© der Geschichte: Tobias Schuhmacher. Nicht unerlaubt
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Der Mensch, meine Verfolger und ich

Angeschlagen war ich - ja - aber verletzt?
Ein Flügel war mir leicht eingerissen, nicht wirklich schlimm, aber es behinderte mich doch sehr, und so schnell heilte es nicht. Außerdem waren beide Flügel leicht verklebt, und so musste ich versuchen sie zu reinigen, um meinen Verfolgern entkommen zu können.
Mein eingeschränkter Flug und die schauderhafte Dunkelheit, die war zwar kein wirkliches Hindernis für mich, aber in diesem Falle doch zumindest ein Ärgernis, machten mich ganz schön flatterig.
Ein Fenster zu erreichen war nicht wirklich meines Geistes Wille, doch brächte es mir Wärme, trockenes Quartier und das Abschütteln meiner feigen Verfolger. Sie würden hier drinnen nicht nach mir suchen, selbst die Spinne nicht.
Menschen boten dadurch ein wenig Schutz vor den eigenen Feinden, auch wenn man selbst im Grunde nicht viel sicherer war.
Ich wünscht, ich wär `ne dreiste Spinne, `ne flinke Fliege oder allerlei sonst übles Getier und hätte diese Furcht nicht, die mich immer so bedrückte, war ein Mensch in meiner Näh'.
Husch, husch, vorbei an fremdem Gerüst, vorbei an Tisch, Gestühl und vielem Menschensein, welches aus Wald gemacht, mein Heimat Henker war.
Und wahre Furcht, so sagte man mir, kennt kein Insekt. Das war schlimmster Trug, denn so geängstigt war ich nie, nie in meinem Leben und so spielte mir die Dunkelheit so manch üblen Streich.
Gelächter meiner niederträchtigsten Feinde in der Näh', Trugbilder, so famosen Irrsinn, wie ich ihn noch nie erlebte.
Angst, so hieß es im Insektenmunde, sei etwas, das man nicht zu kennen habe.
Und doch flatterte ich immer weiter, und flatterte, und flatterte - bis ich mehr im Sturze als im Fluge auf dem großen Bett nieder sauste.
Dort, wo der Mensch lag und friedlich seinen üblen oder süßen Träumen nachging, lag auch ich nun, ganz in seiner ungetrübten Näh'.
Im Blicke hatte ich des Menschen Zehen, die, so sollte es wohl sein, hinauf ins Dunkle ragten; darunter ein Fels von einem Fuß.
So wahr ich hier stand, nie erblickte ich einen gewaltigeren Fuß, nie ließ mich einer so ehrfürchtig an ihm hinaufblicken.
Fürwahr, fürwahr, ein Arbeitsbienchen war ich nicht, und so hatte ich kein Vergnügen dabei dies zu erklimmen - doch musste ich streiten wie der größte Held, um meine Flügelein zu retten.
Und solange der Mensch schlief, würde es kein Problem sein, aber würde er aufwachen, wäre es mein sichrer Tod. Vielleicht war es aber besser, hier und jetzt durch einen Menschen zu sterben, als von meinen fürchterlichen Verfolgern qualvoll gefressen zu werden.
Und obwohl meine Flügel zu lahmen schienen, weil derer sie klebten wie der Honig aus dem unsauberen Hintern einer Biene, so konnten sie mich dennoch ein paar gute Schritte nach oben bringen, um meinen harten und sehr ungerechten Weg mir zu verkürzen.
In den Zehen erkannte ich den Mut des Menschen sich dem Himmelreich zu widersetzen - so reckten sie sich wollüstig danach. Das Firmament schien keinesfalls weit entfernt von hier und obenauf durfte ich meinen steinig-haarigen Weg erkennen, der sich mir trotz Dunkelheit in einer Silhouette entblößte, die aus dem schlimmsten Traum eines jeden Ungeziefers stammen könnt'.
Furchtlos wie eine gemeine Spinne sollt' ich nun wie ein Odysseus unter Läusen, Heuschrecken und Fliegen voranschreiten, mutig wie keiner zuvor, mein eignes Leben zu erretten.
Wie Homer einst seinen wackren Helden irren ließ, so wusste ich doch zumindest, wo mein Weg mich hinführt', wo ich das finden würde, was ich verzweifelt suchte.
Selig war ich nun, selig genug, um voranzuschreiten in die Tiefen, die vor mir lagen.
Voran, voran, mein Freund, fürwahr - wirst ein mut'ger Held bald sein. Einer unter den Tapfersten.
Die beinah endlos-trostlos' Steppe hinauf, zum kleinen Hügel, dessen ein Großer folgen sollte, da war ich mir sicher.
Weiter hinunter in die breite Ebene voll wundersamster Wälder inmitten, fand ich den großen Hügel vor mir, den ich tapfer und ohne den Tod zu scheuen, ohne Schutz und Sicherung bestieg, um am Gipfel durch eine Ebene entzückendster Forstbestände zu stoßen.
Fürwahr, der Forstmann war ein sehr kluger in diesen Regionen. Mein größtes Lob für ihn.
Selbst wenn meine dummen und überaus feigen Verfolger, angeführt von einer gemeinen, aber ehrlosen Spinne, auch den Fuß, die Steppe, den kleinen Hügel, die Ebene überwunden haben sollten, und selbst wenn es ihnen mit List gelänge, den großen Berg zu erklimmen, so würde es ihnen nicht gelingen mir hierher zu folgen.
Aber hört, hört, erst mal sollten diese ehrlosen Lords den Mut besitzen, in dies wahrlich schauerliche Haus zu wandern.
Tja, wahren Mut gab es nur selten.
Und nie wieder wollt' ich mir wünschen, ich sei ein gemeines Spinnchen. Nie wieder wollt ich so ein schändliches Viech sein. Nie wieder!
Wenn ich nur so kluges Köpfchen bewiesen und mir eine Machete mitgebracht hätte. Aus härtestem Stahl, um diesen dunklen Dschungel zu bekämpfen, sich gegen ihn aufzulehnen, ihn niederzustrecken, mit all meiner Kraft, um meine denkwürdige Reise flink gen Ende zu führen.
Dann bewegte sich der Mensch und ich war dankbar für den starken Halt, den der Dschungel bot, denn mein Leben wär's gewesen, hätt' ich nicht den Wald gehabt. Und der Funke dieses Glückes hielt sich länger, als für meine Wenigkeit verdient es war', denn der Mensch fand wohl seiner Bequemlichkeit dienend nicht der rechten Lage, so dass er wieder in offener Demut seine Frühere einnahm.
Dem wich nun die Stille. Stille, die nie freundlicher hätte sein können.
Wie eine Spinne, so war ich nie - unverfroren, frech, aber mutig. Von wahrhaft edlerem Geblüt.
Später verließ ich dann den Dschungel willens den Kopf des schlafenden Herrn zu erreichen, gelangte an zwei merkwürdige, für einen Menschen doch gar kleine Erhebungen. Sie ergriffen mich - fürwahr - und in ergebenster Schönheit strahlten sie mir entgegen, umrahmt von glatter, kunstfertig erstellter Oberfläche. Es schien ein wahrhaft edles Etwas zu sein, das mich lange mit seiner Grazie bannte und in mir ein Verlangen erweckte, es voller Lust nur einmal zu berühren.
Doch fürwahr, bevor die Dummheit meinen Geist umarmen konnte, schlug ich sie hinfort und befreite ihn so von den Fesseln, die meinen Tod bedeutet hätten.
So war ich denn fasziniert, aber meine Aufgabe, die mein doch so wicht'ges Leben erretten sollte, musste nun bestritten werden.
Mein Weg führte mich den Berg hinunter in eine zweite Ebene, an dessen Ende sich ein scheinbar unerklimmbar Felsungetüm auftat, welches sich wie ein stolzer Krieger vor mir mit seiner Unbezwingbarkeit brüstete. Doch schallend lachte ich nur über diesen Stolz, dessen Falschheit so offensichtlich zu erdeuten war, und erklomm es ohne große Mühe - nicht ein Augenschlag war nötig.
Obenauf fand ich mich in einer Landschaft wieder, der bizarrste Skulpturen entsprungen waren. Es belustigte mich sehr, all diese hässlichen und dennoch reizvollen Dinge zu betrachten, die sich meinem Blicke hier erboten.
Bedrohliche Fratzen schnitten sie, grinsten mich bisweilen verächtlich an, als ob sie mit mir sprechen könnten, um zu sagen, ich sei ein ehrloser Hund.
Fürwahr, dies war ich nicht und war mein Handeln nun gefragt, um gegenteil'ges zu beweisen.
Jetzt zu meiner teuflischen List, die ich ersann, als mein schicksalhafter Weg voll unendlicher Gefahren mich hierher führte, zum grausigsten Ort der Welt, dessen finstre Wunder versuchten mich vom rechten Pfade abzubringen. Doch ein strahlender Held all jenes unterdrückten Getiers wie ich es war, würde dem trotzen.
Dass es mir nun gelänge meine heldenhaften Flügel so über die zwei feuchten und sehr fleischigen Klumpen des Ungetüms gleiten zu lassen, dass sich das Verklebte auflöste und mir meinen wahren Glanz wiedergäbe, um mich meinen Feinden tapfer zu stellen, stand außer Zweifeln.
Ein furchtloser Held wie ich es einer war, brauchte sich nicht zu fürchten vor ein paar fleisch'gen Klumpen, die lediglich grotesk, aber nicht wirklich angsterfüllend waren.
So begab es sich, dass ich das erste Paar zum Tänzchen aufforderte. Und fürwahr, es tänzelte geschwind und anmutig wie ich es nie zuvor erlebte über das Fleisch'ge, dessen Feuchtigkeit sie aufsaugten, um das Verklebte, das von der Finsternis ausgesandt ward, um mich aufzuhalten, hinfort zu fegen.
Mich aufzuhalten!
Niemals würde das geschehen - niemals!
Dasselbe tat ich ein zweites mal mit dem ersten Paar, und schon war das Verklebte vernichtet, weggefegt wie der Schmutz in der Gosse von dem zauberhaften Wasser des Fleisch'gen.
Meine nächste Aufforderung kam an das zweite Paar gerichtet und das Fleisch'ge erwies sich sodann als sehr ergiebig, denn auch dies wurd' mühelos getränkt in den schier endlosen Vorrat an zauberhaftem Gebräu, das die Finsternis hinfort blies.
Ein zweites Mal fegte es hinweg über die Quelle des Lichts und lies mich so in neuem, unverbrauchtem Glanz erstrahlen, wie es einem wahren Helden gebührte.
Doch konnt' ich erwarten, das Böse erkannte dies nicht?!
Nein, dies konnt' ich wohl nicht - ich Narr - denn es kamen zwei gewalt'ge Pranken aus der Finsternis mit einem Male und solcher Geschwindigkeit, wie sie nur eines Drachens sein konnte.
Voller Zorn über das Böse und dessen Dreistigkeit, mich an der Quelle heimzusuchen, zückte ich mein Schwert, denn mein Rüstzeug allein ward dem nicht standgehalten. So hob ich Schild und Schwert und stellte mich, wie eines wahren Lords würdig dem ruchlosen, finstren Feind.
Tapfer, mit erhobenen Flügeln und Schwert und Schild in den edlen Händen meiner Lordschaft, erwartete ich das Böse.
Fürwahr unbemerkt von meinen Sinnen öffnete sich das Fleisch'ge, vor dessen ich in freudigster Erwartung eine Schlacht zu schlagen hatte und ein stolzes, kleines Ungetüm kroch heraus. Feucht, Fleischig, und von engelsgleicher Eleganz ergriff es mich aus dem Hinterhalt, um mich hinab in die Quelle zu ziehen, wo einen strahlenden Helden wie ich es einer war - wie konnte es auch anders sein - die Unsterblichkeit erwartete, als Belohnung für mein tapfres Handeln.
Doch - O weh, O weh - es begab sich, dass etwas Fleisch'ges sich meiner annahm, und den Tod brachte.

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