© der Geschichte: Charlotte Engmann. Nicht unerlaubt
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Wer Wind sät...

Das penetrante Summen eines Militär-Schwebewagens zerstörte die Ruhe im Felsental, verschreckt stob ein Schwarm Vögel auf und flog kreischend dem Himmel entgegen, während das Fahrzeug dem Feldweg bis zum Ende des Tals folgte, wo sich eine uralte Forschungsstation befand.
General Ito nahm noch einmal die entsprechende Akte zur Hand und überflog die knappen Informationen seiner Spione. Die Forschungsstation befand sich seit hundert Jahren im Besitz der Familie Shakuhachi, die Generationen von Meteorologen hervorgebracht hatte.
Weder die politischen Unruhen noch die Regierungsübernahme durch das Militär hatten Einfluß auf die Station genommen, in der unbemerkt von der Außenwelt die Familie ihren Forschungen nachging. Doch nun war es an der Zeit, die Anlage zu übernehmen, denn den Berichten zufolge hatte die jetzige Leiterin Shakuhachi Midori herausgefunden, wie Tornados künstlich erschaffen und kontrolliert werden konnten.
Ito erlaubte sich ein flüchtiges Lächeln, als er sich vorstellte, wie ganze Kontinente von vermeintlich natürlichen Tornados verwüstet wurden, die aus dieser kleinen, unbedeutenden Forschungsstation stammten. Der Schwebewagen erreichte die Anlage und hielt vor dem Laborgebäude. Der General stieg aus und winkte seinen Soldaten, ihm hinein zu folgen. Die Tür war nicht verschlossen, und selbstbewußt trat Ito ein, als gehöre ihm schon die Station.
Durch einen kleinen Flur kam er direkt in eine maschinenüberladene Halle, in deren Mitte ein Gerät stand, das einem gigantischem altmodischen Mixer ähnelte. Die Wände schienen nur aus Bildschirmen und Monitoren zu bestehen, vor denen mobile Computerkonsolen standen.
Eine überraschend junge Frau kam ihm entgegen und verneigte sich fast unhöflich kurz. "Ich bin Shakuhachi Midori, die Leiterin dieser Station, und das ist mein Assistent Akira", stellte sie den Mann vor, der an einem der Monitore saß. "Was kann ich für Sie tun?"
"Ich bin General Ito." Unhöflich konnte er auch sein, und so kam er gleich zur Sache. "Ihre Forschungsprojekte fallen von nun an unter meine Zuständigkeit, und ich wollte mich persönlich von dem Stand der Dinge überzeugen."
Midoris schwarze Augen glühten wie Kohlen, als sich ihr Blick in den seinen bohrte, und mit einer ruhigen Würde, die einer weit älteren Frau zugestanden hätte, drückte sie die Schultern durch und hob stolz das Kinn. Dann, von einem Moment zum anderen, fielen ihre Schultern wieder herab, und sie senkte den Kopf. Mit einem undeutbaren Lächeln antwortete sie freundlich: "Aber sicherlich. Wenn ich Ihnen alles zeigen darf." Mit einer Geste wies sie auf eine Bildschirmwand und begann einen knappen Vortrag, von dem General Ito nur die Hälfte verstand.
"… ich darf es Ihnen demonstrieren", schloß sie und gab ihrem Assistenten einige Anweisungen. "Werden Sie nun Zeuge der Entstehung eines Tornados." Sie legte den Schalter an dem mixerähnlichen Gerät um, und die großen 'Rührstäbe' setzten sich langsam in Bewegung. Ein feines Summen erfüllte das Laboratorium. Die Stäbe steigerten ihre Geschwindigkeit, wurden schneller und schneller, bis sie nur noch als metallene Wand zu erkennen waren. Auf dem Boden der durchsichtigen 'Mixschüssel' entstand weißer Rauch. Das Summen wurde immer lauter und höher, bis es in den Ohren schmerzte. Der Rauch wirbelte höher und höher, erreichte den Rand der Schüssel und schwappte über. Ein Tornado fegte durch den Raum.
Ito wurde gegen die Wand geschleudert. Er spürte den Wirbelsturm an seiner Uniform reißen. Verzweifelt krallte er sich an einem Computer fest, doch der stand auf Rollen und wurde unaufhaltsam in den Tornado hineingesogen. Der General brüllte nach Shakuhachi, flehte um Hilfe, doch der Lärm des Windes übertönte seine Stimme. Seine Hände glitten von dem Computer ab, und mit einem letzten Aufschrei verschwand er im Wirbelsturm.

Midori stellte den umgefallenen Stuhl wieder auf und ließ sich mit einem Seufzer darauf nieder. Hinter einem mannshohen Monitor kam ihr Assistent Akira hervor und lächelte ihr zu, während er sich das zerzauste Haar aus der Stirn strich. Er zog seine weiße Jacke zur Seite und warf einen prüfenden Blick auf die Lichter und Anzeigen auf dem breiten Metallstreifen, der um seine Hüfte geschlungen war.
"Der Zeitregulator hat also funktioniert", bemerkte er erleichtert.
"Hast du etwas anderes erwartet, mein Junge?" "Eigentlich nicht, aber du weißt so gut wie ich, daß die Zeit immer Überraschungen mit sich bringt, Großmutter. Wie weit ging dieser Zeitsturm zurück?"
Midori überflog einige Daten auf einem der Bildschirme. "Ganz, wie wir es wollten: sechzig Komma…" Das Schreien eines Kindes unterbrach sie. Sie tauschte mit ihrem Enkelsohn einen überraschten Blick, erhob sich und schaute hinter dem Zeitsturmgenerator nach der Ursache. "Ito?" entfuhr es Akira, als er neben sie trat und den nackten, vielleicht einjährigen Knaben erblickte.
Sie nickte bestätigend, hob das Kind auf ihre Arme und redete beruhigend auf es ein. "Ich hatte ihn für jünger gehalten…" gab sie zu. "Was soll ich nun mit dir tun, Ito-chan?" wandte sie sich an das Kleinkind, das sie verständnislos anblickte.
"Wie soll es überhaupt weitergehen?" Akira betrachtete mit leisem Bedauern das, was von den jungen Soldaten übriggeblieben war: ihre Identitätsplaketten und Chronometer. Jegliche organische Materie, die jünger als 60 Jahre war, hatte der Zeitsturm aufgelöst. "Es wird eine Untersuchung geben."
Midori seufzte. "Ja, sie werden wiederkommen." Sie strich über den Zeitsturmgenerator. "Und auch das nächste Mal werden wir vorbereitet sein."

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