzessin zur Frau, doch da sie bereits versprochen war, nahm der Edelmann bittere Rache und fiel mit einer Horde Plünderer über das Schloß her, nur um den König und seine Gemahlin während der Abwesenheit des jungen Brautpaares grausam abzuschlachten.
Als sie zurückkehrten, verfiel die Prinzessin in bittere Trauer und entzog sich des Amtes der Königin, indem sie spurlos verschwand. Der Jüngling begann mit einem kleinen Heer die Suche nach ihr, die drei Jahre dauern sollte, und so fiel der Thron an des Jünglings Vater, der immer noch glaubte, daß sein Sohn tot sei, und keinerlei Reue zeigte.
Der neue König herrschte finster und brutal in den drei Jahren, in denen der Jüngling auf der Suche nach seiner Gemahlin war. In vielen Schlachten und Fallen bewährten sich er und sein Heer, bis sie erfuhren, daß sich die Prinzessin in einem Kloster im tiefen Norden aufhielt. Sie fanden sie ohne Erinnerung und ohne jegliche Liebe zu dem Jüngling in einem wirren Zustand vor.
Die Schwester des Ordens erzählte dem Jungen, man habe sie vor mehr als zwei Jahren halb erfroren und wirr im Schnee vorgefunden und sie dann, weil man Mitleid mir ihr hatte, in den Orden aufgenommen, um für sie sorgen zu können.
Der Jüngling packte seine Gemahlin und brachte sie zu einem großen Gelehrten, der sie heilen sollte, was ihm auch gelang. Sie schlossen sich in die Arme und liebten sich. Dann erzählte sie ihm, wie der Bastard, der nun das Reich als König ins Verderben stürze, sie mit einigen treuen Soldaten entführt und ihr die Erinnerung gestohlen habe. Der Jüngling schwor sich Rache und brach alleine auf, um sich an seinem Vater zu rächen. Er ritt wie der Teufel zu des Königs Hof, doch in dem Wald, in dem man ihn ausgesetzt hatte, machte er kurz halt. Da sprang ein schwarzes Männlein aus einem Busch hervor und erklärte ihm, es wolle ihm bei der Rache an dem König helfen. Doch im selben Moment sprang ein anderes, schneeweißes Männlein aus einem anderen Busch hervor und sprach: "Rache ist nicht wichtig, kehre zurück zu deiner Gemahlin, denn sie ist in größter Gefahr." Und da seine Liebe stärker war als seine Rachegefühle, kehrte er zu seiner Gemahlin zurück.
Und tatsächlich: Der Gelehrte hatte einen Boten nach dem König schicken lassen, um ihm von seiner Gefangenen zu berichten. Nun, da der Jüngling zurückgekehrt war, kämpften seine treuen Soldaten, die ihm drei Jahre lang durch Himmel und Hölle gefolgt waren, einen verzweifelten Kampf gegen die übermächtigen Krieger des Königs. Schließlich schlachteten der König und seine Soldaten alle ohne Gnade ab. Der Jüngling konnte nur noch zusehen, wie sein Vater ihm seine geliebte Gemahlin raubte. Er war verzweifelt, denn während sein Vater seine Gemahlin zur Frau nahm, blieb ihm, dem Sohn, nichts mehr. Er wußte nicht, was er tun sollte, ohne Heer. Da kamen je ein Abgesandter der Hunde, der Frösche und der Vögel, und sie sprachen zu ihm: "Wir werden dir helfen, Mensch, der du unsere Sprachen sprichst."
Und so riefen sie alle ihre Artgenossen zusammen, um dem Jüngling zum Schloß seines Vaters zu folgen. Der König war gerade dabei, sich mit der Prinzessin zu vermählen, als mächtige Hunderudel, Froschheere und Vogelschwärme über sein Schloß hereinbrachen und seine Soldaten alle töteten. Da kam der Jüngling dahergeritten und sprach: "Da siehst du, was ich gelernt habe, du bist nicht mehr mein Vater, du bist auch nicht mehr der König." Nahm seine Liebste, setzte sie aufs Pferd und ritt davon, während Hunde, Frösche und Vögel über den Tyrannen herfielen und ihm ewige Qualen bescherten.
Der Jüngling indes ritt mit seiner Geliebten soweit er nur reiten konnte, und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.

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