© der Geschichte: Charlotte Engmann. Nicht unerlaubt
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Der Prozess

Fast hätte ich das Klopfen überhört, aber bevor die Soldaten meine Tür einrennen können, schiebe ich den Kessel zurück über das Feuer und öffne. Ein alter Priester steht vor der Tür und klagt mich an, ich sei eine Hexe.
Ich lasse den Kopf hängen und nicke stumm. Früher als erwartet ist dieser Alte gekommen, um meinem Treiben ein Ende zu setzen, und ich habe noch keine Zeit gefunden, die verräterischen Zeichen zu verbergen. Der Kessel, in dem ich gerade einen Sturm braue, dient ihm als erster Beweis, und der milchbespritzte Axtgriff, mit dessen Hilfe ich gestern Nacht die Milch des Flußbauern gestohlen habe, läßt ihn meine Verhaftung befehlen. Hart packen mich die Soldaten und fesseln meine Hände auf den Rücken. Zum Glück ist der Kater nicht hier, sonst hätten ihm die groben Kerle wohl das Fell über die Ohren gezogen. Jetzt verstehe ich auch, warum die Kröte sich versteckt hat - sie weiß, wann Sturm aufkommt.
Ich werde vor die Haustüre und auf den mitgebrachten Wagen gezerrt, da höre ich weitere Rufe. Hinter meinem Häuschen haben sie den Hasenstall gefunden. Nun, der Priester wird auch diese Tiere als meine satanischen Diener bezichtigen, obwohl es nur einfache Kaninchen sind, die ich im Winter schlachten wollte.
Die Fahrt zur Burg in dem rumpelnden Wagen ist eine wahre Tortur, aber zum Glück die einzige, die ich erleiden muß. Nicht, weil der Priester Gnade vor Recht ergehen ließe, oder die Folter ablehnt, sondern weil ich keine Schmerzen ertragen mag. Und so bin ich sehr geständig. Sie müssen mich nur ein bißchen einschüchtern, und schon rede ich wie ein Wasserfall. Ich gestehe alles, was sie mir anlasten, egal ob ich schuld daran trage oder nicht. Es stimmt übrigens, daß ich dem Müller seine Manneskraft genommen habe, denn er hat es mit seiner Tochter getrieben. Aber ich wollte nicht, daß der kleine Junge der Weberin stirbt, ich konnte ihm wirklich nicht helfen.
Nach dem Verhör werde ich in den Kerker geworfen, ein dunkles, feuchtes Loch, das ich mir mit den Ratten teilen soll. Es sind kluge Tiere, die sich vor einer Hexe zu hüten wissen, und so verläuft meine Nacht recht ruhig - abgesehen von der Aussicht, am nächsten Morgen verbrannt zu werden.
Aber einmal erwischt es jede, sagte meine Meisterin immer, und ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich im Grunde ziemlich schlampig bin. Weder habe ich mich ausreichend darum gekümmert, daß die Dörfler keinen Verdacht schöpfen, noch genügend aufgepaßt, daß ich keine Spuren hinterließ.
Selbstvorwürfe sind schlechte Nachtgefährten, und so denke ich an schönere Dinge, an meinen vorgestrigen Nachtflug auf dem Besenstiel oder die letzte Hexennacht auf dem Blocksberg. War das ein Fest gewesen!
Über diese schönen Erinnerungen schlafe ich ein und werde erst von den bösen Tritten des Kerkermeisters geweckt. Wieder werde ich gefesselt und nach draußen geschafft. Ehe ich mich versehe, stehe ich auf einem Haufen Reisig, und der alte Priester tritt an mich heran. Er bittet mich, zu bereuen, einen leichteren Tod zu wählen, doch ich lache ihn verächtlich aus, und er verzieht sich mit eingezogenem Schwanz. Vorausgesetzt, daß er einen hat.
Aber nun Schluß mit lustig, jemand hält eine Fackel an das Reisig, und das trockene Zeug fängt Feuer. Mit einem Lachen hebe ich den Kopf, rufe ein paar fremdländische Worte - und aus heiterem Himmel ergießt sich strömender Regen, der die Flammen löscht.
Immerhin bin ich eine echte Hexe.
Die entsetzten Gesichter der Leute lassen mich noch lauter lachen, ich kann fast nicht mehr aufhören. Endlich gelingt es mir, mich genügend zu sammeln, um mit ein paar weiteren Worten meine Fesseln zu lösen. Ein dritter Zauber verwandelt mich. Meine Haare werden zu Federn, meine Arme zu Flügeln. Ich schrumpfe und werde immer kleiner, bis ich aus meinem Kleid hüpfe. Empört über den Regen, schüttel ich den Schnabel, dann fliege ich auf und mit triumphierendem Geschrei dreimal um den Priester herum, ehe ich mich davon mache.
Ich suche mir ein anderes Dorf, eine neue Heimat, und ich nehme mir fest vor, in Zukunft vorsichtiger und wachsamer sein. Doch ich glaube nicht, daß das etwas nützen wird, früher oder später wird man mich wieder der Hexerei anklagen - und wie immer zu recht.

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