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Final-Alp

Hank, der Pilot, ließ fluchen die Chessna neben der heruntergekommenen Wellblechbaracke am Rande der Wüstenpiste ausrollen. Wie es in diesen Breiten üblich war, vollzog sich der Übergang vom Tag zur Nacht fast übergangslos, die Dämmerungsphase dauerte nur Minuten. Bis er aus der Maschine geklettert war, würde er eine Taschenlampe brauchen, um das Büro des Platzwarts zu finden, wenn dieser nicht endlich auf die Idee kommen sollte, die sowieso trübe Beleuchtung des Schuppens einzuschalten.

"Grade noch mal gut gegangen", knurrte Hank. Er hatte die Piste wirklich in allerletzter Minute erreicht. Normalerweise waren Nachtlandungen hier kein Problem, die Piste verfügte über eine ausreichende Befeuerung: Aaron ,der Platzwart musste sie nur einschalten, dann kam man auch bei Dunkelheit einigermaßen sicher runter. Normalerweise tat er das auch, wenn er über Funk dazu aufgefordert wurde, meistens sogar dann, wenn er nur das Geräusch eines Flugzeugs irgendwo in der Dunkelheit hörte. Er war viel zu sehr bestrebt, Piloten, die sich hierher in die Gegend verirrten, auf ein Schwätzchen zu sich herunterzulotsen. Schließlich war die Piste 400 km von der nächsten bewohnten Ansiedlung entfernt, und außer einer Hand voll Piloten und einmal im Monat den Fahrer des Road-Trains mit dem Sprit für seine Tankstelle bekam Aaron eigentlich niemand zu sehen.

Heute jedoch hatte Aaron jedoch auf die Funkanrufe nicht geantwortet, und auch auf zwei Platzrunden, die Hank drehte, hatte der Alte nicht reagiert, so dass der Pilot es riskieren musste, im letzten Büchsenlicht aufzusetzen.

Die Piste existierte überhaupt nur deshalb noch, weil es immer noch genug kleine Maschinen gab, die den großen Sprung über die Wüste nicht ohne Zwischentanken schafften. Es gab sowieso nicht mehr viele Piloten, die die kurze Route quer über die Einöde wagten, die meisten hüpften heutzutage an der Küste entlang und um die Wüste herum. Das dauerte zwar länger und drei Zwischenlandungen waren auch erforderlich, aber es war sicherer.

Hank zog die Drosselklappe, und der Motor stotterte noch ein paar Umdrehungen weiter, ehe er verstummte. Mit steifen Knochen kletterte er aus der Maschine und tastete in der Tasche hinter seinem Sitz nach dem Handscheinwerfer, der sich dort befinden musste. Hoffentlich taugten die Batterien noch. Warum, beim Teufel, machte sich Aaron nicht bemerkbar? Hank knipste die Lampe an und schüttelte missbilligend den Kopf. Ein paar Minuten würde die Lampe wohl noch durchhalten, es wurde Zeit, dass er in den Schuppen kam.

Er fand die Tür mit der verwitterten Inschrift "Büro" und zog sie auf. Links neben der Tür musste sich ein Lichtschalter befinden, wenn er Glück hatte, würde wenigstens das Licht in der Baracke funktionieren. Es bezog seinen Strom von einem Windgenerator auf dem Dach. Die Neonröhren flackerten einige Sekunden, überlegten sichtlich, ob sie anspringen sollten, dann tauchten sie die schmuddelige Bude in fahles Licht.

Das erste, was Hank sah, waren Aarons schmutzige Stiefel, sie ragten vertikal hinter dem altersschwachen Schreibtisch hervor. Hank überzeugte sich, Aaron war zwar noch warm, aber ziemlich tot. Er lag bäuchlings auf dem Fußboden die Linke Hand nach dem herabhängenden Mikrophon des Funkgerätes ausgestreckt, als wolle er noch eine letzte Nachricht absetzen. Hank beugte sich hinunter und drehte Aaron auf den Rücken.

Ein wenig erschrak er. Aaron musste um die fünfzig herum sein, das wusste er. Was er jetzt sah, war das Gesicht eines ausgemergelten neunzigjährigen mit angstvoll aufgerissenen Augen.

Der Pilot fühlte einen stechenden Schmerz im Rücken, oben zwischen den Schulterblättern. Er hatte Mühe, sich wieder aufzurichten.

"Na, da habe ich aber noch mal glück gehabt", sagte eine Stimme dicht neben seinem Ohr, " Du kommst spät aber grade noch rechtzeitig!" Er drehte den Kopf nach links und versuchte so gut es ging über seine Schulter nach hinten zu sehen. Wie ein Rucksack saß eine kleine, blauhäutige Gestalt auf seinem Rücken und klammerte sich an ihm fest. Ihr Gesicht glich der Fratze eines Monsters aus einem Kinderbuch.

Hank machte instinktiv einige ruckartige Bewegungen in der Hoffnung, das merkwürdige Wesen abschütteln zu können, aber dieses schien festzusitzen wie angewachsen. " Lass den Unsinn!" keifte dieses, "Du wirst mich so nicht los und verschwendest nur unsere wertvolle Energie. Wir werden sie noch brauchen!"

Hank stellte die Schüttelbewegungen ein und versuchte nach hinten zu greifen, um die Gestalt von seinem Rücken zu ziehen, bekam sie aber nicht zu fassen.
"Kreuzdonnerwetter", fluchte er, " Was soll das? Wer bist Du?"

Sein Rückenbesetzer kicherte schrill: " Wenn Du mal ruhig hältst, wird ich dir das gerne erklären. Ich bin Wops, der Final-Alp!"

Der Pilot kam zu der Erkenntnis, dass seine Verrenkungen nicht zum gewünschten Ergebnis führen würden, und verhielt sich zunächst ruhig. Er würde nachdenken müssen.

So setzte er sich auf die Schreibtischkante und fragte: " Soso , Wops? Was ist das, ein Final-Alp? Ich heiße übrigens Hank!"

Der Alp feixte vor Vergnügen. "Hallo Hank, habe ich nicht oft, dass sich meine unfreiwilligen Wirte förmlich vorstellen. Du kennst Doch Alps? Diese kleinen, grünen Männchen, die nachts bei Kindern auf der Brust sitzen und ihre Atmung behindern, wodurch die schlecht schlafen und die besagten Alpträume haben? Das sind Verwandte von mir! Aber das sind alles Weicheier, weil sie sich normalerweise nur an Kinder heranwagen. Naja, ich bin der Final-Alp, weil ich immer der letzte Alp bin, der einem Menschen begegnet. Sagen wir mal so, ich bin nicht für den Tod der meisten Leute verantwortlich, ich kann ja nicht überall sein, aber wer mit mir zu tun hat, der stirbt auch an mir"

Wops machte eine Kunstpause, dann zeigte er mit einem seiner dürren Ärmchen auf die Leiche von Aaron. " So wie dieser Narr da! Er hätte noch ein paar Tage haben können, aber er wollte Dich unbedingt warnen! Da musste ich ihn doch glatt in einem Zug austrinken"

Hank fröstelte. " Was soll das heißen, in einem Zug austrinken?"

Der Alp zog entschuldigend die Schultern hoch " Na, weißt Du, ich lebe von der Lebensenergie meiner Wirte. Ich sauge die so peu a peu ab. Dummerweise ist mein Energiebedarf höher, als das, was meine Wirte durch Nahrungsaufnahme ersetzen können. Der gute Aaron war ziemlich am Ende, und mein Problem ist, wenn meine augenblickliche Kuh keine Milch mehr gibt, brauch ich ganz schnell einen Ersatz. Ich kann keine Energie speichern, und wenn ich nicht innerhalb von zwei Stunden ne neue Quelle hab, dann ist es vorbei mit mir. Und nachdem der Trottel sich nicht davon abhalten lassen wollte Dich zu warnen, musste ich ihn daran hindern und einen besonders großen Schluck auf einmal nehmen. War ganz schön spannend, ob Du so rechtzeitig runterkommen würdest, dass ich umsteigen konnte."

Hank kratzte sich am Kopf" Soso, Du saugst mir also die Lebensenergie ab? Im Moment merke ich allerdings nichts davon! Du bist zwar lästig, weil Du irgendwie angewachsen scheinst, aber du scheinst auch keinerlei Eigengewicht zu haben. Irgendwie kommst Du mir nicht so recht bedrohlich vor"

Der Alp klopfte Hank gönnerhaft auf die Schulter: " Warte es nur ab, das kömmt schon noch! Im selben Maße, in dem deine Energie abnimmt, wirst Du auch mein Gewicht spüren. In Deinen letzten Tagen wirst Du nur noch kriechen können. Nicht dass mir das besonderen Spaß macht, aber es ist nun mal nicht zu ändern. So durchtrainiert, wie Du bist, gebe ich Dir, sagen wir mal vier Wochen, dann muss ich mir nach was anderem umsehen. Zur Not tut´s dann auch mal ein großes Tier, ein Känguru oder so, aber das macht keinen Spaß, weil die Viecher so blöd sind. Man kann sich nicht mit ihnen unterhalten, und so richtig lenkbar sind sie auch nicht, weil sie einen nicht verstehen."

Der Pilot knurrte unwillig: " Also erwartest Du von mir, dass ich dich aus Dankbarkeit dafür, dass Du mich umbringst, auch noch unter die Leute bringe? Ich könnte ja genau so gut die vier Wochen hier bleiben oder in die Wüste rauswandern, wo außer Ameisen und Skorpionen nichts ist ? Oder, was ist, wenn ich beschließe mich zu erschießen?"

Derselbe stechende Schmerz wie vorhin durchzuckte Hanks Körper und lähmte ihn für etwa eine halbe Minute. " Ich sagte doch", drohte Wops, " Ihr Menschen seid relativ gut lenkbar. Ihr mögt keine Schmerzen, und Ihr wisst, weil ihr denken könnt, dass Schmerzen in direktem Zusammenhang mit eurem Verhalten steht. Noch komm ich mit Deinem Gehirn nicht ganz zurecht , aber in zwei, drei Tagen kann ich Deine Gedanken lesen, und ich garantiere Dir, dass ich Dich daran hindern werde, irgendwelche Pläne auszuhecken, die mir nicht in den Kram passen. Du willst es vielleicht jetzt noch nicht wahrhaben, aber nach Ablauf einer Woche wirst Du wie ein gut eingerittenes Wildpferd genau das tun, was ich will und was ich zulasse, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe schließlich annähernd sechshundert Jahre Erfahrung mit unwilligen Reittieren."

Hank überlegte fieberhaft und ging während des Vortrags des Alps im Büro der Platzwarts auf und ab. Wenn das stimmte, was Wops erzählte, dann brauchte dieser so etwa zwölf bis fünfzehn Opfer pro Jahr, und wenn er tatsächlich sechshundert Jahre alt war musste das bedeuten, dass er so nach und nach die Bevölkerung einer Kleinstadt umgebracht haben musste. Unvermittelt warf er sich krachend rückwärts gegen den Türstock, in der Hoffnung, seinen Reiter dadurch zerquetschen zu können. Eigentlich hatte er erwartet, dass sein lebender Rucksack den Aufprall irgendwie dämpfen würde, aber er krachte schmerzhaft mit dem linken Schulterblatt gegen die Kante des Türstocks.

Der Blauhäutige lachte schrill du zog Hank an den Haaren. " Ach ja, ich vergaß, dich über meine Natur aufzuklären! In Eurem menschlichen Sinne bin ich nicht körperlich, ein Astral-Wesen sozusagen! Das bedeutet unter anderem, dass mir mit mechanischer Einwirkung nicht beizukommen ist. Der Türstock ist glatt durch mich hindurchgegangen. Ihr Menschen seid doch alle gleich! Ihr braucht einfach Eure schmerzhaften Erfahrungen, um zu begreifen!"

Der Pilot sah ein, dass seine Möglichkeiten fürs erste ausgereizt waren. Er bückte sich nach Aarons Stiefel und zog die Leiche des Platzwarts hinaus vor den Schuppen. Morgen würde er sich darum kümmern müssen, aber bis zum Hellwerden wollte er die Zeit eigentlich nicht in einem Raum mit einer Leiche verbringen.

" Weißt Du was", sagte er zu seinem blauhäutigen Anhängsel, " fürs erste kannst Du mich am Arsch lecken. Ich bin gelandet, um die nacht hier zuzubringen, morgen meine Maschine aufzutanken und ein paar kleine Reparaturen an der Bordelektrik vorzunehmen, und danach werden wir weitersehen." Er holte Aarons Whiskey-Flasche aus dem Medizinschrank und streckte sich auf der alten Couch aus, die an der Wand neben dem Funkgerät aufgebaut war, aus.

"Hast Du es auch schön bequem so" , fragte er Wops und stellte sich vor, wie dieser nun durch den Bezugsstoff der Couch gepresst die Gesellschaft der rostigen Sprungfedern der Couch genießen musste. Nüchtern würde er unter den gegebenen Umständen nicht schlafen können, das war ihm klar, also setzte er die dreiviertelvolle Schnapsflaschen an und trank sie in einem Zug aus. Binnen Minuten erreichte er einen Alkoholpegel, der eine weitere Kommunikation mit seinem Quälgeist unmöglich machte, was dieser anscheinend bereitwillig akzeptierte.

Die Sonne stand bereits hoch über dem Rollfeld und tauchte die Wüste in wabernde Hitze, als Hank mit heftigen Kopfschmerzen wieder zu sich kam. Wenn er geglaubt hatte, sein Erlebnis von vergangener Nacht würde sich als schlechter Traum herausstellen und der Spuk würde nach Abklingen seines Vollrauschs verflogen sein, so sah er sich getäuscht. Der Alp meldete sich mit hämischem Gelächter und einigen anzüglichen Bemerkungen über unmäßigen Alkoholgenuss und dessen nachteilige Auswirkung auf die Konstitution.

Hank beschloss, die Anwesenheit Wops vorerst zu ignorieren. Draußen an der Pumpe goss er sich drei Eimer Wasser über den Kopf, seine Denkfähigkeit kehrte zurück. Er bediente sich an Aarons Vorräten und kochte zwei Liter Kaffe. Im Kühlschrank des Toten fand er einige Eier, etwas Speck und eine Dose Corned-Beef . Nicht gerade luxuriös, fand er, aber für ein Frühstück würde es wohl reichen.

Während er aß lies er sich wieder auf eine Diskussion mit dem Alp ein. " Was erwartest Du nun eigentlich von mir, was ich Deiner Meinung nach tun sollte?", fragte er.

Der Blauhäutige gab sich überheblich: "Nun, was alle diese Idioten vor Dir getan haben. Du wirst unter Leute gehen, und Hilfe suchen, mich loszuwerden. Die Geschichte hat für Dich nur einen Nachteil: Ich sagte ja schon, ich bin ein Astralwesen! Nur derjenige, der grade mein Wirt ist, kann mich sehen oder hören, für alle anderen bin ich nicht existent. Du kannst Ärzte aufsuchen, aber selbst wenn sie Dir glauben, sie können mich weder mit EKG, noch mit EEG oder mit CT oder was es da noch für neumodische Sachen gibt, nachweisen. Bestenfalls werden sie ein neuartiges und nicht behandelbares Syndrom diagnostizieren, und irgend ein Doktorand wird eine Dissertation drüber schreiben. Wenn ich Glück habe, gerätst du an einen Psychiater, der Dich für verrückt erklärt und Dich in eine Klapsmühle einweist. Das ist dann ein doppelter Glücksfall für mich, weil einerseits gibt es dort für mich jede Menge Nachfolger für dich, die nicht weglaufen können, und andererseits haben gerade die echten verrückten ein unglaubliches Potential an Lebensenergie."

Er machte eine Kunstpause und fuhr dann dozierend fort. " Du kannst es natürlich mit einem Exorzisten versuchen, den schließlich bist Du ja buchstäblich besessen. Aber das wird vergebliche Liebesmühe sein, den Exorzismus funktioniert nur bei Teufeln und Dämonen, ich bin aber ein Alp. Einzig ein echtes parapsychologisches Medium könnte wenigstens meine Aura spüren, aber erstens sind die rar und zweitens werden die vom Rest der Welt ja nicht für voll genommen. Und selbst, wenn Du jemand von meiner Existenz überzeugen könntest, es würde nichts nützen, die Methode, mich loszuwerden, ist noch nicht erfunden."

Hank dachte nach und hoffte dabei, dass die Aussage des Alps so stimmen mochte, dass dieser seine Gedanken nicht oder noch nicht lesen konnte. Worauf es diesem ankam schien klar: Er wollte in eine bewohnte Gegend gebracht werden mit ausreichend potentiellen zukünftigen Opfern, hier draußen in der Einöde waren seine Chancen vergleichsweise gering.
Und genau das war Hank nicht bereit zu leisten. Er fühlte sich zwar nicht gerade zum Helden geboren, aber wenn er den Ausführungen des Alps folgend annahm, dass er nur noch vier Wochen und unter schlechtesten Bedingungen zu leben hatte, dann konnte er das Verfahren genau so gut abkürzen. Und er würde relativ schnell handeln müssen, ehe der Blauhäutige vollständig die Kontrolle über ihn erlangte.

Er machte sich an die Arbeit. Zunächst, um den Alp nicht misstrauisch zu machen, suchte er eine Schaufel und hob hinter dem Schuppen eine flache Grube aus in die er Aarons Leiche hineinzerrte und dann mit Sand bedeckte. Der Alp schien solche Beerdigungsrituale zu kennen und ließ ihn gewähren. Die nächste Arbeit bedurfte schon einer Diskussion: Hank bestand darauf, den Flughafen in Perth über Funk vom Ableben des Platzwarts zu verständigen. Wenn die Wüstenpiste weiter betrieben werden sollte, musste für Aaron ein Ersatzmann herausgeschickt werden, wenn nicht, mussten die Buschpiloten verständigt werden, dass die Piste geschlossen wurde. Das war ein reines Sicherheitsproblem.

Als nächstes log Hank dem Alp vor, ein Teil seiner Ladung sei hier für die Piste bestimmt, und er werde einen Teufel tun, und das Zeug wieder mitzunehmen. Dies war ein entscheidender Test, um herauszufinden, ob das Energiewesen bereits Kontrolle über seine Gedanken oder Emotionen hatte. Es gab keine Einwände, und der Pilot lud mit möglichst gleichgültiger Mine einige Kisten aus der Maschine. Zuletzt löste er seinen Fallschirm aus der Halterung und legte ihn als Paket oben auf den Stapel. Der Alp schien einen Fallschirm nicht als solchen zu erkennen oder er kannte dessen Zweck nicht, auf jeden Fall erhob er keine Einwände.

"Verstehst Du was von der Fliegerei, Quälgeist", fragte Hank, als er den Tankverschluss aufschraubte, " von Navigation und von der Technik?" Er rollte das Fass mit der Handpumpe zum Flugzeug und begann, Sprit umzufüllen.

"Nein, wieso sollte ich?" Der Alp gab sich unbeteiligt, "der Pilot bist Du, ich bin nur der Passagier!"

"Naja", Hank zuckte mit den Schultern und zog den Schlauch der Tankpumpe aus dem Stutzen. " so ein Flugzeug ist ein empfindliches Ding. Und ehe ich hier wieder starte, muss ich einige Überprüfungen und Wartungsarbeiten durchführen. Man will ja schließlich irgendwo ankommen. Wenn Du nichts davon verstehst, solltest Du mich möglichst nicht stören bei der Arbeit, Fehler sind da gleich gemacht." Er war mit dem zweiten Teil des Experiments zufrieden, der Alp hatte augenscheinlich nicht bemerkt, dass er in den Tank, der normalerweise 80 Liter fasste, nur 20 Liter eingefüllt hatte.

Hanks Reiter schien eingeschnappt zusein, denn er gab kein Wort von sich, solange der Pilot geschäftig mit der Inspektion des Flugzeugs beschäftigte, auch nicht, als Hank die Stromzufuhr des Funkgeräts unterbrach. Er schien tatsächlich bar jeder Ahnung zu sein und zumindest bisher schien die Kontrolle von Hanks Gedanken nicht zu funktionieren.

Es verging ungefähr ne Stunde, dann blickte der Buschflieger nach hinten über die Schulter. "So das wär's" , sagte er, "schauen wir, dass wir hier wegkommen."

Der Start verlief problemlos. Hank hatte sich mit der Begründung, die Fliegerei erfordere seine ganze Aufmerksamkeit, Ruhe ausbedungen, und der Alp schwieg verbissen. Offensichtlich hatte Wops von der Fliegerei keine Ahnung, er wunderte sich weder über die Tatsache, dass der Buschpilot die Maschine in dreihundert Fuß über Grund dahin jagte, noch hatte er Einwände gegen die Flugrichtung, die sie seit knapp einer Stunde verfolgten.

Hank beobachtete wie hypnotisiert die Tankanzeige, je näher sich die Nadel der Empty-Marke näherte desto sicherer war er, dass sein Plan aufgehen würde.

Der Alp brach das Schweigen. " Hör zu , Du Spinner" sagte er argwöhnisch. Ich registriere sich verändernde Emotionen! Du wirst mich doch nicht reinlegen wollen? Ich will dich ein wenig warnen!"

Hank verspürte eine kurze Schmerzwelle durch seinen Körper rasen. Als sie abebbte, wandte er den Kopf, um einen Blick auf seinen Peiniger werfen zu können. " Hör zu, Schlaumeier, jetzt hast Du es in der Hand, wie lange es mit uns noch dauert. Machst Du das noch mal, bohre ich die Maschine sofort in den Grund. Lässt du es sein, dauert es vielleicht noch zehn Minuten. Bisher hast Du mir lange erklärt, warum ich keine Chance gegen Dich habe, jetzt will ich Dir erklären, warum Du auch keine Chance mehr hast!

Erstens: Unser Sprit reicht vielleicht eben noch diese zehn Minuten, ich habe nur ungefähr für eine Flugstunde getankt. Dann schmiert die Kiste ab. Ich weiß, Dir macht ein kräftiger Schlag nichts aus, aber ich werde die Sache kaum überleben, und damit beginnt dein Problem: Dort wo wir runtergehen werden, gibt es nicht einmal Dingos, nur ein paar Salzseen und ein paar tausend winzige Salzfliegenlarven. Die dürften für Deine Bedürfnisse kaum ausreichend sein. Und mach Dir keine Hoffnungen, dass und da draußen jemand sucht und rechtzeitig zur Stelle ist, dass Du ihn anzapfen kannst. Kein Schwein weiß, wo wir sind. Ich fliege deshalb so tief, damit uns die Radarkontrolle von Perth nicht erfassen kann. Und noch was: Perth liegt von Aarons Piste aus fast genau im Norden, 360 Grad. Wir fliegen aber seit fast einer Stunde 270 Grad, sind also im Moment fast zweihundert Kilometer von jeder normalen Flugroute entfernt. Selbst wenn die Maschine jemand sucht, kann es Wochen dauern, bis sie gefunden wird. Zu lange für mich sowieso, selbst wenn ich nach dem Aufschlag noch leben würde, zu lange aber auch für Dich, oder? Und versuch nicht, mich zu einem Notruf zu zwingen, das Funkgerät hab ich unbrauchbar gemacht. Und Du kannst mich auch nicht zwingen, mit dem Fallschirm abzuspringen, der liegt jetzt vor Aarons Schuppen in der Sonne. Remis, würde ich sagen, oder was meinst Du?"

Der Alp heulte vor Wut: "Du Mistkerl! Du hast mich reingelegt! Na warte"

Als die Schmerzwelle einsetzte drückte Hank mit ganzer Kraft die Steuersäule nach vorne. Die Chessna kippte über die Nase ab und schlug Sekunden später am Boden auf.

Das Geologenteam , ein Mann und eine Frau, war mit einem Rover seit heute früh im Auftrag von Exxon unterwegs um die Wüste auf mögliche Erdölvorkommen zu untersuchen. Sie beobachteten den Absturz der Chessna aus etwa fünf Kilometern Entfernung und sprangen sofort in ihren Wagen, um zur Unglücksstelle zu fahren.

"Merkwürdig", sagte die Geologin, "keine Explosion, einfach nur ohne Grund in den Dreck gerammt. Sieht so aus, als hätte der keinen Tropfen Sprit mehr im Tank gehabt. Mit einer Chessna kann man doch auch im Gleitflug notlanden."

"Na, dem Piloten ist wohl nicht mehr zu helfen", sagte der Geologe und beugte sich zu der Leiche hinunter.

Er fühlte einen stechenden Schmerz im Rücken, oben zwischen den Schulterblättern. Er hatte Mühe, sich wieder aufzurichten.

"Na, da habe ich aber noch mal glück gehabt", sagte eine Stimme dicht neben seinem Ohr, " Du kommst spät aber grade noch rechtzeitig!" Er drehte den Kopf nach links und versuchte so gut es ging über seine Schulter nach hinten zu sehen. Wie ein Rucksack saß eine kleine, blauhäutige Gestalt auf seinem Rücken und klammerte sich an ihm fest. Ihr Gesicht glich der Fratze eines Monsters aus einem Kinderbuch.

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