© der Geschichte: Matthias Weidemann. Nicht unerlaubt
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SOMNAMBULA

Haben Sie schon einmal über das Phänomen des Schlafes nachgedacht? Zum Beispiel darüber, wie wichtig Schlaf sein kann? Sicher haben auch Sie schon gelegentlich, wie unzählige andere Leidensgenossen, des nachts wach gelegen, wenn Sie sich, von einer Seite auf die andere wälzend, vergeblich die erholsame Ruhe herbei sehnten, zwischendurch mal aufstanden, um ein Bier oder ein Glas Wein zu trinken, damit er schließlich käme, jener so schmerzlich erwartete Zustand zwischen Traum, Erholung und, ja, nennen wir es ruhig beim Namen, Tod.

Schließlich, ist er nicht so etwas wie der kleine Bruder des Todes, dieser Schlaf? So jedenfalls geht es aus der Mythologie verschiedener Indianerstämme Nordamerikas hervor, die großen Respekt hatten, vor jenem Zwischenzustand, in dem unser Bewußtsein uns ein Schnippchen zu schlagen scheint, uns an der Hand nimmt, auf nie gewandelte Pfade, die uns abgrundtiefer Schrecken und ungeahntes Entzücken zugleich sein können.

Warum ich dies schreibe, werden Sie sich fragen. Nun, das ist schnell gesagt. Bei mir ist es nämlich so, daß ich den Schlaf fürchte. Ich versuche mich, indem ich dies hier nieder schreibe, wach zu halten. Ich fliehe den Schlaf sozusagen, meide ihn wie die Pest, wie den Leibhaftigen selber. Ich bin gar nicht imstande aufzuzählen, was ich schon alles unternommen habe, um nicht, in einem Moment der Unachtsamkeit, einzunicken und von den schweren, stets an mir zerrenden Ketten des Schlafes hinab gezogen zu werden in die kryptischen Tiefen der unbekannten Welt des Todes. Wieso ich fürchte, daß der Schlaf mir den Tod bringt? Sie haben recht, ich greife meiner Erzählung vor. Es ist die Erschöpfung, die mich dazu verleitet, die Gesetze der Chronologie zu mißachten. Ich hoffe auf ihre Nachsicht.

Natürlich habe ich es mit starkem, schwarzen Kaffee versucht, mit Medikamenten, die meine Nerven in singende Saiten verwandelt haben, um beim geringsten Reiz mein ganzes Wesen wie ein Instrument in Resonanz zu versetzen. Obendrein habe ich allerlei merkwürdigen Zeitvertreib ersonnen, um mich ja wach zu halten. Oberstes Gebot, um überhaupt den anbrandenden Wogen der Müdigkeit erfolgreich Widerstand leisten zu können: der Einsamkeit entfliehen. Denn fehlende Gesellschaft zieht den Schlaf herbei, gleich einem überdimensionalen Magneten.

So habe ich mich, ob Tag oder Nacht, unter Menschen begeben, um auf diese Weise adäquate Abwechslung zu finden, die mich daran hinderte, einzuschlafen. Immerhin habe ich es auf diese Weise schon auf sechs Tage und fünf Nächte gebracht, ohne auch nur eine Sekunde Schlaf zu haben. Allerdings merke ich, wie mich langsam die Kräfte verlassen, wie sich meine Physis ihren natürlichen Grenzen nähert und höre das leise Tapsen der sich nähernden Schritte von Hypnos, der schließlich nur zu warten braucht. Irgendwann werde ich schon in seine Arme sinken. Bevor ich das jedoch tue und mich erst in seine und anschließend in die Obhut seines Bruder Thanatos begebe, möchte ich meine Geschichte erzählen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich auf diese Weise hoffe, noch etwas Zeit zu gewinnen, bevor ich eine Reise antrete in Gefilde, von denen ich nicht weiß, was sie für mich bereit halten.
Und genau diese Ungewißheit ist es, die mich zum Kämpfer, zum Löwen werden läßt, der sich verzweifelt gegen die Müdigkeit wehrt, die sich wie ein flüssiger Mantel aus Blei um mich zu legen beginnt. Denn jetzt, wo der Tod auf der Schwelle steht, nagt die Angst an mir, daß es doch so etwas wie eine Hölle geben könnte, wo ich für die Taten, die ich während meines irdischen Aufenthaltes begangen habe, bestraft werden könnte. Sicher, mein Leben lang habe ich diese kindische Vorstellung, diesen barbarischen Aberglauben an Himmel und Hölle, an eine höhere Form der Gerechtigkeit verlacht. Ich stand über diesen lächerlichen Glaubensvorstellungen, die naiveren, weniger gebildeten und intelligenten Zeitgenossen vorbehalten sein sollte. Doch was, wenn, ja wenn es doch so etwas gäbe wie ein Purgatorium, eine ewige Verdammnis, Tantalosqualen vor denen es kein Entrinnen gab, die nie enden wollende Verzweiflung ohne Hoffnung auf Erlösung? Noch war niemand zurück gekehrt aus jener uns unbekannten Welt, über die wir so gerne spekulieren, um glaubhaft Zeugnis abzulegen, von dem, was ihm dort widerfahren ist. Denn die Ewigkeit ist es, die wir zu fürchten haben.
Und sollte tatsächlich eine Institution existieren, die darüber richtet, was man während seines irdischen Daseins an guten oder schlechten Taten vollbracht hat...

Jedoch, ich will der Reihe nach erzählen, letztendlich ist der Verfall nicht aufzuhalten und ich will nicht länger zögern, meine scheinbar unglaubliche Geschichte erzählen.

Alles nahm seinen Lauf mit jenem schrecklichen Unfall, der mich jäh aus meinem gewohnten Leben riß und mich in einen Abgrund entließ, dessen Tiefen, so weiß ich nun, mit Gewißheit, ich immer noch nicht ganz ausgelotet habe. Und um ehrlich zu sein, bin ich nicht sicher, ob ich wirklich wissen will, was mich am Ende dort erwartet.

Wie gesagt, begann alles an jenem klaren, sonnigen Dezember Morgen. Es war etwa drei Wochen vor Weihnachten und ich befand mich, wie jeden Morgen, auf dem Weg zu meinem Büro, wo ich als Finanzbeamter der mittleren Dienstebene meine Arbeit versah. Ich leitete das Sachgebiet Mahnwesen, hatte darüber zu wachen, daß säumige Schuldner zu braven Steuerzahlern wurden. Seit achtundzwanzig Jahren hatte ich Tag für Tag nichts anderes getan als dafür gesorgt, daß Formulare ausgefüllt, abgestempelt und verschickt wurden. Nun wartete ich auf den Tag meiner Pensionierung, der in nicht all zu ferner Zukunft vor mir lag und mich in ein anderes, nicht weniger gleichförmiges Leben, entlassen sollte. Wenn da nicht, ja wenn da nicht jener Unfall gewesen wäre, der mein Dasein von Grund auf in geradezu dramatischer Art und Weise verändern sollte.

War es die jahrelange Gewohnheit, jeden Morgen den gleichen Weg zu gehen, waren es Gedanken, die mich ablenkten? Ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall versäumte ich es, auf den wie jeden Werktag sehr regen Verkehr zu achten, als ich die Straße überquerte, die mich noch etwa fünfzig Meter von meiner Arbeitsstelle trennte. So schritt ich, ohne den Kopf zu heben oder nach links und rechts zu schauen auf die Straße und das Einzige, an das ich mich erinnere ist jenes, die Nerven schier zerfetzende, Quietschen von Reifen, das ich bis heute nicht aus meinem Gedächtnis zu verbannen imstande bin.

Alles, was dann folgte, war dunkles Schweigen und ein Gefühl von Losgelöstheit und der Entbindung jeglicher Verantwortung.

Was ich nun schildere, weiß ich nur aus den Berichten von Ärzten und Sanitätern, die mir, sowohl kurz nach dem Unfall wie auch in der Zeit danach, äußerst hilfreich zur Seite standen und deren Mitgefühl und ärztliche und pflegerische Mühen ich nachfolgend so schlecht danken sollte. Doch laufe ich ein ums andere Mal Gefahr, meiner Geschichte vorzugreifen. Wie ich später am Krankenbett also vom Krankenhauspersonal erfuhr, war ich von einem herannahenden Auto erfaßt worden, sowie anschließend mehrere Meter durch die Luft geschleudert worden. Ich schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf, wobei ich ein gravierendes Schädelhirntrauma erlitt, daß mich für mehrere Monate an der Schwelle zum Tod hinterließ. Ein Chirurgenteam rettete mir in einer vielstündigen Operation das Leben, woraufhin ich selbst mehrere Monate in einer Art Koma verbrachte und in keiner Weise ansprechbar war, obwohl meine vitalen Funktionen durchaus als normal zu bezeichnen waren. Wie ich jedoch erfuhr, bereitete mein EEG, also meine Gehirnströme, den Neurologen erhebliches Kopfzerbrechen. Hätte man den Aufzeichnungen des Elektroenzephalographen Glauben geschenkt, so wäre ich nicht ohne schwerste zerebrale Schäden aus diesem Unfall hervorgegangen. Mit der Folge einer lebenslangen geistigen Umnachtung. Um so größer war das Erstaunen, des mit meiner Pflege beauftragten Personals, als ich nach etwas mehr als sieben Monaten aus meiner Totenstarre erwachte und mich, als wäre es das normalste von der Welt, danach erkundigte, wo ich mich unter welchen Umständen aufhielt. Schließlich wäre ich vor einigen Augenblicken noch auf dem Weg zu meinem Amte gewesen, um dort meinen täglichen Dienst anzutreten.

Sie können sich meine Bestürzung vorstellen, als man mir so schonend wie möglich mitzuteilen versuchte, daß ich nicht weniger als ein halbes Jahr in einer Art todesähnlichem Dämmerzustand verbracht hatte und daß man, trotz scheinbar gelungenem chirurgischem Eingriff, jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, mich je wieder in einem Zustand normalen Bewußtseins vorfinden zu können. Fortan galt mein äußerstes Streben dem Versuch, herauszufinden, was in mir während jener sieben dunklen Monate vorgegangen war. Wohin hatte sich meine Seele, mein Bewußtsein zurückgezogen. Welche unsäglichen Tiefen mochte es ausgelotet haben, zu was für namenlosen Universen hatte es sich Zugang verschafft, von denen wir normalen Menschen nicht einmal im Ansatz eine Vorstellung hatten und von denen wir nicht ohne geistigen Schaden zu nehmen zurückgekehrt wären. Ich entschloß mich demzufolge, das Angebot eines mich behandelnden Arztes anzunehmen und die Praxis eines mit ihm befreundeten Hypnotiseurs aufzusuchen.

Wenn, so riet mir der Arzt, auch nur ein Funken Hoffnung für mich bestehen sollte, jemals Wissen über die mir noch nicht zugänglichen, in meinem Bewußtsein verschütteten Zeiträume, zu erlangen, so wäre diese Hoffnung darin begründet, mich in die Hände eines Experten zu geben, der alleine in der Lage wäre, mich durch den Nebel meines Unterbewußtseins zu geleiten, um dort das Geheimnis meiner verlorenen Zeit zu lüften.

Wie ich im Nachhinein erfahren sollte, hatte sich jener besagte Hypnotiseur, ein Psychiater von Rang und Namen, schon eingehend mit meinem Falle auseinandergesetzt, nachdem er von dem Arzt über meinen Zustand und mein Erwachen aus dem Koma in Kenntnis gesetzt worden war. Als ich ihn schließlich aufsuchte, konnte ich mich des Gefühles nicht erwehren, für diesen Mann nicht mehr zu sein, als was ein Meerschweinchen für einen eifrigen Wissenschaftler gewesen wäre.
Kurzum, ich fühlte mich wie auf dem Seziertisch einer Abteilung für Vivisektion. Von Anfang an hegte ich also Mißtrauen und pflegte eine Abneigung gegen diesen Mann, die ein Gelingen des angestrebten und ins Auge gefaßten Zieles, nämlich das meiner Heilung, nicht gerade erfolgreich erscheinen ließ. Und schon nach der ersten Sitzung mit jenem Hypnotiseur sah ich mich in meinem Verdacht bestätigt. Der Mann hegte nicht wirklich Interesse an meinem persönlichen Schicksal, sondern lediglich an meiner Krankheit. Ich merkte, wie sich in mir gegen diesen Mann eine Wut aufstaute, die ich in ihrer Intensität so noch nicht gekannt hatte. Denn ich bin von Natur aus eher dem Phlegma zugeneigt. Trotz der Abneigung ließ ich mich auf eine Behandlung ein, da ich mir selbst Vorteile von den Fachhkenntnissen des Arztes versprach. Und tatsächlich erlangte ich mit seiner Hilfe ungewöhnlich tiefe Einsichten in das mich betreffende Phänomen und in andere Randbereiche der Medizin.

Zuerst versuchten wir, bei den Sitzungen mittels Hypnose in die verborgenen Winkel meines Bewußtseins vorzudringen, daß durch den schon erwähnten Unfall offenbar schwere Schädigungen davon getragen hatte. Denn es wollte uns, trotz aller Anstrengungen, nicht gelingen, den Schleier zu lüften, der sich seit meiner Umnachtung um mich gelegt hatte. Bei dieser Gelegenheit kam ich im Übrigen immer deutlicher zu der Überzeugung, daß es sich bei dem Hypnotiseur um einen dilettierenden Scharlatan handeln mußte, wobei meine Abneigung gegen ihn langsam in einen nagenden Haß umschlug. Dieser Anfänger war nicht im Geringsten in der Lage, mit meinem Fall umzugehen, ja er wirkte von Sitzung zu Sitzung nervöser, so als jagte ihm meine bloße Anwesenheit panische Angst ein. Bei einer jener Sitzungen war es denn auch, daß ich auf Informationen stieß, die meinen Haß auf diesen Mann noch vertieften. Wir hatten wieder einmal einen Versuch, mich zu hypnotisieren, abgebrochen. Die Anstrengung der Konzentration hatte den Arzt so mitgenommen, daß er sich eine Verschnaufpause ausbat, während derer er sich in seinem angrenzenden Waschzimmer zu erfrischen gedachte. Er entschuldigte sich bei mir und schloß die Tür hinter sich. Während ich ihn drinnen am Waschbecken rumoren hörte, fiel mein Blick auf sein Notizbuch, das er auf dem Schreibtisch vor dem Fenster hatte liegen lassen. Einem plötzlichen Impuls folgend stand ich von meiner Couch auf, ging zum Schreibtisch und schlug das Buch auf. Fein säuberlich waren dort Berichte über unsere Sitzungen in seiner engen Handschrift eingetragen. Da ich nicht wußte, wann er zurückkehren würde, beschränkte ich mich auf die Eintragungen des letzten Tages. Was ich dort zu lesen bekam, entsetzte und erboste mich gleichermaßen. Außerdem bestätigte es mich in meiner tiefen Überzeugung, daß dieser Mann in höchstem Maße inkompetent sein mußte. In seinem Eintrag hatte er vermerkt, daß ich durch die Folgen des Unfalles offensichtlich wahnsinnig geworden sei und er eine Einweisung in eine geschlossene Anstalt so bald wie möglich als dringend ratsam empfahl, da er glaubte, daß ich zur Gewalttätigkeit neigte. Wie ich aus seinen Vermerken ersehen konnte, hatte er den heutigen Tag als letzten für meine Behandlung vorgesehenen vermerkt. Nach einem abschließenden Bericht, gedachte er, eine entsprechende Empfehlung an die Klinik zu schicken, was meine sicherere Unterbringung in einem Irrenhaus zur Folge gehabt hätte.

Mit zitternden Fingern legte ich das Buch beiseite, weil ich aus dem Waschraum Geräusche wahrnahm, die anzeigten, daß der Arzt sich daran machte, das Behandlungszimmer wieder zu betreten. Schnell legte ich das Buch in der Position zurück, wie ich es vorgefunden hatte und legte mich auf der Couch zurecht, den Eindruck äußerster Gelassenheit und Ruhe vortäuschend. Ich mußte meine Rolle gut gespielt haben, denn der niederträchtige Quacksalber schien keinen Verdacht zu schöpfen, zumal er in der Behandlung fortfuhr, ohne auch nur eine Bemerkung fallen zu lassen, die mir verraten hätte, daß er etwas bemerkt habe. Nach der Sitzung entließ er mich ahnungslos in völliger Verzweiflung, wußte ich doch, daß dies die letzte Behandlungsstunde gewesen war und meine Zukunft düster enden sollte. Noch hatte ich eine kleine Gnadenfrist, da das Wochenende bevorstand und ich somit nicht befürchten mußte, daß sein Bericht die Klinik vor Montag erreichen würde. Zutiefst besorgt und voll finsterer Ahnungen trat ich den Heimweg an, ratlos, was nun zu tun sei. In der Praxis hatte ich für einen kurzen Augenblick erwogen, den Arzt einfach umzubringen, um ihn davon abzuhalten, jenen verhängnisvollen Bericht zu schreiben. Aber erstens brachte ich den Mut zu solch einer Mordtat nicht auf und zweitens wäre mein Verbrechen zweifelsfrei schon bald aufgedeckt worden, wobei man schon nach kurzer Zeit zu dem Schluß hätte kommen müssen, daß es sich dabei um mich als den Täter handelte. Das hätte mich mit um so größerer Gewißheit ins Irrenhaus, wenn nicht an den Galgen gebracht. Solchermaßen ratlos und ohne Hoffnung kehrte ich nach Hause zurück, wo ich mich wütend, Tränen der Verzweiflung und Enttäuschung vergießend, auf mein Bett warf, ohne zu ahnen, daß ich über eine der gefährlichsten Waffen verfügte, die je ein Menschen sein Eigen genannt hatte.

Wut, Haß und panische Furcht vor meinem scheinbar so unausweichlichen Schicksal hatten mich auf das Äußerste erschöpft, so daß ich nach einer Weile in einen tiefen Schlaf fiel. Doch selbst hier sollte ich keine Erlösung finden vor den Qualen, die mich und mein verfluchtes Leben heimsuchten. Womit hatte ich das verdient, ich, der ich mein Leben lang nichts als meine Pflicht getan hatte, ohne, daß ich mir je etwas zu Schulden hätte kommen lassen? Welcher verschlagene und zynische Gott hatte mich zum Spielball seiner obszönen Phantasie werden lassen? Im Traum jagte mich das Gesicht jenes Hypnotiseurs, wobei er mich mit stechenden Augen voller Verachtung ansah, Anweisungen gab, mich in eine Zwangsjacke zu stecken und in eine finstere Einzelzelle zu sperren, wo ich mir, wahnsinnig vor Angst, den Kopf an den Wänden blutig schlug und Verwünschungen gegen meine Peiniger ausstieß. Der Traum wollte kein Ende nehmen. Schließlich sank ich in einer Ecke meines Gefängnisses zu Boden, wo ich haltlos zu weinen begann. Ich sah mich selbst, wie durch ein Guckloch, das an der Decke der Zelle angebracht war. Dann, ich weiß nicht wie es geschah, schien sich das Loch, durch das ich spähte, zu vergrößern.
Mir war, als fiele ich direkt auf mein verzweifeltes Ebenbild zu, rasend schnell. Ich sah noch, wie mein Konterfei mich entsetzt anstarrte, dann war es dunkel um mich herum und im nächsten Moment sah ich durch die Augen des Gefangenen, sah jene verschmutzte dunkle Zelle, in der ich in einer Ecke kauerte. Oh Entsetzen, wer vermag den Schrecken zu beschreiben, der nun von mir Besitz nahm. Ich war gleichsam eins geworden mit der Traumgestalt, mit meinem Traum-Ich. Verzweiflung überkam mich, doch war ich nun auf das Äußerste entschlossen, diesem Gefühl nicht nachzugeben. Angestrengt dachte ich nach, wie ich mich aus dieser misslichen Lage befreien konnte. Längst hatte ich vergessen, daß dies nur ein Traum war, so real erschien mir alles, so verblüffend echt, daß ich gar nicht auf die Idee kam, einer Illusion zum Opfer gefallen zu sein. Wie gesagt, nahm ich all meine Sinne zusammen, um einen Plan zu ersinnen, der mich aus meinem Gefängnis befreien würde. Schließlich sammelte ich mich und rief mit bewußt vernünftigem Grundton in der Stimme nach einem Wärter. Schon nach wenigen Augenblicken öffnete sich eine Luke in der Tür und ein Gesicht zeigte sich, dessen Besitzer mich nach meinen Wünschen fragte. So normal wie es mir in meiner misslichen Lage möglich war, bat ich ihn, doch den für diese Einrichtung Verwantwortlichen zu holen, ihm mitzuteilen, daß ich mich von meiner offensichtlichen Bewußtseinstrübung erholt habe und um Entlassung bäte. Der Wärter nickte und sagte, daß er sogleich nach dem Anstaltsleiter schicken lassen würde.

Und wirklich, schon einige Minuten später öffnete sich die Tür. Ein hochgewachsener Mann, dessen Gestalt mir merkwürdig vertraut vorkam, betrat mit auf den Boden gesenktem Blick, so daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte, meine Zelle. Man kann sich meine Wut und mein äußerstes Entsetzten vorstellen, als der Mann den Blick hob und ich in ihm nur jenen widerwärtigen Scharlatan erkannte, der dafür verantwortlich war, daß ich in diesem Loch gelandet war. Er verzog sein Gesicht zu einer hämisch grinsenden Fratze, die mir jegliche Hoffnung raubte, diesen Ort des Grauens jemals wieder verlassen zu können. Ich warf mich auf den Boden, mich im Dreck wälzend, schrie ich...

...Wut und Verzweiflung aus mir heraus, als ich mit tränenverschleierten Augen erwachte, am ganzen Körper zitternd wie Espenlaub. Ich hob den Kopf. Der Morgen war schon fast angebrochen, schlieriges Grau sickerte durch die Fenster meiner kleinen Wohnung, einen neuen Tag voll Verzweiflung und Ungewißheit verheißend. Der Traum hatte mich so zerrüttet, daß ich nicht mehr in der Lage war, einzuschlafen. Ich zog mich aus, nahm ein heißes Bad, um so wenigstens einen Teil meiner finsteren Gedanken zu vertreiben. Anschließend kleidete ich mich wieder an und verließ das Haus, mit dem Ziel irgendwo in der Stadt zu frühstücken. Doch wollte sich keine Erleichterung einstellen. Keine Zerstreuung fand ich im Getriebe der Stadt, keine Ablenkung war mir beschieden. So landete ich nach kilomerlangen, ziellosen Spaziergängen in einem verrufenen Viertel der Stadt, wo in einer üblen Spelunke landete, um mich sinnlos zu betrinken. Irgendwann, ich hatte fast den ganzen Tag in der Absteige verbracht, warf mich der Wirt auf die Straße.

Vom Alkohol benebelt wankte ich durch die Gassen, bis es mir gelang ein Taxi zu stoppen und den Fahrer zu überreden, mich trotz meines unglaublichen Zustandes nach Hause zu fahren. Ich schaffte es mit letzter Kraft die Treppen nach oben zu meiner Wohnung, wo ich halb besinnungslos aufs Bett fiel. Doch auch der Schnaps brachte nicht das erhoffte Vergessen. Zwar schlief ich fast umgehend ein, doch kurz darauf entführte ein Traum mich diesmal in eine verlassene Gegend der Stadt, nahe dem stillgelegten Hafen. Wieder sah ich alles von oben. Regen strömte auf das glänzende Pflaster, als ich von irgendwoher hastige Schritte sich nähern hörte. Ich gewahrte alles aus der Vogelperspektive, so als schwebte ich schwerlelos über der Szenerie. Von Norden her näherte sich ein Mann mit schnellen Schritten dem Kai.

Er trug einen Mantel sowie einen Hut und hatte den Kragen wegen des starken Regens nach oben geschlagen, so daß ich nicht erkennen konnte, um wenn es sich handelte. Er machte den Eindruck, als habe er sich verirrt, seine Schritte wirkten jetzt unsicher, während er zwischendurch ein paar Mal anhielt, um sich umzuschauen, so als wolle er sich orientieren. Plötzlich erstarrte der Mann. Vom Kai her näherte sich der ins groteske vergrößerte Schatten eines breitschultrigen Mannes. Der Verirrte hob den Blick und jetzt gewahrte ich, daß es sich wieder um jenen Hypnotiseur handelte, dessen Urteil für mich lebenslange Irrenanstalt bedeuten sollte. Wie gebannt starrte er auf den sich nähernden Schatten, dessen Besitzer sich langsam aus dem Dunkel der Nacht schälte. Der Schattenmann hob nun einen Arm, in dem die Klinge eines langen Messers im Licht der trüben Straßenlaternen blitzte wie eine Lanze. Das Gesicht des Arztes verzog sich zu einer Maske des Entsetzens, als der Unbekannte das Messer mit große Wucht niedersaußen ließ. Wieder und immer wieder traf die Klinge den Körper des Unglücklichen der getroffen von unzähligen Stichen zu Boden sank, wo sich das Blut mit dem abfließenden Regenwasser vermengte und in das Hafenbecken gespült wurde. Schwer atmend stand nun der Mörder über sein Opfer gebeugt. Ein Schauder durchlief ihn, während sein Brustkorb sich hob und senkte. Dann beugte er den Kopf in den Nacken und stieß ein solch wüstes Geheul aus, daß ich vor Entsetzen erschauerte. Doch wer beschreibt mein namenloses Grauen, als ich mich in jenem brutalen Mörder erkannte, der da wie ein wildes Tier über seinem Opfer stand, einen Fuß auf den Brustkorb des Toten gestellt, um sein Siegesgeheul in die verregnete Nacht zu stoßen. Von panischer Angst erfaß wandte ich mich ab von der Szenerie des Schreckens und...

...landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Teppich vor meinem Bett. Mein Herz raste, als ich die Augen aufschlug und mit großer Erleichterung feststellte, daß es sich lediglich um einen Traum gehandelt hatte, wenn auch um einen von erschreckender Klarheit und Wirklichkeitsnähe. Ich mußte wieder, betäubt vom ungewohnten Alkoholkonsum, eingeschlafen sein. Und das für einen langen Zeitraum, denn schon wieder brach draußen ein neuer Tag an. Ein neuer Tag, der mich unaufhaltsam meinem grausamen Schicksal näher bringen sollte. Ich sah an mir herab und erkannte, daß ich noch die nämliche Kleidung trug, mit der ich trunken durch jenes verwahrloste Viertel gestapft war, wo mich schließlich der Taxifahrer mitgenommen hatte. Meine Kleidung stank entsetzlich und befand sich überhaupt in höchst bedenklichen Zustand. Ich war blutverschmiert, mußte mich offenbar aufgrund meiner Trunkenheit bei einem Sturz auf das Pflaster der Straßen verletzt haben. Schnell zog ich mich aus und stopfte die alte Kleidung in einen Beutel, den ich später in den Müll werfen wollte. Ein heißes Bad brachten einen Teil meiner Lebensgeister zu der Überzeugung, daß es angebracht wäre zu mir zurückzukehren und nachdem ich mich frisch eingekleidet hatte, beschloß ich, daß es an der Zeit war, etwas frische Luft zu schnappen. Als ich auf die Straße trat, hatte das alltägliche Stadtleben schon begonnen. Ich nahm die nächste Straßenbahn in die Innenstadt, wo ich in einem Café ein kräftigendes Frühstück zu mir nahm. Anschließend begab ich mich im Stadtpark auf einen Spaziergang, der mich dergestalt kräftigte, daß ich schon wieder beträchtlichen Appetit verspürte, was mich angesichts meiner verzweifelten Lage nicht wenig Wunders nahm. Dennoch entschloß ich mich, ein gemütliches Lokal in der Innenstadt aufzusuchen. Mittlerweile war es schon später Nachmittag geworden und von einem Zeitungsausträger erstand ich eine Abendausgabe, die ich während meiner Mahlzeit zu lesen gedachte. Nachdem ich es mir in der Gaststube bequem gemacht hatte, begann ich in der Zeitung zu blättern. Schon auf der zweiten Seite las ich einen Artikel, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.


Bekannter Arzt Opfer eines bestialischen Mordes

Entsetzen über den Mord an einem stadtbekannten Mediziner. In den späten Abendstunden wurde ein 45-jähriger, sehr bekannter Psychiater eines bestialischen Verbrechens. Mit unzähligen Messerstichen übersät wurde die Leiche des Mannes auf einem Kai in der Nähe des stillgelegten Hafens gefunden. Für den Arzt kam jede Hilfe zu spät. Über die näheren Umstände des Verbrechens wollte man seitens der Polizei noch keine näheren Angaben mache, da diese Informationen auch dem Täter helfen könnten. Was der Arzt zu dieser Stunde in der verlassenen Gegen der Stadt zu suchen gehabt hatte, bleibt bis zur Stunde rätselhaft.


Meine Hände legten zitternd das Blatt auf den Tisch vor mir. Ich sah, wie der Kellner mich mit einer Mischung aus Besorgnis und gereizter Arroganz ansah. So, als hätte er Angst, ich würde mich auf seine weiße Tischdecke übergeben. Dieser Schnösel hatte keinen Funken Mitleid in seinem verdorbenen Leib. Nach einer Weile gelang es mir schließlich, meine Selbstbeherrschung wieder zurückzugewinnen. Deutlich sah ich, wie sich der überhebliche Kellner zu entspannen schien, jetzt da die Gefahr für seine Tischdecke offenbar gebannt war. Ich schlug noch einmal die Zeitung auf, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Der Artikel stand noch so vor meinen Augen, wie ich ihn vor wenigen Augenblicken gelesen hatte. Natürlich, das haben Sie längst erraten, handelte es sich um jenen, von mir so gehaßten Scharlatan, den nun sein verdientes Schicksal ereilt hatte. Welch eine Vorsehung! Die Gefahr, in der Irrenanstalt elendig zu verrecken, war mit einem mal gebannt worden. Das Gefühl der Panik und des Entsetzens, das mich vor einigen Minuten noch zu übermannen drohte, machte nun einer tiefen Befriedigung Platz, die meinen Körper in warmen Wellen durchflutete und mir Momente ungeahnten Glücks bescherte. Welch ein Triumph! Natürlich hatte dies alles nichts mit meinem entsetzlichen Traum zu tun. Hier handelte es sich lediglich um eine glückliche Fügung des Schicksals. Der Traum, der mich letzte Nacht verfolgt hatte, war lediglich das Resultat meiner angeschlagenen Moral. Nur zu verständlich, bedenkt man, welches Los auf mich gewartet hätte, wäre es diesem verabscheungswürdigen Blaubart wirklich gelungen, ein solch vernichtendes Urteil über mich zu fällen. Nun, ein vernichtendes Urteil ganz anderer Art war gefällt worden und dies verlangte geradezu nach einer gebührenden Würdigung. Noch ahnte ich nicht im Geringsten, welch abscheuliche Kraft mir von einer Laune der Natur in den Schoß gelegt worden war.

Sogleich bestellte ich bei dem Kellner eine Flasche Champagner und ein Dutzend Austern. Er sah mich herablassend von oben bis unten an, als bezweifle er, ob ich in der Lage sei, das von mir bestellte überhaupt bezahlen zu können. Tatsächlich war es um meine Finanzen, die nun einmal die eines kleinen Beamten waren, nicht sonderlich gut bestellt.

Dies hatte jedoch andere Gründe, auf die ich noch zu sprechen komme. Nichts destotrotz verfügte ich über genug Erspartes, um mir ein Festmahl in diesem feinen Restaurant zu gönnen. Das, was eigentlich ein Abschiedsessen vom normalen Leben hatte werden sollen, wurde nun zu einer rauschenden Feier der Wiedergeburt. So orderte ich im Laufe des herannahenden Abends noch zwei weitere Flaschen, die ich ebenfalls leerte. Alsbald verfiel ich darauf, wilde Lieder zu singen und die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf mich zu lenken. Nun sah der arrogante Kerl von einem Kellner seine Gelegenheit gekommen. Er konnte handeln, jetzt, da ich ihm durch mein rüpelhaftes Benehmen ein perfektes Alibi lieferte. Nachdem er mich mehrmals vergebens aufgefordert hatte, meine Lautstärke der Vornehmheit dieser Lokalität anzupassen, sah er sich zu körperlicher Gewalt gezwungen. Er war größer als ich und bei weitem kräftiger, so daß ich gegen sein brutales Eingreifen keinerlei Chance hatte. Ich erinnere mich noch genau an das gemeine Feixen der anderen Gäste, als der Kellner mich am Kragen packte, hochzerrte und so durch das halbe Lokal zerrte, mich der Lächerlichkeit preisgebend. Ich flog in hohem Bogen auf den Bürgersteig. Auf dem Treppenabsatz stand jener niederträchtige Rohling und lachte mich aus, nicht ohne mich davor zu warnen, jemals wieder einen Fuß in sein Restaurant zu setzen. Er verschwand, nur um kurz darauf wieder zu erscheinen. Diesmal hielt er meinen Hut und meinen Mantel in der Hand. Beides schleuderte er mit einem Ausruf der Verachtung auf den nassen Asphalt. Wütend und erniedrigt lag ich mit angeschlagenen Gliedern auf dem Pflaster, während Passanten mich mit einer Mischung aus Mitleid und leichtem Verdruß ansahen, als sei ich ein von seinem Herren verlassener, winselnder Kläffer.

Ich nahm Hut und Mantel auf und taumelte fluchend davon. Unterwegs machte ich Rast in einer der zahlreichen billigen Gaststuben, die auf der Strecke lagen und spülte die Demütigung mit Schnaps und Bier so gut es eben ging hinunter. Ich weiß nicht, wann ich nach Hause wankte, lallend und Flüche gegen den überheblichen Kellner ausstoßend. Meine Wut war keineswegs, so wie ich gehofft hatte, abgeebbt, sondern hatte sich zu wilder Raserei gesteigert. Ich tobte, fluchte und spuckte gegen die dunklen Hausfassaden. Hier und da öffnete sich ein Fenster und jemand drohte die Polizei zu holen, falls ich weiter so lärmen würde. Ich schleuderte wüste Flüche zurück, gebärdete mich wie ein Berserker. Überhaupt benahm ich mich so ganz wider meine frühere Natur, daß mir zwischendurch ein eisiger Schauer über den Rücken lief, angesichts der rasanten Entwicklung, die mein Charakter in der letzten Zeit durchgemacht hatte. Irgendwann nach Mitternacht erreichte ich schließlich unbehelligt meine Wohnung, wo ich wieder betäubt und ohne mich zu entkleiden auf mein Bett fiel, um sofort einzuschlafen.

Der Traum, der diesmal folgte, war im Vergleich zu den vorhergehenden von nie dagewesener, bestürzender Realität. Er führte mich, wen würde es Wunder nehmen, zu eben jenem Restaurant, wo man mir die schmachvolle Behandlung hatte zuteil werden lassen. Wieder sah ich von oben herab auf eine deutlich vor mir liegende Szenerie. Ich konnte einen Blick in die Gaststube werfen, wo der besagte Kellner offensichtlich gerade dabei war, die Stühle auf die Tische zu stellen und das Restaurant abzuschließen. Er hatte seine Dienstbekleidung schon abgelegt und trug einen grauen Mantel und einen Hut gleicher Farbe, dazu passende elegante Straßenschuhe. Nachdem er das Licht gelöscht hatte, schloß er die Eingangstür des Restaurants ab und begab sich auf den Bürgersteig. Dort folgte ich ihm die beleuchtete Straße hinab. Sein Weg führte ihn in ein mir wohl bekanntes Viertel, in dem es von diversen Gaststätten jeglicher Couleur nur so wimmelte. Hier hatte ich mich in jener denkwürdigen Nacht, als der Scharlatan sein Leben lassen mußte, aus lauter Verzweiflung betrunken. Der mir verhaßte Kellner betrat eine schummrige Bar, wo er den Barkeeper zu kennen schien. Die beiden begrüßten sich herzlich mit einer Umarmung und küßten sich zu meinem Befremden auf die Wange.
Mein Kellner bestellte sich einen Drink. Etwas an der Bar erschien mir äußerst merkwürdig. Es dauerte eine Weile, bis ich bemerkte, daß es die Abwesenheit von Frauen war. Man sah nur Männer, die auffallend gut gekleidet waren. Meist saßen sie an kleinen Tischen zu zweit, eng beieinander. Erst als ich sah, wie zwei sich eng umarmten und innig küßten, verstand ich, wo sich mein arroganter Freund aufhielt. Nun, von solcher Art war er also. Meine Aufmerksamkeit wurde von einem dunklen Schatten abgelenkt, der sich auf den Kellner zu bewegte. Ein dunkel gekleideter Mann, dessen Gesicht von einem Hut verborgen war, näherte sich ihm und sprach ihn an. Ich sah, wie er ihm einen Packen Geldscheine unter der Hand zuschob. Mein Kellner nickte, trank seinen Whisky aus und folgte dem dunkel Gekleideten, der seinen Hut immer noch tief ins Gesicht gezogen hatte, hinaus auf die Straße. Er lief dem Dunklen hinterher, der sich immer weiter in die engen Gassen, in eine weniger belebte Gegend zurückzog. An einer Sackgasse angekommen, nickte der Dunkle meinem Kellner zu, der sich, noch einmal nach allen Seiten umdrehend, um sicher zu gehen, daß sie nicht beobachtet wurden, in eine dunkle Ecke der Gasse begab. Der Dunkle folgte ihm, tauchte lautlos in den Schatten der Gasse ab. Ein Schauder durchlief mich, als ich sah, wie mein Kellner sich vor den Anderen kniete, und sich an seinem Hosenstall zu schaffen machte. In diesem Augenblick lüftete der dunkle Mann seinen Hut und tippte dem Kellner auf die Schulter. Als dieser aufsah, verwandelte sich sein Gesicht von einem Ausdruck des Erstaunens in kalte Wut, äußerste Empörung und einen Augenblick später in nacktes Entsetzen, als er sah, wie der dunkel gekleidete Mann ein kleines Beil zückte, mit dem er seinem Opfer im Nu den Schädel spaltete. Ein einziger, wuchtiger Streich genügte, um die Axt tief in den Knochen zu treiben. Wie ein gefällter Baum kippte der Kellner zur Seite, während sich sein Blut zäh und schwarz in einer langsam größer werdenden Pfütze auf dem Pflaster der schmutzigen Gasse ausbreitete.

Ich war nicht mehr überrascht, als ich mich in dem dunkel gekleideten Mann erkannte und an die Stelle des Entsetzens war ein Gefühl grenzenlosen Triumphes, tiefster Befriedigung und absoluter Macht getreten. Mein blutrünstiges Siegesgeheul hallte in der dunklen Gasse unheimlich wider, während ich meine Fäuste wie ein Wahnsinniger auf den Brustkorb hieb...

...wurde ich vom Klopfen an der Tür meiner Kleinen Wohnung aus dem Traum gerissen. Es war meine Untermieterin, die besorgt fragte, warum ich so schrie. Verwirrt sah ich mich um. Draußen dämmerte schon wieder der Morgen und ich lag noch mit Mantel und Schuhen bekleidet auf meinem Bett. Ich beruhigte die Frau, sagte, daß ich einen Alptraum gehabt hätte und hörte, wie sie offenbar befriedigt von meiner Antwort, die Treppe nach unten verschwand. Mein Herz pochte in einem wilden Stakkato, während mein Atem dem Pfeifen einer defekten Dampfmaschine glich. Ich mußte mich in meinem Traum auf das Äußerste verausgabt haben. Unterwäsche, sowohl als auch Hemd, Hose und Jackett waren extrem verschwitzt, so als wäre ich um mein Leben gerannt. Die Muskeln meiner Beine brannten und schmerzten, als hätte ich einen veritablen Hindernislauf hinter mir.
Mein Kopf dröhnte, wobei ich leise fluchend auf mein neues Laster schimpfte, das so intensiv und süchtig machend von mir Besitz ergriffen hatte. Früher war mir Alkohol in jeglicher Form fremd gewesen. Ich pflegte die Abende lesend zu verbringen und früh zu Bett zu gehen. Mein jetziger Lebenswandel war meiner Natur so fremd, daß ich einen Moment ernsthaft erwog, dem Urteil meines jetzt toten Hypnotiseurs recht zu geben. Aber war es nicht jener Quacksalber gewesen, dessen vernichtendes Urteil über meinen Geisteszustand erst diesen Zustand hervorgerufen hatte? Und davon abgesehen, noch nie in meinem über vierzigjährigen Leben hatte ich solche Emotionen durchlebt, wie dies in den letzten drei Tagen der Fall gewesen war. Eine nie gekannte Flut von Gefühlen, die mich auf das äußerste verwirrte und entzückte zugleich. Ich mußte lernen damit umzugehen, mit meinem neuen, erfüllten Leben. Dann fiel mir mein Traum ein. Und der Kellner, der in demselben so grausam sein Leben ließ.

Es durchzuckte mich ein Blitz. Gewißheit, ich mußte Gewißheit erlangen. Wenn der Mann tatsächlich auf diese Weise ums Leben gekommen war, wie ich es in meinem Traum erlebt hatte... ich wagte nicht an die Konsequenzen zu denken. Doch zuallererst galt es herauszufinden, ob der Kellner noch unter den Lebenden weilte. War dies der Fall, so konnte ich den Traum immer noch meinem desolaten Geisteszustand zurechnen. Wenn nicht, die Konsequenzen wagte ich nicht, mir auszumalen. Sogleich machte ich mich daran, mich meiner schmutzigen und durchschwitzten Kleidung zu entledigen, um mich anschließend im Bad zu waschen und frisch zu machen. Nachdem ich mich angekleidet hatte, bereitete ich mir einen starken Kaffee, um so, ungeduldig wartend, die Zeit zu überbrücken, bis das normale Leben in der Stadt seinen Betrieb aufnehmen würde. Heute mußte ich mich besonders in Geduld über, da es Sonntag war. Ich überlegte derweil, wo ich die von mir gewünschte Information her bekommen sollte. Zwar hatte ich eine Idee, doch schien sie mir zu gewagt. Auf der anderen Seite, war es nicht Wahnsinn zu glauben, daß ich tatschlich in der Lage sein könnte, mittels meiner Träume zu töten, oder das Schicksal anderer in solchem Maße zu beeinflussen? Ich hatte vor, heute mittag einfach in dem Restaurant vorbeizuschauen, um nachzusehen, ob der Kellner seinen Dienst antrat. Ich konnte immer noch anführen, daß ich mich bei ihm für mein Fehlverhalten entschuldigen wollte.

Nachdem ich diesen Plan gefaßt hatte, gelang es mir, mich ein wenig zu beruhigen, was mir das Warten auf den nun immer schneller herannahenden Morgen etwas erleichterte. Nichtsdestotrotz schlich der Tag mit unerträglicher Langsamkeit dahin. Schließlich war es kurz vor Mittag, so daß ich nun aufbrach, um mich zu besagtem Restaurant zu begeben. Nachdem ich die Straßenbahn an der Station verlassen hatte, die dem Restaurant fast unmittelbar gegenüberlag, sah ich schon, daß etwas nicht stimmte.

Vor dem Gasthaus hatten sich einige Menschen versammelt, offensichtlich Angestellte des Restaurants, die darauf warteten, das ihnen der Besitzer öffnete. Aufgeregt tuschelten sie miteinander, wobei einige von ihnen immer wieder in die Fenster des Restaurants hinein sahen, als warteten sie ungeduldig auf jemanden. Ich blickte auf die Uhr. Es war jetzt kurz vor zwölf. In der Tat hätten die Angestellten schon längst in der Gaststube mit Vorbereitungen für die Gäste zu Gange sein müssen, da die Lokalität, wie ich wußte, offiziell um zwölf öffnete. Unauffällig näherte ich mich der Menschenansammlung, tat so, als studiere ich den Fahrplan der Straßenbahn, wobei ich mich seitlich abwandte und den Hut tief ins Gesicht zog, weil mich mit einem mal das Gefühl ankam, es könnte besser sein, unerkannt zu bleiben.

Kurz darauf wurde die Eingangstür des Restaurants geöffnet. Das besorgte Gesicht des Besitzers erschien in dem Türspalt. Aufmerksam lauschte ich, bemühte mich, Gesprächsfetzen mitzubekommen, um so meine eigenen Schlüsse aus dem Gesagten zu ziehen. Eine nagende Unruhe hatte von mir Besitz ergriffen. Tatsächlich erhaschte ich Teile dessen, was der Besitzer seinen Angestellten mitzuteilen hatte. Von einem entsetzlichen Vorfall, von Mord, war die Rede. Daß das Lokal heute geschlossen bliebe, alle bitte zum Hintereingang kommen sollten. Außerdem hörte ich etwas von Polizei und Vernehmung. Kurz darauf löste sich der Menschenpulk auf, die Angestellten verschwanden hinter dem Gebäude, jetzt noch aufgeregter miteinander schwatzend. Kurz darauf wurde von innen ein Schild an die Tür gehängt. "Wegen Todesfall heute geschlossen" war darauf zu lesen. Mein Herz machte einen Sprung, ich mußte mich an dem Pfosten des Halteschildes festhalten, weil ich das Gefühl hatte, der Boden würde unter meinen Füßen weggezogen. Und noch etwas, was der Besitzer des Restaurants gesagt hatte, hallte in mir nach, schrill wie die Alarmglocke einer Feuerwache:
"Polizeiliche Vernehmung..." Ich mußte hier so schnell wie möglich weg. Erst jetzt erkannte ich die Torheit meines Vorhabens, hier noch einmal aufzutauchen und pries meine Vorsicht, mich nicht gleich zu erkennen gegeben zu haben, als ich die Menschenansammlung vor dem Restaurant gesehen hatte. Ich mußte hier weg, bevor mich doch noch jemand erkannte, um daraus für mich fatale Schlüsse zu ziehen. Im selben Augenblick hörte ich, wie sich die Straßenbahn der Haltestelle näherte. Unauffällig mischte ich mich unter die Fahrgäste und sah erleichtert zu, wie sich die Bahn immer weiter von dem Restaurant entfernte. Als mein Waggon um die Ecke bog, sah ich, wie zwei Streifenwagen an uns vorbeifuhren und vor dem Restaurant anhielten. Ich setzte mich und atmete tief durch.

Irgendwo, in einem anderen Teil der Stadt, stieg ich aus. Ich wußte nicht einmal genau, wo ich mich befand. Es war ein Viertel, in dem ich mich noch nie aufgehalten hatte. Ich sah der sich entfernenden Straßenbahn hinterher, die in einer langen von Bäumen gesäumten Allee verschwand und wandte mich um. Die Straße war fast menschenleer, so daß ich mich entschloß, einfach drauf los zu marschieren. Nach ein paar Metern suchte ich ein an der Straße gelegenes Café auf, wo ich in Ruhe über meine weiteres Vorgehen nachdenken wollte. Es dauerte eine Weile, bis es mir gelang, meinen Geist auf das zu konzentrieren, was in den zurückliegenden Stunden geschehen war. Auch wenn ich noch nicht begriff, wie es geschah, so war ich mittlerweile davon überzeugt, daß es sich bei den beiden Todesfällen nicht um Zufälle halten konnte. In welcher Weise sie allerdings mit meinen Träumen zusammenhingen, konnte ich jedoch nicht sagen. Fest stand, daß ich jeweils nach emotional aufwühlenden Erlebnissen große Mengen Alkohol zu mir genommen hatte und anschließend in einen der Trance nicht unähnlichen Schlaf verfallen war, in dem ich zukünftige Geschehnisse träumen konnte.

Die Frage war, ob es sich tatsächlich so verhielt, daß ich mittels meiner Träume in der Lage war, Handlungsabläufe zu beeinflussen und, der Gedanke machte mich schwindeln, andere Menschen zu töten, ohne mich an dem bewußten Ort aufzuhalten. Denn eines war sicher. Ich hatte unmöglich an zwei Orten gleichzeitig sein können. Zwar befand ich mich zu den Zeitpunkten der jeweiligen Tat in einem Zustand der Bewußtlosigkeit, so daß ich für mein Tun kein Zeugnis ablegen konnte, doch war ich jeweils so weit vom Tatort entfernt gewesen, daß es mir selbst im Zustande wahnsinniger Raserei unmöglich gewesen wäre, an dem Tatort zu sein, um anschließend nach kurzer Zeit wieder in meinem Zimmer aufzuwachen. Es mußte eine Möglichkeit geben, herauszufinden, ob es sich tatsächlich so verhielt, daß ich Kraft meiner Träume Einfluß auf das Schicksal anderer nehmen konnte. Ich dachte angestrengt nach und kam schon bald auf eine mir glänzend erscheinende Idee. Meine geschiedene Frau war mir eingefallen. Jener Mensch, der mein bisher von Gleichmaß und Frieden durchdrungenes Leben für eine kurze Zeit aus dem Gleichgewicht brachte, um mich fast in den Ruin zu treiben. Ich weiß noch, daß ich mich eines Tages entschlossen hatte, eine Bekanntschaftsanzeige aufzugeben. Nach langen Junggesellenjahren hatte ich erwogen, eine Familie zu gründen. Durch mein zurückgezogenes bescheidenes Leben war es mir nicht vergönnt, die Bekanntschaft von Damen zu machen. Dies hatte jedoch den Vorteil gehabt, daß ich mein Geld mangels Gelegenheit, einfach nicht ausgab und es stattdessen zur Bank trug, wo mich ein Anlageberater betreute, der es durch gescheite Finanzierungstaktik beträchtlich zu vermehren wußte.

Kurz und gut, ich hatte ein kleines Vermögen angespart und war bereit, mein Leben mit einer anderen Person zu teilen. Schon nach der dritten Anzeige meldete sich eine Frau, von der ich überzeugt war, sie sei die ideale Partnerin, um mit ihr den Bund fürs Leben zu schließen. Doch schon bald nach unserer Hochzeit begann sie, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Ich möchte nicht näher auf die unerquickliche und im höchsten Maße unglückliche Episode in meinem Leben eingehen. Nur so viel. Sie mußte es von Anfang an auf mein Geld abgesehen haben. Denn in der kurzen Zeit unserer Ehe gelang es ihr, mich derart zu provozieren, daß ich sie schlug. Und das vor Zeugen. Das Urteil zu meinen Ungunsten war schnell gefällt. Ich mußte den größten Teil meines Vermögens an sie abtreten und zahle ihr bis heute von meinem ohnehin nicht gerade üppigen Gehalt eine monatliche Rente. Und das im Namen des Gesetzes. Bei dem Gedanken an sie, stieg in mir wieder diese wohlbekannte Wut, dieser versengende Haß auf. Und schon kurz darauf hatte ich einen genauen Plan geschmiedet, wie ich vorgehen würde. Schnell bezahlte ich meine Rechnung und machte mich auf den Weg zur nächsten Telefonzelle. Schon ein paar Ecken weiter, an einem öffentlichen, begrünten Platz, war meine Suche erfolgreich. Ich suchte ihre Nummer aus dem Telefonbuch und wählte. Gespannt wartete ich darauf, daß sie abhob. Und wirklich. Ich hatte Glück. Schon nach dem vierten Läuten hob sie ab. Und sie hatte sich kein bißchen verändert. Kaum hörte sie meine Stimme, da fragte sie in ihrer typischen lässig, herablassenden Art, was mir einfiele, sie zu stören. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken, wiewohl ich nicht verhindern konnte, daß ein kleiner Anflug von Ärger meine Stimmung trübte, als die mir so verhaßte Stimme erklang. Ich täuschte eine finanzielle Krise vor, die mich nach meiner langen Krankheit und der Zeit im Koma ereilt hatte und bat sie, mir zu erlauben, die monatlichen Zahlungen für eine Weile auszusetzen. Ihr schrilles abfälliges Lachen, das ich zur Antwort bekam, als ich meine Bitte vortrug, klingt mir noch heute in den Ohren. Nun begann der schwierigere Teil meines Planes. Ich verlegte mich aufs Betteln, wissend, daß sie diese Erniedrigung, die ich mir so selbst zufügte, genießen würde. Schließlich hatte ich sie soweit, daß sie mich empfangen würde.

Wenigstens, um sie noch einmal zu sehen. In ihrer grenzenlosen Selbstüberschätzung glaubte sie tatsächlich, daß ich noch etwas für sie empfinden würde und ließ sich dazu herab, mir eine Art Audienz zu gewähren. Aber nur in Anwesenheit ihres Anwaltes. Damit hatte ich gerechnet. Der erste Teil meines Planes war aufgegangen. Da ich wußte, daß sie schon während unserer Ehe ein Verhältnis mit ihrem Rechtsanwalt gehabt hatte, war ich davon ausgegangen, daß sie darauf bestehen würde, ihn in ihrer Nähe zu haben. Die beiden hatten von Anfang an gegen mich intrigiert. Das nachzuweisen, war mir jedoch sehr zu meinem Leidwesen nie gelungen. Nun hatte ich sie beide beisammen. Ich sah mich um und winkte mir ein Taxi herbei, daß ich zur Adresse meiner Frau beorderte. Dort angekommen, wies ich den Fahrer an, solange zu warten, bis ich wiederkehrte. Ich versicherte ihm, daß es nicht lange dauern würde. Nachdem ich ihm einen Teil der Fahrtsumme gezahlt hatte, willigte er ein. Auch dies war ein Teil meines Planes. Ich brauchte Zeugen. Das Haus, in dem sie wohnte, war eines jener teueren Apartmenthäuser mit Eigentumswohnungen. Ich klingelte Sturm und merkte schon bald, wie sich hier und da bei den einzelnen Wohnungsfenstern Gardinen bewegten. Gut so. Man beobachtete mich. Sie ließ mich ein, weigerte sich aber mit mir zu reden, bevor ihr Anwalt eintraf. Das war mir recht. So nutzte ich die Zeit des Wartens, mich über ihre gut sortierte Hausbar herzumachen, an der ich mich bis zum Eintreffen ihres Liebhabers gütlich tat. Ihr Anwalt hatte ein wenig Verspätung, und als er eintraf, war ich schon haltlos betrunken. Wie gesagt, durch meine jahrelange Abstinenz, zeitigte der Alkohol bei mir extreme Folgen. Als er eintrat musterte er mich von oben bis unten wie etwas, in das er auf dem Bürgersteig getreten war. Sie erklärte ihm mein Anliegen, wobei ich merkte, wie die beiden immer wieder kicherten und in meine Richtung blickten. Dies stachelte meine Wut noch mehr an. Schließlich wandte er sich an mich, um mir die Hoffnungslosigkeit meines Begehrens klar zu machen. Natürlich hatte ich mit nichts anderem gerechnet. Dennoch schrie ich Zeter und Mordio, bettelte, flehte, behauptete, daß meine Existenz gefährdet sei. Jetzt zeigten die beiden ihr wahres Gesicht, überhäuften mich mit Schmähungen der übelsten Art, wurden sogar handgreiflich. Meine Wut war nun nicht mehr gespielt, sondern echt. Am Ende warfen mich die beiden aus der Wohnung und als ich auf den Flur rollte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich Türen verstohlen schlossen.

Alles lief wie am Schnürchen. Ich wankte laut zeternd zum Aufzug, fuhr anschließend nach unten und ließ mich vom Taxi in eine Kneipe bringen, die sich unweit meiner Wohnung befand. Hier zechte ich haltlos weiter, dabei über das Erlebte intensiv nachdenkend. Dies brachte mich so in Rage, daß ich bald unangenehm auffiel. Doch bevor mich der Wirt rausschmeißen konnte, verließ ich das Lokal freiwillig und torkelte nach Hause, wo ich am Rande der Erschöpfung auf das Bett fiel und in einen tiefen Schlaf sank. Diesmal träumte ich von ihr und ihrem Anwalt gleichzeitig. Mein Blick war lupenrein. Wie durch ein Vexierglas, sah ich den dunkel gekleideten Mann einen Aufzug betreten, den ich als denjenigen erkannte, der zur Wohnung meiner Exfrau führte. Der Mann ging geradewegs auf die Wohnungstür zu und klingelte. Der Anwalt öffnete ihm und ich sah seinen abfälligen Gesichtsausdruck. Doch noch bevor er die Tür schließen konnte, sah ich, wie etwas in der Hand des Dunklen aufblitzte, woraufhin der Anwalt mit schreckgeweiteten Augen in die Wohnung zurücktaumelte, sich dabei an den Unterleib fassend. Wie durch einen Tunnel raste ich den beiden hinterher, sah wie meine Frau auf den Dunklen zugeeilt kam, der ihr den Anwalt direkt in die Arme schleuderte, wo er blutüberstromt zu Boden sackte. Wie sehr weidete ich mich an ihrem Schrecken, an ihren hervorquellenden Augen, als sich eine Schlinge um ihren Hals legte und langsam, aber mit unwiderstehlicher Kraft zugezogen wurde. Erst als ihr Körper schlaff in meinen Armen lag, ließ ich sie zu Boden gleiten. Denn inzwischen war ich wieder in den Dunklen gefahren, war nun selbst der Racheengel, der gerechte Strafe übte, an denen, die ihn gedemütigt hatten. Ein Geräusch hinter mir ließ mich herumfahren. Jemand klopfte an der Wohnungstür...

...und begehrte Einlaß. Ich hörte wie jemand behauptete, er sein von der Polizei und müsse unbedingt mit mir reden. Als ich mich aufrichtete, gewahrte ich, daß ich mich wieder in meiner kleinen Wohnung befand. Draußen war es taghell, ich mußte diesmal für lange Zeit geschlafen haben. Das Klopfen wurde immer fordernder und schließlich raffte ich mich auf, um zu öffnen. Vor mir stand ein hochgewachsener, bulliger Mann in Zivil, gefolgt von zwei uniformierten Polizisten. Ohne sich lange aufzuhalten, marschierten sie in meine Wohnung. Der Mann in Zivil nickte den beiden zu, woraufhin sie mit der Durchsuchung meiner Wohnung begannen. Ich protestierte schwach, verlangte eine Erklärung und bekam nur das zu hören, was ich schon wußte. Selbstverständlich war es unvermeidbar gewesen, daß all die Toten irgendwann einmal mit mir in Verbindung gebracht werden müßten. Beim Hypnotiseur hatte man meine Krankenakte gefunden, mein Auftritt im Restaurant war niemandem verborgen geblieben und der Tod meiner Exfrau und ihres Liebhabers und Anwaltes führte wieder zu mir.

In höchst arrogante Weise, begann der Polizist mit einem sehr durchtrieben geführten Verhör, bei dem er jedoch enttäuscht feststellen mußte, daß mich vorerst nicht festnehmen konnte. Es fehlten einfach Beweise. Er lud mich für den kommenden Tag ins Präsidium vor, wo ich meine Fingerabdrücke abgeben sollte. Die beiden Uniformierten hatten derweil meine Wohnung auf den Kopf gestellt, ohne daß sie etwas gefunden hätten. Wie auch. Es gab nichts zu finden. Träumen war bisher nicht verboten. Der Polizist musterte mich sekundenlang voll Verachtung, wobei ich nicht verbarg, daß ich für ihn nichts besseres empfand. In der Tat stieg in mir ein bislang nicht gekanntes Haßgefühl auf, das alles bisher dagewesen überschritt. Ich sah, wie der Polizist erschrocken zurückwich und mich angstvoll anstarrte. Dann verließ er, begleitet von den beiden Streifenbeamten, die Wohnung. Ich selbst war ein wenig erschrocken, von der Welle aus Haß, die mich eben überflutet hatte. Und als ich mich umsah, flackerte dieses Gefühl erneut auf. Sie hatten meine Wohnung ruiniert. Und dazu hatte ein leichtes Kopfnicken dieses arroganten Polizisten genügt. Wie haßte ich ihn. Und wie sehr war ich erschöpft. Erneut überkam mich eine Müdigkeit, der ich nur zu gerne nachkam. Ich entledigte mich meiner Kleidung und begab mich zu Bett.

Ich war nun im Besitz einer unheimlichen Macht, dessen war ich mir sicher. Einer Macht, die es mir erlaubte, kraft meiner Gedanken zu töten. Und ich wußte auch, wer mein nächsten Opfer sein würde. Ich tötete sie alle. Dem überheblichen Polizisten folgte ein Kollege in meinem Amt, der meiner Beförderung bisher im Wege gestanden hatte. Mein Vermieter bereute es, mir mit der Kündigung gedroht zu haben und schließlich gelangte ich zu Reichtum, in dem ich dem Leben einer entfernten Erbtante ein allzu vorzeitiges Ende bereitete. Haß war meine Triebfeder und wer mir in den Weg trat wurde beseitigt. Schon lange hatte ich bemerkt, daß ein Nachfolger jenes Kommissars, der damals meine Wohnung hatte ruinieren lassen, auf meine Spur gesetzt worden war. Ich wußte, daß man mich in Verdacht hatte, aber niemand war auch nur im Ansatz in der Lage, zu beweisen, daß ich ursächlich mit all jenen entsetzlichen Morden in Verbindung zu bringen war, die sich in meinem Umkreis ereigneten. Doch jener Polizist erwies sich als äußerst hartnäckig und sehr klug. So klug, daß ich es voerst nicht wagte, ihn zu beseitigen.

Während dessen wuchs meine Abneigung, mein Haß auf ihn ins schier Unermessliche und drohte mich zu verbrennen. Entgegen aller Vorsicht, beschloß ich, ihn dennoch zu töten. Zu sehr drohte mich, der nicht befriedigte Haß innerlich zu zerstören. Am Abend vor seinem geplanten Tod betrank ich mich wie üblich, sah es jedoch als nicht nötig an, ihn noch einmal persönlich zu sehen, da ich mein Potential an aufgestautem Haß ihm gegenüber für vollkommen ausreichend hielt, um ihn mittels eines Traumes zu zerstören. Ich verbrachte den Abend trinkend in meinem Haus, tobte herum, jagte die Hausangestellten zum Teufel und verwüstete die Einrichtung. Ich erinnere mich noch genau an jenen Augenblick, als ich die halbgeleerte Whiskyflasche hob, um sie wütend in den großen Kristallspiegel in der Eingangshalle zu schleudern. Mitten in der Bewegung hielt ich inne. Was mich da aus wutverzerrten und haßerfüllten Augen, die glommen wie zwei Kohlestücke, anstarrte, war ein Wesen, das mir fremd war. Doch konnte ich meinen Blick nicht von dieser widerwärtigen, von Haß triefenden Visage losreißen, die mich da aus den Abgründen alles Bösen hämisch angrinste. Mit einem Aufschrei abgrundtiefen Grauens schleuderte ich die Flasche in den Spiegel, der in tausend Stücke zerbarst. Doch es war zu spät, einfach zu spät.

Ich hatte begonnen, mich selbst zu hassen. Meiner Wut folgte eine Welle der Panik. Was, wenn ich nun einschliefe und begänne, von meinem eigenen Tod zu träumen, nun, da ich mich hassen gelernt hatte? Ich durfte nicht einschlafen, denn sobald mich der Schlaf in seine Arme nähme, würde ich beginnen, von mir zu träumen, würde träumen, wie ich mich umbrächte. Mich, das abscheulichste Wesen, das diese Erde jemals gesehen hatte...

Nun wissen Sie, warum ich den Schlaf meide, wie die Pest. Ein aussichtsloser Kampf, den ich da kämpfe, ich weiß. Doch hoffe ich, mich auf diese Weise so zu erschöpfen, daß ich, wenn ich schon der Müdigkeit nachgeben muß, einen traumlosen Schlaf finde. Ein vage Hoffnung, doch ich gebe nicht auf, auch wenn ich merke, wie er seine nebligen Arme nach mir ausstreckt....wo habe ich nur das Captagon hingelegt...


An dieser Stelle brach der handschriftliche Bericht unvermittelt ab. Der Kommissar ließ den Brief mit der fast unleserlichen Handschrift auf den Schreibtisch sinken, wobei er sich mit einer zitternden Hand über die schweißnasse Stirn wischte. Es war unterträglich heiß geworden, in dem Raum. Er hatte Kopfschmerzen. Dieser Mann war wirklich wahnsinnig gewesen. Die Nachbarn hatten wegen des ohrenbetäubenden Lärms, der aus der alten Villa gedrungen war, angerufen. Laut Zeugenaussagen, mußte es dem infernalischen Getöse nach zu urteilen, einen wütenden Kampf gegeben haben. Als man erfahren hatte, um wen es sich handelte, hatte der Wachhabende sofort bei ihm zu Hause angerufen, weil er wußte, daß er sich schon lange mit diesem Fall beschäftigte.

Man hatte die Feuerwehr rufen müssen, um in das Haus einzudringen, das von innen verbarrikadiert gewesen war. Im Haus hatte es ausgesehen, als ob eine Horde Vandalen gewütet hätte. Zerstörte Möbel, Berge von Müll, leere Schnapsflaschen und Medikamenten-Verpackungen, meistens Aufputschmittel, waren gefunden worden. Der Zustand der Verwahrlosung war erschreckend gewesen. Schließlich hatte man sich bis zu seinem Kaminzimmer vorgearbeitet, dessen massive, doppelflügelige Holztür erst unter großer Gewaltanwendung aufgebrochen werden konnte. Die Fenster waren von innen mit Holzlatten vernagelt gewesen und alles sah so aus, als hätte er sich alleine in seinem Arbeitszimmer aufgehalten. Die Möbel waren zerstört, es sah so aus, als habe ein entsetzlicher Kampf stattgefunden.

Aber das war unmöglich. Niemand hätte aus dem Haus entkommen können. Das stand fest. Eine Tatwaffe war nirgends zu finden gewesen, also mußte sich doch noch jemand in der Wohnung aufgehalten haben und es irgendwie geschafft haben, aus dem verbarrikadierten Gebäude zu entweichen. Eine andere Antwort gab es nicht. "Oder kennen Sie jemanden," wandte er sich fragend an seinen Assistenten, der müde in einer Ecke des Büros hockte, "kennen Sie jemanden, der es schafft, sich den Kopf abzuhacken, um anschließend noch die Axt verschwinden zu lassen?" Der Mann im Sessel zuckte hilflos mit den Schultern.

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