© der Geschichte: Oliver. Nicht unerlaubt
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Die Prinzessin, der Ritter und der sehr große Schatz
oder
Gold verdirbt den Charakter

"Und du? Wer bist du?", fragte die Prinzessin gelangweilt.
"Ich bin ein Ritter, Mylady. Ich bin gekommen, um Euch zu befreien."
Die Gestalt stand unsicher am Höhleneingang. Sie sah sehr mitgenommen aus und wirkte fast ein wenig verloren in dem beeindruckenden Höhlengewölbe, das sich über ihr erhob. In der rechten Hand hielt sie ein großes Langschwert, dessen Klinge mit dickem, zähen Blut verschmiert war, das schon halb getrocknet war und die zahlreichen Scharten verdeckte, die es in unzähligen Kämpfen davongetragen hatte. Die Rüstung war voller Beulen und ebenfalls blutverschmiert, und der linke Arm hing seltsam verrenkt herunter. Sie machte einen Schritt auf den riesigen Haufen kostbarer Schätze zu, der in der Mitte aufgetürmt war und auf dessen Gipfel an einem Pfahl die Prinzessin mit ledernen Handfesseln festgebunden war.
Der Berg an Schätzen war schier atemberaubend. Juwelen funkelten, Goldstücke glänzten, Diamanten leuchteten, kostbarstes Geschmeide, mit Silberfäden verziert, bettete Gemme sanft auf weiche Ruhestätten. Es war wahrscheinlich der größte Schatz eines Drachen, den es je auf der Welt gegeben hatte.
Der Ritter stand nun am Fuße der Kostbarkeiten und schaute hinauf zur Prinzessin - und war sogleich von ihr verzaubert. Sie war wunderschön. Neben ihr verblaßten selbst die Sterne. Ihre elfenbeinfarben Haut glänzte matt im dämmrigen Licht und ihr seidiges Haar schlängelte sich an ihrem Rücken herunter wie züngelnde Flammen. Sie trug ein fliederfarbenes Sommerkleid - der Drache hatte sie entführt, als sie sich im Garten zu ihrem üblichen Nachmittagsspaziergang befand -, das sich elegant an ihre beinahe zerbrechlich wirkenden Figur schmiegte. Ihr Gesicht wirkte ein wenig hart, aber der Ritter sagte sich, daß das die Folgen der Verantwortung sein mußten, die man als Prinzessin bereits zu tragen hatte.
"Na prima", sagte sie. "Schickt dich mein Vater?"
Sie versuchte sich ein wenig zu drehen, um den Ritter besser sehen zu können. Aber das war nicht so einfach, da ihre Hände über ihrem Kopf an dem Pfahl zusammengebunden waren und sich die Lederriemen schmerzhaft in ihre Handgelenke schnitten.

Der Ritter löste sich aus ihrer Verzauberung und besann sich wieder auf seinen Auftrag.
"Jawohl, Mylady", sagte er im formellen Ton. "Er hat sofort die besten Ritter des Landes zusammengerufen, um seine über alles geliebte Tochter zu befreien."
"Mein Vater. Typisch für ihn." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Lederriemen ein wenig zu lockern.
"Wie meinen, Mylady?"
"Er denkt immer noch, ich sei ein kleines Mädchen, daß nicht auf sich selber aufpassen könnte", erklärte die Prinzessin. "Dabei vergißt er, daß ich langsam erwachsen bin."
"Er sorgt sich nur um seine einzige und über alles geliebte Tochter, Mylady. Außerdem galt es, Euch aus dieser mißlichen Lage zu befreien. Das hättet Ihr niemals alleine bewerkstelligen können."
"Ach was!" fuhr sie dazwischen. "Ich hätte es schon irgendwie geschafft." Sie sah den Ritter scharf an. "Hast du ihn wenigstens getötet?"
"Wen getötet?"
Die Prinzessin verdrehte die Augen. "Na den Drachen natürlich!"
"Oh ja, Mylady. Nach einem langen und hartem Kampf, in denen der Sieger lange Zeit nicht feststand, ist es mir am Ende doch gelungen, unter Aufbietung all meiner Kräfte, mein Schwer..."
"Jajajajaja", unterbrach sie ihn gereizt. "Keine ellenlange Romane, bitte. Ein einfaches ‚Ja' oder ‚Nein' genügt vollkommen."
"Natürlich, Mylady. Bitte entschuldigt. Also dann: ja, ich habe ihn getötet." "Was hat Euch denn mein Vater zur Belohnung versprochen?"
"Er versprach mir Eure Hand, Mylady, und eine größere Baronie im Norden des Landes."

"Ha!" platzte es der Prinzessin heraus. "Dieser elende Geizkragen! Bekommt hier den wahrscheinlich wertvollsten Schatz der Welt in die Hände, und alles was er bereit ist als Belohnung dafür zu geben, ist eine armselige Baronie irgendwo im unfruchtbaren Norden, die noch nicht einmal halb soviel wert ist, wie das wertloseste Stück aus diesem Schatz hier."
"Aber die Erlaubnis, um Eure Hand anhalten zu dürfen, ist das größte Geschenk, das man mir machen kann", schmeichelte der Ritter, wobei er sich versuchte zu verbeugen, es aber sogleich unterließ, als sich sein verletzter Arm schmerzhaft bemerkbar machte.
"Papperlapapp! Mein Vater weiß ganz genau, daß ich niemanden heiraten werde, den ich nicht will, und daß du es niemals wagen würdest, eine Entschädigung zu verlangen, wenn ich nicht einwillige. Dafür bist du viel zu ehrenhaft."
"Ich würde mich Eurem Willen natürlich fügen, Mylady", bemerkte der Ritter.
"Natürlich." Die Prinzessin verdrehte wieder die Augen. "Ihr seid alle gleich, ihr Ritter!"
"Wie meinen?"
"Ach vergiß es!"
"Wie Ihr wünscht, Mylady", sagte der Ritter steif.
"Komm und bind' mich endlich los. Oder willst du, daß ich hier oben noch einen Krampf in den Armen bekomme?"
"Verzeiht mir, Mylady. Ich eile."

Der Ritter stakste so schnell er konnte den Berg hinauf. Aber das war gar nicht so einfach, denn unter seinen Füßen gaben die Kostbarkeiten ein wenig nach, so daß er einige Male fast das Gleichgewicht verloren hätte. Das Ganze wurde noch durch seinen verletzten Arm und seine Rüstung erschwert, die seine Bewegungsfreiheit ohnehin schon erheblich einschränkten. Oben angekommen schnitt er mit seinem Schwert die Fesseln der Prinzessin los.
"So, und was willst du nun machen?", fragte die Prinzessin, während sie ihre schmerzenden Handgelenke massierte.
"Zuerst werde ich Euch in die sicheren Mauern der Burg Eures Vaters zurückbringen, Mylady. Dann wird Euer Vater sicherlich Träger hierher schicken, die den Schatz dann nach und nach in sein Schloß transportieren werden."
Die Prinzessin machte einen Schritt auf den Ritter zu und stand jetzt so nah bei ihm, daß ihr Kleid seine Rüstung berührte.
"Und was, wenn du mich nicht zurückbringst?", sagte die Prinzessin verschwörerisch "Wie meinen?"
"Stell dir doch mal vor, was wir mit dem Schatz hier alles machen könnten." Sie sah ihn dabei verführerisch an und fuhr mit ihrem Zeigefinger lasziv über seinen Brustharnisch. "Wir könnten uns eine riesige Armee kaufen und meinen Vater vom Thron stürzen. Dann erobern wir die Nachbarstaaten, noch ehe sie wissen, wie ihnen geschieht. Niemand könnte sich uns in den Weg stellen. Wir wären die mächtigsten Herrscher der Welt, wir beide, du und ich."
Bei diesen Worten funkelten die Augen der Prinzessin. Sie wartete ab, wie der Ritter antworten würde.
"Oh, Mylady. Ich fürchte, das geht nicht", antwortete der Ritter und schob die Prinzessin ein Stück von sich weg.
"Aber bedenke doch: dieser Schatz hier bedeutet Macht, unendliche Macht! Möchtest du denn nicht daran teilhaben?"
"Ich bedaure, Mylady", sagte der Ritter standfest, "aber ich habe Eurem Vater versprochen, den Drachen zu töten und Euch gesund und wohlbehalten nach Hause zurück zu bringen. Ich stehe zu meinem Wor..."

Der Ritter schaute überrascht. Irgend etwas hatte sich durch die Ritze zwischen seinem Brustharnisch und Bauchreifen gebohrt. Bei näherer Überlegung kam er zu dem Schluß, daß es etwas kühles metallenes gewesen sein mußte, von etwa acht Zoll Länge und sehr scharf. Ein prüfender Blick ergab, daß es sich um einen goldenen Dolch handelte, den die Prinzessin ihm gerade mit äußerster Wucht in den Magen gerammt hatte und ihn dort ein wenig hin und herbewegte, damit auch ja sämtliche Eingeweide durchtrennt wurden.
Der Ritter spürte, wie ihm das Blut aus der Wunde lief und er langsam das Bewußtsein verlor. Blut spukend taumelte er und stürzte schließlich den Berg aus Juwelen und Diamanten herunter. Mit einem ohrenbetäubenden Scheppern schlug er unten auf dem Fels auf und blieb regungslos liegen.
Die Prinzessin trat an den Rand des Schatzberges und schaute nach unten auf den toten Ritter.
"Männer!" sagte sie verächtlich.


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