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"Gitoona" oder "Von Einem, der auszog, um ein Held zu werden"

Aus dem Reisetagebuch von Luc Moreu

Colmar, den 7. Diljana 991 d. R.

Gestern habe ich Colmar erreicht, unsere glanzvolle Hauptstadt und so einen Höhepunkt meiner Reise. In Colmar ist die Stimmung, wie im ganzen Reich, ja, wie wohl auf dem ganzen Kontinent, gedrückt. Burnies Untergang schwebt noch allen wie ein Gespenst vor Augen.
Zwar dreht sich nicht alles um Burnie - die Stadt führt auch ihr eigenes Leben - aber Burnie ist ein fester Bestandteil des Lebens. Ein Hoffnungsschimmer ist der neue Konsul, der der geschockten Republik wieder eine neue Hoffnung gibt.
Doch zurück zu meiner Reise. Gleich gestern abend erlebte ich mein erstes denkwürdiges Ereignis. Als ich in der Stadt ankam, stieg ich in einer kleinen Pension ab. Bei weitem nicht das Beste, was Colmar zu bieten hat, aber der schmale Geldbeutel eines Schriftstellers erlaubt nicht mehr. Und da der Schankraum der Pension mir nicht zusagte, entschied ich mich, woanders meinen Durst zu stillen.
Unkundig wie ich in Colmar bin, suchte ich die nächstbeste Taverne auf, die mir vor Augen kam. So betrat ich die Taverne "Alter Weinkeller", die, wie sich zeigen sollte, eine gute wenn auch nicht ganz billige Wahl war. Ich stieg die Stufen hinunter - der Schankraum befand sich nämlich im Keller - und öffnete die schwere Eingangstür.
Sofort trat mir beißender Rauch von Zigarren und Pfeifen entgegen und ließ meine Augen tränen. Die Hitze war unerträglicher als draußen und trieb mir noch mehr Schweiß aus den Poren. Mein tavernengeschultes Auge - auf langen Reisen erwirbt man so etwas - suchte im halbdunklen Raum nach einer freien Stelle in der zum Bersten gefüllten Kneipe und wurde schnell fündig.
In der rechten hinteren Ecke saß ein alter, etwas heruntergekommen wirkender Mann - soweit die Lichtverhältnisse dieses Urteil zuließen - allein an einem großen Tisch. In der Hoffnung, er würde meine Gesellschaft begrüßen, näherte ich mich seinen Tisch und erregte sofort die Aufmerksamkeit vier gutgekleideter Herren mittleren Alters am Nebentisch. Noch bevor ich den Platz des Alten erreicht hatte, rief mir einer der vier Herren zu: "Setzen sie sich lieber zu uns, junger Mann."
Auf die Worte des Mannes rutschten seine Tischnachbarn zusammen und der Sprecher nahm ohne zu fragen, einen Stuhl vom Tisch des alten Mannes und stellte ihn für mich an seinen Tisch. Etwas überrascht über die Einladung setzte ich mich. Wiederum begann der Sprecher: "Wissen sie, junger Mann, bei uns sitzen sie besser als beim alten Beron."
Diesen Worten folgte ein hämisches Lachen seiner drei Tischnachbarn. Ich ging nicht weiter auf seine Worte ein und bestellte mir ein kühles Bier, um meinen Durst zu stillen. Die vier Herren die mich zum Tisch geladen hatten waren Geschäftsmänner - wie sich später im Lauf der Gespräche herausstellen sollte - und hatten ein ausgeprägtes Interesse bzw. eine gesunde Neugier. Sie fragten sowohl nach meinem Namen, wie nach meinem Beruf. Auch mein woher und wohin erschien ihnen wissenswert. Eine größer Diskussion gab es, als ich ihnen sagte, ich sei ein reisender Schriftsteller und bringe meine Erlebnisse zu Papier.
Schriftsteller sei doch kein Beruf, hieß es von ihrer Seite und ein reisender Schriftsteller sei ein Paradox in sich. Da ein Schriftsteller kein Geld verdiene und da das Reisen größere Mengen Geld erfordere, seien diese beiden Dinge unvereinbar, meinten sie. Der Platz des Schriftsteller sei deshalb der Schreibtisch und nicht die große, weite Welt.
Weiterhin wurde die Meinung geäußert, die heutigen Schriftsteller hätten sowieso kein Talent und wenn schon Literatur in Frage käme, dann doch nur ein Klassiker.
Nachdem die Punkte die meine Person betrafen ausdiskutiert waren, wandten sie sich wieder ihren privaten Geschäftsbesprechungen zu und ließen mich links liegen. Etwas verärgert über die vier Geschäftsleute und ihren in meinen Augen unfreundlichen Verhalten, überlegte ich, meine Pension frühzeitig aufzusuchen.
Ich saß vier älteren Männern entgegen, die sich weder durch ihr Aussehen, noch durch ihren Charakter besonders unterschieden. Dies war nicht ganz mein Fall. Ich hatte schon den Satz auf den Lippen: "Ich muß sie jetzt leider verlassen, meine Herren.", als sich hinter mir eine alte, verzweifelte, kraftlose Stimme, die ich nie wieder in meinen Leben vergessen werde, erhob.

"Oh, ihr Götter! Oh, ihr Götter! Was habe ich getan! Was habe ich nur getan!"
Sofort glitt ein Lächeln über die Gesichter der vier Geschäftsmänner. Der Mann, der mich zum Tisch gewinkt hatte und scheinbar der Wortführer der Vier war, lachte und sagte: "Der alte, blinde Beron. Er wiederholt seine Geschichte häufiger als das Südtheater zu Colmar seine Vorstellungen."
Seinen Worten folgte ein Lachen, ja ein fast kindisches Kichern der anderen. Ein Zweiter ergriff jetzt das Wort: "Vielleicht will der junge Mann diese Geschichte hören. Er ist doch Schriftsteller und kann diese Erzählung sicherlich rührselig verarbeiten. Jaques, geh doch mit dem Jungen rüber an den Nebentisch. Allein könnte er noch Angst bekommen."
Der Genannte blickte mich auffordernd an, ich nickte und wir gingen hinüber. Dort saß ein alter, heruntergekommener Mann. Seine blinden, weißen Augen blickten ins Nichts und seine zittrigen Hände umklammerten einen Krug billigen, übelriechenden Brandy. Als er Publikum bemerkte erhob er sein müdes Gesicht und begann mit den mir bereits vertrauten Worten:
"Oh, ihr Götter! Oh, ihr Götter! Was habe ich getan! Was habe ich nur getan!", und ohne sich dafür zu interessieren wer sei Publikum war, fuhr er fort: " Es war das Jahr 951 d. R.. Ich war jung, verdammt jung, vielleicht zu jung. Jung und auf der Suche nach Abenteuern. Ich war aus dem Norden des Landes gekommen und ritt kreuz und quer nach Süden. Ich hatte kein festes Ziel, mein einziges Ziel war die Suche nach Abenteuern. Doch ich wurde enttäuscht, die Welt schien keine Abenteuer für mich zu haben oder sie gingen mir einfach aus dem Weg. Wer weiß es. Zwischen Luckau und Calde hatte ich die Reichsstraße verlassen, in der Hoffnung in der Wildnis mein Abenteuer zu finden. Und ich bekam mein Abenteuer. Oh ja und was für ein Abenteuer. Es war so töricht das Schicksal herauszufordern. Ich befand mich bereits drei Tage in der Wildnis und hatte am Abend Gitoona verlassen."
Er hielt kurz inne. Tränen liefen aus seinen blinden Augen über seine knochigen Wangen. Es fuhr fort: "Ich dachte damals: Gitoona, was für ein schöner Name für eine Stadt. Dabei war es nur ein kleines Dorf, aber der Name versprach mehr für mich. Es war der Name für eine tausendtürmige Stadt mit silbernen Zinnen und festen Mauern, die jeden Angriff standhalten können. Wäre es doch so gewesen. Ich bette heute noch dafür. Wäre es doch nur so gewesen. Dabei war es ein kleines Kaff mit 80 Bewohnern. Mit alten Menschen und Kindern, die Jungen waren schon in die großen Städte gegangen. Aber es waren 80 Menschen. 80 Menschen!!"
Beron machte wieder eine kurze Pause. Mir war nicht recht klar auf was er hinaus wollte. Vielleicht war er verrückt und die Geschichte hatte keinen Sinn. Mein Tischnachbar schien seine Worte nicht zu hören und blickte sich gelangweilt in der Taverne um. Der alte Mann sprach weiter:
"Gitoona lag zwei Stunden hinter mir. Die Nacht war schön und ich hatte mich entschieden lieber irgendwo draußen zu übernachten. Einmal weil ich dachte, ein echter Held würde in keiner Taverne übernachten. Weiterhin hoffte ich, in meiner blinden Gier nach Abenteuern, gar mich gegen wilde Tiere am Lagerplatz behaupten zu können. Und die wilden Tiere kamen auch. Ich weiß nicht genau wie es passiert ist. Ich wachte nachts kurz auf und wurde niedergeschlagen. Später kam ich gefesselt und an einem Baum gelehnt wieder zu Bewußtsein. Man hatte mich überfallen. Eine Bande von, wie soll ich sagen, Strauchdieben, Wegelagerern hatte mich überfallen.
Es waren etwa 30 Mann, die mich mit ihren Lagerfeuern umzingelt hatten. Die Banditen hatten mein Erwachen offenbar bemerkt und eine düstere, große, in eine Robe gehüllte Gestalt wankte auf mich zu und blieb kurz vor mir stehen. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, einmal weil es zu dunkel war und einmal weil ihr die Kutte tief ins Gesicht fiel. Ich roch nur den Atem von Alkohol.
Die Gestalt begann zu reden. Ich hatte eine tiefe, dämonische Stimme erwartet, wie sie ein Bösewicht haben sollte, aber es war die Stimme eines normalen Menschen. Ich erinnere mich noch genau an seine Wort in schlechten Colmari: "Höre zu, Gefangene. Wir machen und wir wollen keine Gefangene machen. Aber ich weiß eine Mittel, wie wir trotzdem dein Loyalität haben werden." Er begann in seiner Tasche zu kramen und holte eine kleine Spritze heraus, die er mir gewaltsam in den Arm drückte. Er fuhr fort: "Das ist Makala. Du vielleicht kenne. Jetzt höre zu genau. Ich lasse dich jetzt frei. Aber wenn du warne Dorf Gitoona vor Überfall, du werde blind mit Makala. Wenn du nicht warne, du bekomme Gegengift von uns in Gitoona. Dort warte auf uns und dann bekomme Gegengift. Jetzt gehe."
Er schnitt mich los und ich lief wie ein Hase in die Nacht. In sicher Entfernung setzte ich mich hin und dachte über seine Worte nach, die durch Sprachschwierigkeiten und viel Alkohol zuerst keinen Sinn für mich ergaben. Nur das Wort Makala hatte mir einen Schock versetzt.
Nun verehrte Zuhörer, wer sie auch immer sein mögen, sicherlich kennen sie Makala. Jenes dämonische Gift, das einen Menschen in 24 Stunden erblinden läßt, sofern er kein Gegengift erhält. Es ist das gleiche Gift, daß damals der glorreiche Konsul Marat im großen Krieg einem aldernerischen Offizier eingeflößt hat und ihn so zwang die genauen Stellung der aldernerischen Armee preiszugeben.
Aber sie kennen die Geschichte ja. Das Bewußtsein für Geschichte ist stark in unserem Volk, selbst für solche faulen Triumphe. Und dieses Gift hatte ich in mir. Manche Alchimisten behaupten ja Makala sei der größte psychologische Bluff der Alchimie, andere behaupten wiederum es wirke wirklich. Aber wenn man vergiftet ist, hat man wenig Lust zu erfahren, wer recht haben könnte.
Ich saß nun in sicherer Entfernung auf einem Stein und legte mir die gehörten Wort zurecht. Man hatte mir Makala eingeflößt, soviel war klar. Damit wollte man meine Loyalität gewinnen. Sollte ich Gitoona warnen würde ich mein Augenlicht verlieren, würde ich es diesen Plündern und Mördern überlassen, würde man mir wohl über Blut und Leichen in Gitoona das Gegengift reichen.
Welches kranke Hirn hatte diesen perversen Plan ersonnen? Und warum haben sie es getan? Und warum haben sie mich nicht einfach getötet? Ja, darüber habe ich oft nachgedacht. Es war Perversität im Spiel und der Alkohol hat sicher auch eine Rolle gespielt. Das waren wohl zwei wichtige Gründe. Vielleicht war es für sie auch eine Art Spiel für sie, der Zuckerguß ihrer perversen Triebe, mir so eine unmenschliche Entscheidung aufzudrücken. Ich kann es nicht beantworten. Sie hätten mich auch einfach bei meinem Lagerplatz liegen lassen können, wenn sie schon keine Gefangen wollten. Aber sie wollten natürlich alle meine Habseligkeiten und vor allem mein Pferd. Sie hatten mir nur etwas Proviant und Wasser gelassen. Ja, ich habe oft über das warum nachgedacht und tue es manchmal heute noch. Wie auch immer. Mir blieb nur eine Wahl: Meine Blindheit oder der Tod von 80 Menschen. Wie ich mich auch entschieden würde, ich mußte wieder zurück nach Gitoona."
Die Geschichte hatte mich bis jetzt so ergriffen, daß ich mich nicht mehr halten konnte. Ich unterbrach ihn und rief ihn zu: "Sie haben das Richtige getan, guter Beron." Der blinde Mann wurde schlagartig still, langsam zeigte sich ein bitteres Lächeln auf seinem Gesicht und er fuhr fort:
"Mein übereifriger und offenbar junger Zuhörer, urteilen sie am Ende der Geschichte noch einmal. Ich machte mich also auf den Weg. Mein Pferd war ja in der Hand dieser Schurken. Den Weg, welchen ich zuvor in 2 Stunden im gemütlichen Trab zurückgelegt hatte, dauert jetzt über vier Stunden. Vier Stunden sind eine verdammt lange Zeit. Verdammt lange. Man kommt viel zum Überlegen. Wissen sie was ich damals gedacht habe? Können sie sich es vorstellen?
Mein Kopf war voll von Begriffen wie Opfertod, Edelmut, Heldentum. Es schwirrten sämtliche Heldengeschichten von Caledon bis Vare darin. Dazu brauche ich nichts mehr zu sagen, sie kennen alle die Klassiker der Heldenepik. Sie wissen was ich meine. Aber trotz all dieser edlen Gedanken in mir fühlte mein Herz nur eins: Angst! Angst mein Augenlicht zu verlieren, Angst mich zu entscheiden, Angst kein Held sein zu können. Und es gab noch einen anderen Gedanken. Ein Gedanke für den ich mich heute noch schäme, auch wenn er noch so schwach war. Der Gedanke, keine Mitwisser für mein mögliches Verbrechen zu haben. Der Gedanke, mein Augenlicht zu bewahren, ohne daß jemals jemand erfahren würde für welchen Preis. Der dunkle Gedanke, daß ich dieses Verbrechen verstecken könnte, die Bande würden sicher nicht reden.
Mit diesen Überlegungen hatte ich Gitoona erreicht. Es war schon weit nach Mitternacht, der Morgen würde bald grauen, mir blieb nicht mehr viel Zeit. In keinem Fenster brannte Licht, alles schlief noch. Der Tod würde wohl im Morgengrauen kommen, wenn ich nichts unternehmen würde.
Ich lief durch die kleinen Straßen des wehrlosen Gitoona. An welche Tür sollte ich zuerst klopfen? Wenn sollte ich zuerst wecken? Ich blieb fast an jeder Tür stehen, wollte klopfen und tat es dann doch nicht. Ich wich immer zurück. Ich hätte die Menschen warnen können.
Die Wälder in der Nähe hätten genug Verstecke für 80 Menschen geboten. Ein schneller Reiter hätte Calde in zwei Tagen erreicht und hätte Hilfe holen können. Dort waren damals zwei Kompanien Leichte Reiterei stationiert, die hätten Ordnung geschafft.
Hätten, hätten, hätten. Ich will meine Geschichte nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich habe zulange gezögert. Einfach nur gezögert und im Morgengrauen wurde mir die Entscheidung abgenommen. Die Sonne ging auf und die Mordbande erschien. Die Dorfbewohner und die Mordgelüste der Räuber erwachten. Wie wilde Tiere fielen sie über Gitoona her und töten alles was lebte. Sie töten alles was lebte.
Was für ein bequemer, nichtssagender Satz. Nein, sie folterten, quälten und zerstückelten die Menschen. Die Frauen und Mädchen wurden zuerst vergewaltigt, bevor sie das Schicksal der Männer teilten. Alles wurde verwüstet und geplündert. Und als sie mit allem fertig waren, verbrannten sie die Leichen und Verwundeten.
Und was habe ich gemacht? Was glauben sie? Als sie wie wilde Tiere auf Gitoona stürmten, lief ich in panischer Angst davon. Aber nicht zu weit, sonst würde ich das Gegengift nicht bekommen, nur in sichere Entfernung. Als ich das Blutbad von weitem sah, wünschte ich mir ich wäre blind gewesen. Sie fragen sich jetzt sicher, warum ich nun doch blind bin. Glauben sich ich habe in einen Anfall von Reue auf das Gegengift verzichtet? Oder denken sie, diese Perversen hätten es mir nicht gegeben?
Nein, so war es nicht. Ich habe das Gegengift erhalten und als die Mödertruppe Gitoona verlassen hatte bzw. den Platz von Gitoona einst war, habe ich es auch genommen.
Ich blieb also allein zurück und blickte von weitem auf die verkohlten Leichen und Häuser, zu feige um mich ihnen zu nähren. Der Wind trieb mir den Geruch von verbrannten Fleisch in die Nase. Haben sie schon mal verbranntes Menschenfleisch gerochen? Wohl nicht. Und wie ich mir so alles ansah, hörte ich eine mächtige Stimme in meinen Kopf:
"Blicke in mein goldenes Gesicht. Blicke in mein goldenes Gesicht." Ich folgte diesen Befehl und blickte in Helions Scheibe. Wissen sie wie hell die Sonne ist? Ich weiß es.
Am Ende verlor ich doch mein Augenlicht. Es ist wohl die Ironie des Schicksals, daß sich gerade eine so unheldenhafte Geschichte wie eine klassische anhört. Der Protagonist wird von den Göttern für sein Versagen bestraft.
Ich nehme mir es jetzt nicht heraus ihnen irgendwelche Lehren aus dieser Geschichte aufzudrücken.
Nein, ich mache den Rest der Geschichte kurz. Blind wie ich war, irrte ich noch zwei Tage durch die Wildnis und wurde dann von einer Reisegruppe gefunden. Das wenige Proviant und Wasser was ich bei mir hatte sicherte mein Überleben. Die Reisegruppe brachte mich nach Calde. Und ich fiel noch tiefer. Ich erzählte, daß ich der einzige Überlebende von Gitoona sei. Nicht einmal da hatte ich den Mut dieses ungesehene Verbrechen zu erzählen. Den Soldaten in Calde habe ich damals alles gemeldet, aber auch da habe ich mein Verbrechen verschwiegen. Es hat sehr lange gedauert bis ich darüber geredet habe.
Wie ich später erfahren habe, hat man die Räuberbande gefaßt. Sie haben noch zwei Dörfer auf diese Weise überfallen und wurden dann von der Reichsarmee gestellt. Die, die nicht im Kampf gefallen sind, hat man aufgehängt. Natürlich nur ein schwacher Trost."
Der alte Mann schwieg, wiederum liefen Tränen über seine Wangen. Ich hatte der Geschichte so sehr gelauscht, daß ich den ganzen Lärm um mich herum vergessen hatte. Meinen Tischnachbarn Jaques schien diese Geschichte nicht im geringsten zu berühren, er hatte sie offenbar schon zu oft gehört. Als ich glaubte die Geschichte sei schon zu Ende, nahm der blinde Beron noch einen tiefen Schluck von seinem Brandy und begann erneut zu sprechen:
"80 Menschen habe ich auf dem Gewissen. 80 Menschen. Jede Nacht erscheinen sie in meinen Träumen und klagen mich an. Jeder hat jetzt das Recht mich auf das schärfste zu verurteilen. Aber bedenken sie auch eins: Was hätten sie gemacht?"
Mit diesen Worten schloß der Alte seine Erzählung. Auch ich möchte den Rest meiner Geschichte kurz machen. Ich trank mein Bier aus, zahlte, verabschiedete mich vom alten Beron und den vier Geschäftsleuten und ging in meine Pension zurück. Es war kurz nach Mitternacht, ermüdet und deprimiert von der Geschichte fiel ich in einen traumlosen Schlaf. Kurz bevor ich einschlief klangen mir noch die Worte meines alten Großvaters in den Ohren: Colmar ist voll Licht und dieses Licht wirft seine Schatten.

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