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Abenteuer aus Anna-Toll

0. Prolog

"Da ist er", sagte Hastur.
Seit Stunden waren wir schon unterwegs. Genaugenommen starteten wir mit Einbruch der Morgendämmerung.
Wir verfolgten die Fährte eines Elchs. Zäh und unbeirrbar Einer Tortur gleich. Den größten Teil der westliche Ebene von Anna-Toll mußten wir mittlerweile schon hinter uns gebracht haben . Schätzungsweise, aber das subjektive Empfinden spielte einem ja schon mal den einen oder anderen Streich.
Erst durch unwegsames Gebirge, in Höhen, wo es empfindlich kalt war. Wo der Pflanzenwuchs erst immer spärlicher wurde, bis er irgendwann ganz verschwand und nur noch kahles Felsgestein unter unseren Füßen war.
Dann herunter in die Täler, als die Sonne schon ihr Zenit erreicht hat. Zum Teil durch sumpfiges Geläuf, was das vorankommen nicht gerade erleichterte. Bis wir zu der steppenähnlichen Landschaft kamen, in der wir uns nun befanden.

Flimmernde Hitze, stickig und schwül.
Wir hatten schon seit Stunden keine Wasserstelle mehr zu Gesicht bekommen. Unsere Vorräte gingen langsam zu Neige. Der Hunger trieb uns an, machte die ganze Jagd aber nicht leichter. Die Lust auf diese Jagd war uns allen schon vergangen.
Nur eine unvernünftige Sturheit hielt uns davon ab, wieder unverrichteter Dinge kehrtzumachen.
Zwischendrin verloren wir die Fährte. Aber wir fanden sie wieder.
Wir, das waren Hastur, Stearl Bitt, Boris, Ceram und ich.
Hastur war ein langer Kerl mit losem Mundwerk. Wenn wir Mal etwas zu feiern hatten, und dann floß eine Menge Wein und Bier, vollbrachte er immer das größte Chaos. Daher rührte auch sein Spitzname Captain Chaos.
Stearl Bitt, der Älteste, hatte schon neunzehn Mal das Kommen und Gehen der Jahreszeiten erlebt. Alle anderen erst sechzehn Mal, nur ich erlebte erst fünfzehn Sommer.
Stearl war ein lustiger Bursche. Zwar versuchte er manches Mal beim Kartenspiel zu mogeln, weniger zurückhaltende Gemüter nennen es kräftig bescheißen, doch wenn es darauf ankam, war er ein prima Kumpel.
Wollen sie ein Wort über Boris hören? Von ihm etwas zu hören war schwierig. Er badete sich in seiner Lässigkeit. Selten war er aus der Ruhe zu bringen. Was er als cool und überlegen empfand, beschrieben andere hämisch als Mangel an Temperament. Seine lange dürre Gestalt mit der typisch hellen Haut aller Rothaarigen konnten dieses Vorurteil auch nicht entkräften.
Ceram war nicht nur der kleinste, sondern auch der Geschwätzigste. Kaum ein Augenblick verging, ohne einen neuen Witz oder eine absurde Geschichte. Man fragte sich immer, wo der wahre Kern dieser Erzählungen sein sollten. Manche waren so abstrus, daß sie schon wieder glaubhaft waren. Ceram war auch daran Schuld, daß wir jetzt auf der Jagd waren. Ihm hatte ich die Blasen an den Füßen und die bleiernen Glieder zu verdanken.
Jeder hatte seinen Wurfspieß dabei. "Komm, jetzt holen wir uns den Elch", beschloß Stearl Bitt.
"Ja, mach ihn fertig", sagte Ceram. "Ich helfe euch auch, sonst schafft ihr es nicht."
"Du Gnom", ließ Hastur verlauten, "wie willst du denn den Elch fertig machen? Du kriegst ja nicht mal ein Bierfaß gestemmt."
"Warte nur, ich zeig`s dir."
"Das will ich sehen, Hungerleider", lästerte Boris.
"Immer auf die Kleinen. Macht mich nur fertig."
"Brauchen wir nicht, du bist schon fertig genug". Hastur mußte wie immer als letzter seine große Klappe aufreißen.
Wir pirschten uns langsam an den Elch heran. Sternförmig verteilten wir uns und umzingelten das Tier.
Dieser wollte flüchten.
Doch da warf Ceram seinen Wurfspieß auf ihn. Getroffen schrie das Tier. Auch die anderen warfen, nur ich kam nicht zum Wurf. Der Elch fiel tot um.
"Mammut hat mal wieder gepennt", meckerte Hastur.
"Pah", erwiderte ich, "wäre ja Arbeit gewesen."

Wir transportierten den Elch ab. Wieder zurück , fast durch den kompletten uns bekannten Teil von Anna-Toll. Angeblich war Anna-Toll eine Insel, ich hatte bisher jedoch noch nie irgendein größeres Gewässer als einen See gesehen. Wahrscheinlich war es nur ein hartnäckiges Gerücht, diese hielten sich um so länger, um so absurder sie waren. Zwar kannte ich einige , die behaupteten, daß sie schon das Meer gesehen hatten, aber wenn man alles glauben würde, was man erzählt bekommt....Ich würde es irgendwann selbst sehen um das Gefühl des Fernwehs zu fühlen.
Von diesen Behauptungen abgesehen war Anna-Toll für meine Verhältnisse recht groß, mit Bergen, grünen Tälern, zahlreichen Flüssen und Seen, aber auch recht trockenen Gebieten, in denen es kaum Vegetation gab. Vor allem war die Landschaft recht abwechslungsreich, was die Heimkehr jedoch nicht gerade erleichterte.
Als wir unsere Höhle erreichten, neigte sich der Tag zu Ende. Zur Feier des Tages beschlossen wir ein Fest. Der Elch wurde zerlegt und gebraten. Bei Bier, Zigaretten und Skat - ein von uns erfundenes Spiel - aßen wir genußvoll von dem Elchfleisch.
Ceram erzählte mal wieder einer seiner absonderlichen Geschichten, nicht ohne lästernd von Hastur unterbrochen zu werden. Nach einer Weile spürten wir unserer bleischweren Glieder. Die Augen gingen auf Halbmast. Wir legten uns zur Ruhe.
So ging es Tag für Tag, ein schönes Leben.
Bis zu dem verhängnisvollen Montag. Da fing alles an...

1. Fremder Besuch

Ich kam gerade von einer Nachbarhöhle. Dort hatte ich ein wunderschönes Mädchen besucht. Leider war sie schon vergeben. Doch ein Plauderstündchen mit ihr brachte immer die Sonne in mein Gemüt zurück. Sie hatte gute Manieren und war auch sehr bewandert in den Dingen des täglichen Lebens. Vor allem ihre wunderschönen, nur knapp verhüllten Rundungen sorgten bei mir immer wieder für den Höhepunkt eines Tages.
Draußen versank die Sonne langsam am Horizont. Wir hatten einen heißen Tag hinter uns gebracht.
"Hallo Stearl", begrüßte ich unseren Ältesten. "Wo sind die Anderen?"
"Hastur und Boris sind schwimmen. Ceram ist Zigaretten hohlen."
"Ach so". Ich machte es mir in einer Ecke bequem. Wir unterhielten uns über den gestrigen Tag. Diskutierten über das Leben im Allgemeinen und auch im Besonderen. Ruften uns gemeinsame. Vergangene Momente in Erinnerung, und schwelgten in hoffnungsvollen Träumen über eine uns genehme Zukunft.
Die Zeit verflog.
Nach kurzer Zeit hörte ich vor der Höhle Schritte.
Na also!
Da kamen die ersten zurück. Zusammen mit Stearl Bitt ging ich zum Eingang unserer Höhle, um unsere Kumpanen zu begrüßen.
Doch das war keiner unserer Freunde. Ein Fremder.
"Was willst du?" fragte Stearl Bitt.
"Ich habe Hunger", sagte der Fremde. "Auf euer Blut"
Stearl Bitt und ich sahen uns skeptisch an. Ein Verrückter. Ich wollte gerade eine sarkastische Bemerkung loslassen, da zeigte er uns seine Zähne.
Vampirhauer. Ein Blutsauger.
Er versuchte uns mit seinen düsteren Augen zu fixieren. Ein leichter Schwindel erfaßte mich. Trägheit füllte meine Gedanken.
Plötzlich lenkte mich ein herumlaufendes Kaninchen ab. Irgendwie fühlte ich mich benommen. Ich sah nach Stearl Bitt, und er wirkte benommen. Sein Blick hatte etwas Abwesendes. Ich stupste ihn an. Verwirrt klärte sich sein Blick.
Der Vampir versuchte uns zu hypnotisieren. Auch Stearl war dies jetzt aufgefallen. Wir mieden seinen Blick. Da griff er uns an.
Er warf sich auf mich. Ich konnte gerade noch ausweichen, sonst hätte er mich unter sich begraben. Während er sich aufrappelte, flüchteten wir in das innere unserer Höhle und packten unsere Wurfspieße. Ob diese jedoch gegen den Vampir helfen würden ?
Ich bezweifelte das. Der Untote stürzte sich zum zweiten Mal auf mich. Ich stieß mit dem Wurfspieß zu. Eine klaffende, blutleere Wunde erstand. Während ich entsetzt auf irgendeine Wirkung wartete, schlug mich der Vampir nieder.
Schwarze Schlieren verschleierten meinen Blick. Die Welt drehte sich um mich. Mühsam versuchte ich bei Bewußtsein zu bleiben. Der Blutsauger beugte sich über mich.
Da stieß ihm Stearl Bitt den Wurfspieß mitten ins Herz. Der Vampir zeigte immer noch keine Wirkung. Angewidert zog er sich den Wurfspieß aus dem Körper, lächelte uns höhnisch an und brach ihn entzwei.
Doch während der Vampir sich feiern ließ, flüchteten wir aus der Höhle.
Da stand Ceram.
"Lauf", schrien wir im Gleichtakt." Gleich kommt ein Vampir."
"Ein Vampir? Trinkt ihr schon am hellichten Tage?" Unbeirrt ging er weiter, kopfschüttelnd, mit einem mitleidigen Lächeln auf den Lippen.
Plötzlich ein Schrei. Kurz darauf raste Ceram wie von der Tarantel gestochen an uns vorbei. Das man mit so kurzen Beinen so schnell laufen konnte. Wir gaben ebenfalls nochmals Gas. Trotzdem hörten wir den Vampir hinter uns näherkommen.
"Ins Wasser", rief ich . Sprach`s und sprang in das kühle Naß, dicht gefolgt von Stearl Bitt, der leider auf mir landete, wodurch ich zwischenzeitlich die Orientierung verlor und ordentlich Wasser schluckte.
Nur Ceram stolperte und blieb benommen am Ufer liegen.
Der Blutsauger beugte sich genüßlich über ihn. Er packte ihn am Kragen, während sein Gewicht verhinderte, daß Ceram fliehen konnte. Er weidete sich an dessen Angst. Langsam drückte er Cerams Gesicht zur Seite und beugte sich vor. Nochmals verharrte er und lächelte grausam. Scheinbar weidete er sich an Cerams Angst.
Plötzlich wurde der Kopf des Vampirs zurückgerissen. Boris hatte ihn an den Haaren gepackt. Bevor der Untote reagieren konnte, trennte eine Axt seinen Kopf von den Schultern. Augenblicke später war der Vampir zu Staub zerfallen.
Hastur stellte sich in Pose. Er präsentierte uns seine Muskeln, stolz die Axt erhoben.
"Auf! Auf! Wo bleibt der Applaus". Ein hämisches Grinsen zierte sein Gesicht. " Na ihr Schwächlinge. Ohne meine Hilfe könnt ihr ja nicht mal gerade aus gehen."

War ja klar, ohne einen lockeren Spruch ging es bei Hastur ja nie.
"Brrr. Ist das kalt." Mit Einbruch der Dämmerung war es empfindlich kalt geworden. Zumindest wenn man mit triefend nassen Klamotten aus dem Wasser stieg.
"Echte Männer frieren nicht," sagte Ceram hämisch.
Alle lachten.
Nur Stearl Bitt und ich nicht. Wir mußten ziemlich finster aus der Wäsche geschaut haben, denn Ceram wurde ganz bleich.
"Regt euch ab. Hauptsache uns ist nichts passiert." Boris sah die ganze Sache locker.
" Genau! Zum Abregen gehen wir einen draufmachen." Typisch Hastur.
Aber das Bier schmeckte.
Am nächsten Morgen hatten wir mit einem viel scheußlicherem Dämon zu kämpfen.
Mit einem Kater.

2. Drago - der Schreckliche

Es war herrliches Wetter. Die Sonne brannte gnadenlos am Himmel. Keine Wolke ließ sich blicken. Strahlend blau, soweit das Auge reichte.
Genau die richtige Zeit, um sich im kühlen Naß unseres Sees eine angenehme Abkühlung zu nehmen. Wir planschten und blödelten wie Gott uns erschaffen hatte.
Ich legte mich zum Sonnenbaden ans Ufer. Ein Glücksgefühl ob des schönen Tages durchströmte mich.
Meine Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. So jung wir noch waren, so viel hatten wir schon erlebt.
Lustige Momente, aber auch haarsträubende Abenteuer. Wir , die Höhlenbewohner, hatte schon gegen Drachen und Dämonen gekämpft, holde Jungfrauen gerettet und uns mit der Magie der Natur auseinandergesetzt.
So auch bei dem Abenteuer, bei dem Hastur seinen Spitznamen Drago- der Schreckliche bekam...

Hastur und ich ritten auf unseren Einhörnern durch den nördlichen Teils Anna-Tolls. Wir befanden uns in einem Wald, hinter dem das offene Meer liegen sollte. Endlich konnte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß Anna-Toll eine Insel war. Die Anderen wollten lieber faul in der Sonne liegen. Nur Hastur war abenteuerlustig genug, um den langen Ritt mitzumachen. Allerdings erhoffte er sich die eine oder andere Frauenbekanntschaft, wenn nicht sollte wenigstens eine gehörige Portion Ruhm und Gold zu erlangen sein.
Wir ritten in einem gemütlichen Galopp auf unseren Einhörnern. Hasturs Einhorn hörte auf den Namen Eva-Maria, meines hieß Alexandra. Es war noch nicht allzu lange her seit wir die Bekanntschaft der Einhörner gemacht hatten, seitdem begleiteten sie uns wie zwei treue Seelen. Das war ein wunderschönes Abenteuer gewesen, bei dem wir viele neue Erfahrungen gemacht hatten, und dabei nicht nur gute.
Doch jetzt waren wir auf dem Weg zur Küste, um Ruhm und Erfolg zu erringen.
Der Wald war ziemlich dicht, deshalb ging es nicht allzu schnell. Hastur ritt etwa zwei Meter vor mir, als er plötzlich stürzte. Zum Anhalten war es zu spät. Ich sah nur noch ein gespanntes Seil, dann drehte sich die Welt um mich.
Hart prallte ich zu Boden. Ich wollte gerade aufstehen, da traf mich ein harter Gegenstand am Hinterkopf. Dann gingen bei mir die Lichter aus.

Brutal wurde ich ins Bewußtsein zurück geschleudert. Eiskaltes Wasser hatte diesen Effekt erzeugt. Diese Abkühlung ließ mich erwachen. Und förderte diese abscheulichen Kopfschmerzen zu Tage. Wahr war, das Schmerzzentrum bestand schon vor dem Erwachen. Wahr war aber auch, die Wahrnehmung während einer Bewußtlosigkeit war angenehm getrübt.
Schallendes Gelächter begleitete mein mühsames Erwachen. Ich blickte mich um. Finstere, zu meist bärtige Gesellen umringten uns. Hastur lag neben mir. Die Fremden hatten uns ordentlich eingeschnürt. So mußte sich eine Wurstpelle fühlen.
Die Luft roch nach Salz. Mein Geruchsinn kam wieder. Leider nahm er auch weniger angenehme Gerüche war. Die Gruppe um uns schien das Baden nicht unbedingt als Olympische Disziplin zu nehmen, und wenn doch mußte gerade die Zeit zwischen zwei Olympiaden sein.
Es war offensichtlich. Die Holzplanken, der Mast, die Takelage. Wir befanden uns auf einem Schiff. Endlich hatte ich das Meer erreicht. Allerdings wenig freiwillig und mit Sicherheit nicht im gewünschten Zustand der erfreuten Erwartung.
" Na was haben wir denn da?" Hämisch schaute uns ein riesiger Seebär an. Genußvoll stellte er den Eimer weg. " Wacht auf, oder wollt ihr die Hälfte der Kreuzfahrt im Schlummer genießen?"
Schallendes Gelächter machte die Runde.
"Was für einen Fang haben wir denn da gemacht?" fragte der blonde Riese mit einem Unterton, der vor Spott nur so triefte. Sein Gesicht verzog sich zu einem hämischen Grinsen.
"Keinen Guten", hörte ich neben mir Hastur erwidern.
"Ha ha! Ein Witzbold." Schlagartig wurde der Seemann ernst.
"Werd nicht frech, sonst wirst du gekielholt."
"Bist du hier der Obermacker?"
"Nein", antwortete er verdutzt.
"Hätte mich auch gewundert, so ein Würstchen wie du."
Hastur konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.
"Du lachst?" Er schlug Hastur in das Gesicht." Du hast eine ziemlich große Klappe. Wir werden sehen, ob du mehr bist als ein Maulheld. Wenn die Sonne im Zenit steht, werden wir kämpfen. Dann wirst du deine vorlauten Bemerkungen büßen."
Mit diesen Worten verschwand er. Hastur wollte aufspringen, doch die Fesseln ließen ihm keinen Bewegungsspielraum. Man brachte uns unter Deck und nahm uns die Fesseln ab. Die Matrosen verließen den Raum, man hörte das Schloß schließen, dann waren wir allein.

Der Raum war stickig und düster. Die Tür war massiv und war anscheinend von außen mit einem Riegel verschlossen. Das stetige Schaukeln des Schiffes war zwar zu ertragen, aber für uns Landratten recht unangenehm.
"Da hast du dir ja etwas eingebrockt", sagte ich zu Hastur.
"Bleib mal locker. Vielleicht war das gar keine so schlechte Idee. Mal sehen, was noch daraus wird." Ich sah ihn zweifelnd an. Schweigend blieben wir hocken und hingen unseren Gedanken nach. Das Warten war eine Qual.
Auch Hastur konnte man ansehen, daß diese Untätigkeit nicht unbedingt seinen Stärken entsprach. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis wir das Zurückschieben des Riegels bemerkten. Sie waren gekommen um uns zu holen. Die Zeit des Abwartens war vorbei. Unser Schicksal würde sich nun entscheiden.

Die Seeleute hatten einen Platz auf dem Deck freigemacht. Abgegrenzt wurde er von der Meute Männer, die johlend auf eine große Show hofften. Der Name des blonden Riesen war Henry O´Flynn. Er schien ein starker Kämpfer zu sein. Ein mitteilungsbedürftiger Matrose erzählte uns, daß die Wettquoten für Hastur sehr schlecht standen.
O`Flynn war ein erfahrener Recke, der schon oft solch einen Zweikampf ausgefochten und meistens gewonnen hatte. Die beiden Kontrahenten bekamen beide ein Messer. Der Kapitän - wie ich erfahren konnte hieß er Mike Smith und das Schiff Marabella - gab das Startzeichen, ein Schuß in die Luft.
O`Flynn und Hastur umlauerten sich. Sie drehten sich im Kreis. Immer wieder zuckte einer der Beiden nach vorne, um die Reaktion seines Gegenüber zu testen. Die Menge pfiff und johlte in Vorfreude auf eine Menge Blut.
Plötzlich sprang O`Flynn vor und stieß mit dem Messer zu. Hastur stolperte bei dem Ausweichmanöver und rutschte aus. Er fiel zu Boden. O`Flynn witterte Morgenluft und stieß springend auf Hastur. Dieser rollte sich im letzten Moment herum.
Zeitgleich waren beide wieder auf den Beinen. O`Flynn hatte jetzt Oberwasser und attackierte Hastur unentwegt. Hastur wich immer weiter zurück, bis er die Reling in seinem Rücken spürte.
In diesem Moment stieß Hastur das Messer nach vorne. Wie erwartet zuckte O`Flynns Oberkörper zur Seite. Hasturs Bein beschrieb einen Kreis, traf seinen Gegner und holte ihn von den Beinen. Dumpf fiel dieser zu Boden.
Hastur sprang auf ihn und hielt ihm das Messer an die Kehle.
"Gib auf!"
""Okay", krächzte O`Flynn, " Du hast gewonnen."
Hastur ließ von seinem Gegner ab und wandte sich der Menge zu. Wie immer ließ er sich feiern, reckte seinen Oberkörper in Position.
"Achtung", schrie ich.
Gedankenschnell sprang Hastur zu Seite. Hart prallte O`Flynn zu Boden. Dabei kam er unglücklich auf den Schiffsboden auf und stieß sich das Messer selbst in den Bauch. Zuckend lag er auf dem Boden, eine Blutlache bildete sich unter ihm. Ein letzter, heftiger Krampf und er lag still. Seine Augen brachen, er hatte diese Welt für immer verlassen.
Hastur wurde bleich. Auch mir schwante Böses. Doch ein Blick in die Runde lehrte mich eines Besseren. Kaptain Mike Smith hob die Hand. Die Menge verstummte.
"Der Fremde hat eine fairen Kampf gefochten. Da wir leider einen guten Seemann verloren haben, werden wir die beiden Fremden in unsere Mannschaft aufnehmen."
Er blickte zu Hastur.
"Du hast gewonnen. Er hat sich selbst gerichtet."
Die Worte des Kapitäns zeigten Wirkung. Jetzt waren auch die Seeleute auf unserer Seite. Und sie gaben Hastur einen Spitznamen.
"Drago! Drago!" riefen sie.
Sie hatten Achtung vor dem Kämpfer Drago. Und hinter vorgehaltener Hand wurde er fortan nur noch Drago - der Schreckliche genannt.

Wir waren jetzt schon den achten Tag auf See. Mit dem Schlafen hatten wir gar keine Probleme. Die ungewohnte harte Arbeit und die frische Seeluft verhalfen einem zu einem tiefen, traumlosen Schlaf. Wenn man zum denn mal zum Schlafen kam.
Die Nacht hatte nämlich ein starker Sturm gewütet. Die 25-köpfige Mannschaft, inklusive uns, war am Rande der Erschöpfung. Alles Bewegliche festzurren, die Segel einpacken und selbst versuchen, an Bord zu bleiben, all dies hatte uns eine schlaflose Nacht bereitet. Welle um Welle hatte sich auf dem Deck ergossen. Die Marabella war den Naturgewalten hilflos ausgeliefert, sie schlingerte wie eine Nußschale. Die Mannschaft mußte all ihr seefahrerische Können aufbringen, damit wir nicht auf dem Grund des Meeres landeten.
Gegen Morgen ließ der Sturm nach, und wir konnten etwas Kraft schöpfen. Jetzt herrschte Flaute und wir und die Seeleute ließen die Seele baumeln.
"Wie lange wollen wir noch auf diesem Schiff fahren?", fragte ich Drago. "Unsere Kumpels werden sich Sorgen um uns machen."
"Ach, was, die wissen doch, Unkraut vergeht nicht. Außerdem macht die Schiffsreise doch Spaß, oder? Es war doch etwas langweilig in der letzten Zeit. Das ist mal eine richtige Abwechslung."
Da mußte ich ihm zustimmen. " Auf die paar Tage kommt es ja auch nicht an. Man lebt ja lang genug."
"Und intensiv. Dafür werde ich, Drago, schon sorgen."
"Allerdings, das fürchte ich auch. Wir werden ja sehen, welche Suppe du uns noch so einbrockst.
Da riß uns ein Ruf aus unserem Gespräch.
"Schiff backbord", schrie der Ausguck. Urplötzlich war die Ruhe vorbei. Die Matrosen rannten scheinbar ziellos durcheinander. Kommandos wurden gebrüllt und beantwortet. Stellung bezogen.

Wir warteten an der Reling. Das gesichtete Schiff erwies sich als ziemlich klappriger Kahn.
"Bereit zum Entern", brüllte Smith.
Mit Säbeln und Enterhaken bewaffnet hielten wir uns bereit. Der Steuermann manövrierte die Marabella an das fremde Schiff heran.
Unruhe machte sich in der Mannschaft breit. Die Spannung stieg. Wir stimmten ein übles Piratenlied ein, dessen Inhalt ich hier besser nicht wiedergebe. Als sich das Enterobjekt in Schlagdistanz begab, legten wir los. Die Enterhaken flogen hinüber, das Schiff wurde beigezogen.
Mit einem wahnsinnigen Schrei schwang sich Drago auf das Schiff. Die Mannschaft der Marabella folgte ihm mit einem markerschütterndem Gejohle.
Doch der Gegner zeigte sich wenig, um nicht zu sagen gar nicht beeindruckt. Regungslos stand die Crew des fremden Schiffes herum, und starrte uns aus dumpfen Augen an.
Mit einem Kampfschrei sprang Drago - der Schreckliche - vor und stach mit dem Säbel in die Eingeweide des nächstbesten Matrosen. Doch dieser zeigte absolut keine Reaktion. Wenn überhaupt, dann stahl sich ein heimliches Lächeln in sein Gesicht.
Auch drang aus der klaffenden Wunde kein Blut. Auch die Anderen rissen Wunden und hackten Hände und Ohren ab, ohne das die Angegriffenen eine Reaktion zeigten.
Dann gab es den ersten Toten auf unserer Seite.
Brian Colley, der Maat, reagierte viel zu langsam. Staunend bewunderte er noch die Widerstandsfähigkeit des vor ihm stehenden Matrosen, fragte sich, ob der Klabautermann von ihm Besitz ergriffen hätte, da kam Bewegung in den Unheimlichen. Urplötzlich verspürte er erst einen widerlichen Schmerz, dann eine heiße Explosion in seinen Eingeweiden. Er kippte nach vorne, langsam wie in Zeitlupe. Dann brachen die Augen.
Panik griff mit dem Tod des Maates um sich. Unsere Mannschaft sah schon das jüngste Gericht auf die Erde herabfahren. Neptun würde sich gleich erheben und unsere Seelen in sich aufnehmen. Ewige Verdammnis in der Kälte und Dunkelheit der Meerestiefe.
Wie die Berserker drangen wir auf die besessenen Wesen ein. Stachen und hackten mit dem Säbeln, um im gleichen Moment der tödlichen Klingen auszuweichen, die unbeeindruckt gegen uns geführt wurden.
Drago kämpfte wie ein Berserker. Fleischfetzen hingen an seinem Säbel. Weit holte er aus und schlug zu. Er verfehlte seinen anvisierten Gegner und schwang den Säbel einmal um seine Körperachse. Als er die Drehung vollendete, trennte er den Kopf vom Körper seines Gegenübers.
Der Torso wankte. Kraft schien aus ihm zu strömen. Dann fiel er um. Binnen Sekunden zerfiel sein Körper zu Staub.
"Wir haben sie", schrie Drago. "Schlagt ihnen die Köpfe ab. Dann ist der Sieg unser."
Wir befolgten seinen Rat. Und wir hatten Erfolg. Die Crew der Untoten lichtete sich immer mehr, bis wir sie alle vernichtet hatten. Und wie durch ein Wunder blieb der Maat der einzige Tote, auch wenn jeder aus unzähligen Wunden blutete.
Abgekämpft erscholl ein Siegeslied. Und immer wieder huldigten sie demjenigen, der uns zum Sieg verholfen hatte.: "Drago! Drago!".
Es wurde getanzt und gejubelt, die Erleichterung war unermeßlich.
Plötzlich breitete sich Unruhe aus. "Feuer", rief irgend jemand aus der Menge.
Tatsächlich! Überall schlugen Flammen hoch.
Panik brach aus. Alle versuchten gleichzeitig über die Enterplanken die Marabella zu erreichen. Wir behinderten uns gegenseitig.
Als der Großteil der Mannschaft die Marabella erreicht hatte, wurden die Taue gekappt, und die Marabella drehte bei. Dem Kapitän schien die Gefahr des Feuers zu groß zu sein. Schließlich ist Feuer der ärgste Feind eines Schiffes.
Ich hatte es nicht geschafft, zur Marabella zu wechseln. Jetzt gab es nur noch eine Chance. Ins Wasser! Mit dem Rest der Mannschaft sprang ich über Bord des brennenden Schiffes. Hatte mir vorher die Hitze zugesetzt, so kämpfte ich jetzt mit der eisigen Kälte des Meeres. Zitternd durchpflügten wir die Fluten, weg von dem brennenden Schiff. Ein letztes Krachen, ein kräftiger Sog, der an unseren Körpern zog, dann war das unheimliche Schiff gesunken.
Mit letzter Kraft schwammen wir zur wartenden Marabella. Wir schafften es.
Die Seeleute und Drago fischten uns auf. Ich zog mir die nassen Klamotten aus und begab mich in meine Koje. Vor Schwäche schlief ich sofort ein.

Es war ein wunderschöner sonniger Tag. Ich hatte prächtig geschlafen. Ich begab mich zu Drago und Kapitän Smith.
"Hallo alter Junge. Wie geht es?" fragte mich Drago.
"Ich hab mich gut erholt. Und von sonnigen Stränden mit schönen Mädchen geträumt."
"Da du ja jetzt da bist, kann ich euch meine Entscheidung ja jetzt mitteilen", begann Smith." Wir werden euch wieder dort absetzen, wo wir euch aufgefischt haben. Ihr habt euch eure Freiheit mehr wie redlich verdient. Ich bin euch zu ewigen Dank verpflichtet. Ohne Drago hätten wir dieses Abenteuer nie überlebt. Die Marabella wird euch immer in guter Erinnerung halten. Und wenn es euch irgendwann mal wieder gelüstet, ihr seid herzlichst eingeladen, wieder für eine Zeit zurückzukommen. Dann aber als Gäste."
Und jetzt war es soweit. Nach zwei Wochen auf See hatte uns das Land wieder. Der Kapitän ließ uns einen Wagen zimmern, in dem er uns Proviant für die Heimreise, Tücher und Stoff für Kleidung, aber vor allem Bier - und Rumfässer mitgab. Ich konnte mir schon das Wiedersehensfest ausmalen. Die ganze Nacht durch feiern ohne Ende, und am nächsten Tag fühlte man sich todsterbenskrank.
Unsere Einhörner kamen auch wieder zu uns zurück. Treu wie eh und je. Es war ein richtiger Glückstag. Fröhlich ritten wir in unsere Heimat. Zurück zu unseren Freunden. Dem Alltag entgegen. Leider.

"Penn nicht Mammut", rief Hastur mir zu. Er riß mich aus meinen Gedanken. Ein feines Lächeln umfloß meinen Mund.
Die Erinnerung tat gut. Es war eine anstrengende, aber auch schöne Zeit gewesen.
"Ja, ja, Drago, schwall nur weiter."
"Ach ja, der Schreckliche", versuchte Stearl Bitt einen großen Witz zu reißen.
"Toll!" sagte Drago/Hastur." Jetzt bist du ein Mann."
Drago hielt ihm anerkennend die Hand hin und grinste. Stearl Bitt wollte gerade einschlagen, da zog er die Hand weg und zeigte mit dem Daumen nach hinten über die Schulter :"Da hinten bauen se."

3. Boris und der Drache

"Jetzt ist er uns entwischt", sagte Hastur. "Und das nur, weil ihr wieder am herumbraddeln seit."
"Den kriegen wir noch. Schließlich haben wir ihn müde gejagt. Der Wolf hat keine Puste mehr."
"Ich aber auch nicht", warf ich ein.
"Du Schlappi", meckerte Stearl Bitt. "Bist der Jüngste, und machst als erster schlapp."
"Da sind Spuren."
Boris setzte unseren Sticheleien ein Ende. Während wir unsinnige Konversation betrieben, hatte er die Lichtung abgesucht und am westlichen Ende die Fährte wieder gefunden. Wir rappelten uns auf und folgten ihr abermals.
Sie war nicht besonders frisch, demnach hatte der Wolf einen recht großen Vorsprung.
Bald würde die Sonne untergehen, bis dahin wollten wir ihn eigentlich erlegt haben, aber es schien heute nicht unser Glückstag zu sein. Sinflutartige Regenschauer mit anschließender erbarmungsloser Hitze hatten uns ganz schön zu schaffen gemacht, und das alles bei einer Luftfeuchtigkeit, die einem selbst das Atmen zur Qual machte. Langsam wurde es recht frisch, ein unangenehmer Zustand bei unseren immer noch feuchten Klamotten. Dann war es soweit. Die Fährte endete vor einem Höhleneingang. Jetzt konnte die Jagd nicht mehr lange dauern. "Dort drin ist er also."
"Das war mal wieder die Feststellung, Ceram. Deine Schlußfolgerungen sind mal wieder dermaßen genial, dir wird ein besonderer Platz in der Geschichte Anna-Tolls eingeräumt."
Stearl Bitt lästerte wie immer ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Fing das schon wieder an.
" Ich unterbreche euch ja nur ungern bei euren tiefenphilosophischen Gesprächen, aber hat irgendeiner von euch Schlaumeiern eigentlich eine Ahnung, in welchem Teil Anna-Tolls wir hier eigentlich sind? Hier in der Gegend war ich noch nie."
Ungläubig sahen sich meine Freunde an. Dann nickten sie bestätigend. Keiner von uns kannte diese Gegend, weder aus eigener Erfahrung, noch vom Hörensagen.
"Ob wir wohl wieder zurückfinden", zweifelte Ceram.
"Ohne uns würdest du noch nicht von unserer Höhle zum nächsten Baum finden. Geschweige denn so etwas wie Nahrung. So gesehen retten wir dich jeden Tag vor dem Hungertod."
Hastur mußte mal wieder seine Klappe aufreißen, und es entwickelte sich mal wieder eines dieser überflüssigen Streitgespräche, in deren Verlauf einzig und allein das Ziel bestand, den Vorgänger an Polemik und Niveaulosigkeit zu übertreffen.
Alle mischten mit, nur ich hielt mich leicht genervt abseits. Ich sah mir das Schauspiel einige Minuten schweigend an.
"Was ist denn jetzt? Gehen wir in die Höhle, oder wollt ihr noch bis im Morgengrauen hier stehen und debattieren? Von eurem Geschwätz werden wir auch nicht satt."
Erstaunt schauten mich meine Freunde an. Und, man glaubt es kaum, ohne ein weiteres Wort betraten wir die Höhle.
Schon nach wenigen Metern wurde es ziemlich düster. Unsere Flachsstimmung hatte sich schlagartig gelegt, leichtes Unbehagen verbreitete sich. Selbst ein lockerer Spruch von Hastur konnte nicht darüber hinweg täuschen, das er unruhig wurde. Unbewußt rückten wir näher zusammen.
Vorsichtig, die Wurfspieße stoßbereit nach vorne gerichtet, schlichen wir tiefer in die Höhle. Mein Herzschlag hämmerte unnatürlich laut in meinen Ohren. Seltsame, nur schwer einzuordnende Geräusche verursachten mir einen Schauer. Was war das?
Neben mir zuckte Ceram zusammen. Fragend schaute ich ihn an. Er schüttelte nur mit dem Kopf, und versuchte eine zuversichtliche Miene aufzusetzen. Zumindest soweit ich das in dem Dämmerlicht erkennen konnte.
Plötzlich, nach einer Biegung, endete der Tunnel in einer größeren Höhle. Geblendet schloß ich die Augen. Nach der Dunkelheit in dem Gang war es in dieser Höhle unerträglich hell. Ich sah nur noch verschwommene Schemen.
Langsam bildeten sich Umrisse hervor, langsam wurden auch Einzelheiten erkennbar. Meine Augen hatten sich an die Helligkeit gewöhnt.
Wir sahen den Wolf auf der anderen Seite der Höhle. Ein grauer, großer Bursche. Das würde ein Festschmaus geben, doch vorher mußten wir ihn erst erlegen, und ich zweifelte daran, daß dies besonders einfach werden würde. Aber vielleicht täuschte ich mich ja.
Zwischen ihm und uns befand sich ein langgezogener, unterirdischer See. Das Wasser schimmerte in einem dunklen blau, fast ins Schwarze übergehend. Ein intensiver Geruch nach Fisch und Algen lag in der Luft.
Jetzt war es soweit. Endlich waren wir bis auf Schlagdistanz an ihm dran.
Wir wollten den Wolf in die Zange nehmen. Stearl Bitt und ich gingen links herum, die Anderen rechts. Doch kurz bevor wir ihn erreichten, witterte er uns und flüchtete in einen Gang.
Schnell rannte Hastur voraus, wir folgten ihm umgehend, nur wenige Meter zurück. Da hörte ich ein Jaulen. Als wir um die Ecke bogen, sahen wir gerade noch, wie Hastur seinen Wurfspieß aus dem erlegten Wolf zog. Der Lange nahm den Wolf über die Schulter. Wir hatten unser Abendessen. Und es war am Schluß leichter gewesen als ich gedacht hatte.
Gerade als wir den Rückmarsch antreten wollten, passierte es.
Eine fürchterliche Feuerlohe kam uns entgegen und sengte uns an. Heiß brannte die Luft auf meiner Haut und versengte einen Teil meiner Haare. Geblendet schloß ich die Augen. Unwillkürlich wichen wir zurück. Dann gaben wir Fersengeld. Wie von Furien gehetzt rannten wir tiefer in den Gang hinein, bogen ab und liefen weiter. Die Angst beflügelte uns ein letztes Mal. Lange würde ich nicht mehr durchhalten, meine Kraft neigte sich dem Ende zu. Meine Freunde sahen nicht besser aus.
Plötzlich endete ein Nebengang in einer kleinen Höhle. Außer Atem verschnauften wir keuchend. Ceram ging zur Gangmündung zurück und schaute sich suchend um.
"Nichts! Die Luft ist rein."
"Was war das?" fragte Boris, immer noch entsetzt, unter dem Bann des eben Geschehenen.
Zitternd standen wir da und sahen uns an.
"Ich habe da einen Verdacht. Und ich glaube, damit habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen."
So ernst hatte ich Hastur selten dreinblicken gesehen. "Ich glaube, daß war ein Drache."
Wir schauderten alle.
Jetzt versuchte jeder sein unvollständiges Wissen über Drachen wiederzugeben. Gewaltige Kräfte, mächtige Magie, bösartige Intelligenz, bis hin zur dämonischen Gestalt. Alles wurde vorgetragen und diskutiert. Wahrheit und Legende, keiner von uns wußte genug, um sie auseinanderzuhalten. Die Dialoge wurden langsam länger und polemischer.


"Drache hin, Drache her. Wir haben ihn abgehangen. Ich bin restlos fertig. Ich denke, daß beste ist, wir machen hier erst Mal eine Pause und legen uns ein Stündchen aufs Ohr. Dann schmieden wir einen Plan, wie wir aus diesem unterirdischen Höhlenlabyrinth wieder herauskommen. Weckt mich, wenn meine Wache dran ist."
Während der letzten Worte hatte ich mir schon eine Ecke ausgesucht und machte es mir bequem. Die Proteste und Diskussionen der Anderen nahm ich nur noch am Rande war, da versank ich schon in Morpheus` Arme.

Ceram`s Schrei weckte mich. Gerade noch halb in meiner Traumwelt versunken, wurde ich brutal in die Realität gerissen.
Halb benommen sah ich Ceram waffenlos gegen ein Drachenbaby kämpfen. Mit Mühe wand er sich unter dem Drachennachwuchs hervor, welcher mit seinen ungelenken Tatzen nach ihm griff. Da eilte Hastur hinzu. Mehrmals stach er mit dem Wurfspieß zu, der wirkungslos von den Schuppen abprallte. Nach mehreren verzweifelten Versuchen erwischte er eine ungeschützte Stelle. Brüllend lies das Drachenbaby von Ceram ab, fauchte noch ein letztes Mal drohen, und verschwand, nicht ohne einen kurzen Feuerstoß in unsere Richtung abzugeben.
Hastur starrte um die Ecke, zwei, drei Minuten. Dann kehrte er zurück.
"Es ist abgehauen. Im Moment ist die Luft wieder rein."
"Und was jetzt?"
"Das war wohl der Drachennachwuchs. Und der war glücklicherweise eher verspielt als gefährlich. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, daß seine Mutter genauso nett ist."
Ceram rümpfte bei Stearl Bitts Äußerungen die Nase.
"Von wegen verspielt, mir tun alle Knochen weh."
Da fiel mir etwas Schreckliches auf."Wer hatte eigentlich Wache gehalten?"
Verlegen sah mich Ceram an.
"Weißt du, wo Boris ist?"
Entsetzt schauten mich die Drei aus großen Augen an. Boris war verschwunden. War er dem Drachen zum Opfer gefallen? Irgend etwas mußten wir tun, um Boris zu finden. Oder war er tot?
"Wir warten noch etwas, vielleicht hat ja irgend jemand einen Geistesblitz. Wir sollten nur jemand auswählen, um den Stollen zu beobachten, damit wir vor weiteren Überraschungen sicher sind. Die eine, unverhoffte Begegnung mit der älteren Drachengeneration hat mir gereicht."
Ceram beschloß auf Stearl Bitts Worte diese Spähdienste zu übernehmen, wahrscheinlich fühlte er sich schuldig, da er während seiner Wache eingenickt war. Wir hielten Kriegsrat, jedoch weder kam irgend jemanden eine gute Idee, noch, wie insgeheim erhofft, tauchte Boris aus dem Nichts wieder auf.
"Es hat keinen Zweck, hier herumzusitzen, und den Kopf in den Sand zu stecken."
Fragende Blicke trafen mich.
"Wir müssen versuchen, wieder aus der Höhle herauszukommen. Und da wir ja weder die Örtlichkeiten, noch die Gefahren besonders gut kennen, müssen wir halt im richtigen Moment improvisieren."
"Und was ist mit Boris?"
Mein Gesicht mußte Antwort genug gewesen sein, die Hoffnung, unseren Freund wiederzufinden, hing am seidenen Faden. Ein letztes Verschnaufen, dann marschierten wir los. Voller Angst und Sorge. In eine ungewisse Zukunft.

Boris konnte nicht schlafen. Zwar war er müde und zerschlagen, doch die Begegnung mit dem Drachen hatte ihn dermaßen aufgewühlt, daß er nicht zur Ruhe kam. Durch halb geöffnete Augen beobachtete er Ceram bei der Wache, und lies dabei die Gedanken schweifen.
Drachen waren alte, mächtige Geschöpfe, die mehr oder weniger unbesiegbar waren. In alten Sagen gab es Drachentöter wie Siegfried, aber die hatten ein ganz anderes Kaliber wie seine vier Freunde und er. Sie mußten denn Drachen überlisten, mit roher Kraft würde hier nichts zu machen sein. Jedoch regte sich in einem Winkel seines Gedächtnis ein Bild, welches den Drachen wahrhaft große Intelligenz und Schläue nachsagte.
Ceram war eingeschlafen. Boris stand auf und übernahm seine Wache. Er konnte eh nicht schlafen. Gelangweilt schaute er sich um und musterte ihren Zufluchtsort. Es war eine kleine Höhle mit hoher Decke. Die Wände waren zerklüftet, nur eine, die dem Eingang gegenüberliegende war glatt, wie von Menschenhand geschaffen. Das war ihm bei der Ankunft gar nicht aufgefallen. Das Zwielicht tat sein übriges dazu. Er trat näher.
Auf Höhe seiner Augen sah er eine Einbuchtung im Fels. Boris legte die Hand hinein und drückte. Überrascht fuhr er zurück. Die Wand öffnete sich. Ein Geheimgang.
Von Entdeckerlust getrieben ging er durch die Öffnung. Seine Freunde konnte er gleich noch wecken. Erst einmal wollte er eine kurze Erkundungsreise machen, vielleicht war das ja auch nur eine Sackgasse. Doch dem war nicht so. Der Gang windete sich kurvenreich durch den Fels.
Plötzlich hörte er ein leises Knirschen. Schnell lief er zurück, aber wie er befürchtet hatte, war die Öffnung wieder verschlossen. Diesmal hatte er weniger Glück. Er fand keinen weiteren Öffnungsmechanismus auf dieser Seite der Felswand. Auch sein Rufen fand scheinbar kein Gehör. Das Tor durch den Fels war wieder verschlossen.
Er war von seinen Freunden abgeschnitten. Wäre er doch vorsichtiger gewesen oder hätte jemand von ihnen geweckt. Resigniert ging er zurück, immer tiefer in den Berg hinein.
Nach einiger Zeit kam er in eine kleine Höhle. Wasser tropfte von der Decke und sammelte sich am Boden zu einem Rinnsal, daß in einer Öffnung im Fels verschwand.
Mittendrin lag ein Schwert auf einer Steinplatte. Es funkelte in einem unheimlichen Licht, obwohl kein Sonnenstrahl auf die Klinge fiel.
"Welch eine Klinge", murmelte Boris ergriffen vor sich hin. Diese wollte er unbedingt besitzen. Er ging zur Steinplatte und sah neben dem Schwert ein Amulett liegen. Erst zögerte er, doch dann streifte er sich die Kette mit dem Amulett über den Kopf.
"Ein Talisman", dachte er. "Wer weiß, wofür der gut ist."
Er ergriff das Schwert und hielt es in die Höhe. Überraschend leicht für seine Größe. Auch der Griff war wie gemacht für seine Hände. Ein Gefühl der Stärke durchströmte ihn.
Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Er schnellte herum.
Vor ihm stand eine riesige Spinne. Ihre Beißzangen knirschten bei jeder Bewegung. Sie war gut und gern so hoch wie er, und durch ihre Beine wirkte sie unglaublich breit. Fröstelnd sah er ihre langen Haare, die ein unheimliches Eigenleben zu besitzen schienen. In ihrem Leib sah er etwas zucken, dann schoß ein Strahl ihres Netzes auf ihn zu. Wuchtig traf ihn der Netzstrahl auf die Brust und ließ ihn taumeln. Doch bevor er fallen konnte, zog ihn eine riesige Kraft auf die Spinne zu. Sie wollte sich ihr Opfer holen.
Der Rothaarige hob sein Schwert und zertrennte den Strang. Wütend, ihrer Mahlzeit beraubt, trat die Spinne mit einem ihrer Beine nach Boris. Doch das Schwert war im Weg. Sauber trennte die Klinge das Bein ab.
Das wollte Boris sich nicht bieten lassen. Er griff die Spinne an. Er schlug nach ihrem Kopf, doch eine schnelle Bewegung der Spinne, und er erwischte nur die Beißzangen. Jetzt war die Spinne zahnlos. Er drang weiter auf sie ein. Ein Bein nach dem Anderen verlor das Ungetüm. Sie tobte, jedoch ohne Beine machte dies keinen sonderlichen Eindruck auf Boris. Er erhob das Schwert zum entscheidenden Schlag und trennte ihr den Kopf vom Rumpf. Wenige Augenblicke zuckte der Torso noch, wie ein letztes Aufbäumen, um den Kampf noch zu drehen.
Dann erschlafften ihre Glieder und sie blieb regungslos liegen.
Erschöpft, aber Stolz auf seinen Kampfwillen sank Boris zu Boden, um einige wenige Momente der Ruhe zum Verschnaufen zu nutzen.
Da hörte er eine Stimme aus dem Nichts.
"Keine Angst. Ich bin in deinem Amulett. Ich war einst ein großer Drachentöter. Ich habe in meinem langen Leben viele Drachen getötet, dieser hier war jedoch der eine zuviel. Er besiegte mich. Mein Geist konnte sich jedoch in dieses Amulett retten. Mein Schwert, daß du in den Händen hältst, besitzt magische Kräfte. Mit seiner Hilfe und der Hilfe des Amulettes wirst du den Drachen besiegen."
Mit diesen Worten unterbrach der Geist des Drachentöters den Kontakt. Boris war tief beeindruckt. Er machte sich auf den Weg. Jetzt hatte er ein klares Ziel vor Augen.

Wir irrten durch das unergründliche Labyrinth. Manche Gänge hatten wir schon zweimal oder noch öfters durchwandert, doch von Boris fehlte jede Spur.
"Wir müssen uns damit abfinden, daß er tot ist", bemerkte Stearl Bitt auf einmal. "Es hat keinen Zweck mehr, weiter nach ihm zu suchen. Laßt uns zurückkehren."
Betreten schauten wir uns an. Keiner fühlte sich wohl dabei, aber es war auch niemand unter uns, der noch Hoffnung hatte, Boris lebendig anzutreffen.
Resigniert begaben wir uns auf den Rückweg. Abwechselnd begab sich einer von uns voraus, um nach Gefahren zu spähen. Dann kamen wir zurück an den See. Wir begaben uns an seine Umrundung. Als wir die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, fing der See an zu brodeln. Der Drache kam...
Dieses Mal benutzte Boris einen anderen Weg. Er war winklig und verzweigt. Boris blieb immer auf dem Hauptgang. Dieser war düster und feucht.
Der Rote fühlte sich ziemlich schlapp, keine Verfassung, um es mit einem Drachen aufzunehmen. Mit Hasturs losem Mundwerk wäre ihm der Weg sicherlich leichter vorgekommen.
Langsam begann sich auch der Hunger und Durst immer stärker bemerkbar zu machen. Trotz seiner dürren Statur besaß er einen ausgeprägt guten Appetit. Doch die nächste Mahlzeit mußte noch etwas auf sich warten lassen. In Gedanken versunken bewegte er sich zielsicher durch den Gang. Plötzlich erschrak er. Vor ihm stand ein fremder Mann. Als er ihn näher betrachtete, mußte er sich ein Lachen verbeißen. Es war ein langer, dünner Kerl mit Segelohren. Er hatte lauter lustige Sommersprossen. Sein Body war auch nicht zu verachten.
Diese Hühnerbrust. Und erst die dürren Beine. Zum Schießen!
Wie würde Hastur sagen :" Man ist der schön."
"Hallo. Wen haben wir denn da?" fragte der coole Rote mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen. Der Typ gab keine Antwort.
"Bist du stumm?" Boris ging näher an ihn heran.
Da löste sich ein Grunzen aus der Kehle des Fremden, ein Geräusch, daß man eher anderen Spezies zurechnete. Der Schönling ging auf unseren Kumpel los. Boris stand da wie versteinert. Als unserem Coolen die kalten Hände um den Hals gelegt wurden, nahm er den unangenehmen Geruch des Todes war. Jetzt wußte er Bescheid. Ein lebender Leichnam. Ein Zombie!
Doch diese Wissen würde ihm bald nichts mehr nützen, wenn er weiter so teilnahmslos verharrte. Jedoch hatte er in der Zwischenzeit das Schwert verloren. Irgendwie mußte er die letzten Minuten nicht auf der Höhe gewesen sein.
Er wehrte sich verbissen gegen den Würgegriff. Conan müßte man sein. Der würde den Griff im Nu sprengen. Da meldete sich der Drachentöter aus dem Amulett.
"Rufe BECK`S BIER, und die Kraft im Amulett wird dir helfen."
Boris befolgte den Rat. Der Zombie zerlief wie Pudding. War er an einer Alkoholvergiftung gestorben? Unserem Kumpel war das in diesem Moment egal. Hauptsache er war gerettet. Boris ging weiter. Schon nach kurzer Zeit endete der Gang. Er bekam freien Ausblick auf den unterirdischen See...

Wir nahmen die Beine in die Hand und liefen, als wäre ein eifersüchtiger Ehemann hinter uns her. Doch das Urvieh war schneller als wir. Wesentlich schneller.
Es entstieg dem See und katapultierte seinen Body vor den Ausgang. Drohen richtete sich der Drache zu seiner vollen Größe auf. Wir wichen zurück. Der Drache spie Feuer, eine Flammenlohe bahnte sich einen Weg zu uns, doch wir waren außer Reichweite. Drohend schaute er uns aus seinen gelben Augen an. Darin war eine unmenschliche Intelligenz zu erkennen, die es uns allen kalt den Rücken runter liefen ließ.
Langsam schritt der Drache auf uns zu. Die Erde bebte.
Da hörte ich Hastur rufen : " Da hinten ist Boris." Jetzt sah ich ihn auch. Wir liefen zu ihm hin, mittlerweile schon am Ende unserer Kräfte.
"Schnell , bringt euch in Sicherheit. Ich werde gegen den Drachen kämpfen." "Du allein?", fragte ich erstaunt.
"Sicher doch." Eitel strich er sich durch sein rotes lockiges Haar. Na ja, jeder hatte so seine Macken. Ohne weitere Reden wand er sich von uns ab und schritt auf den Drachen zu.
Als er auf Rufweite heran war, versuchte der Drache ihn wie eine Bratwurst zu rösten. Aber das Amulett schützte ihn durch einen grünlichen Schirm. Boris hob das Schwert und warf es dem Drachen zwischen die Augen. Als das Schwert traf rief er laut :"BECKS`BIER!"
Ein fingerdick breiter grüner Strahl löste sich aus dem Talisman und traf den Drachen an der Stelle, in der die Klinge steckte. Ein fürchterliches Brüllen erklang. Der Drache fiel bebend zu Boden und wand sich unter Schmerzen. Boris zog sich zurück, bevor das Urmonster ihn im Todeskampf erwischte. Der Drache war zäh, so dauerte es eine geraume Zeit, bis er starb.
Wir jubelten ausgelassen und feierten unseren Helden mit Sprechchören. Boris wurde rot. Der Farbunterschied zwischen Haut und Haaren verblasste. Er nahm das Schwert an sich und hielt es wie eine Siegestrophäe. Auf Armen wurde er aus der Höhle herausgetragen, unser Held und Lebensretter.
Doch als wir die Höhle verließen, traf uns der nächste Schock. Ein finsterer Barbarenstamm empfing uns. Sie stürmten mit einem Affengetöse auf uns los. Der erste Barbar prallte auf mich.
Da wurde ich wach. Wo waren die Anderen?
Ich merkte, daß ich daheim in der Höhle war. Ich hatte geträumt, und als ich mich gewälzt hatte, war ich aus dem Bett gefallen. Müde legte ich mich zurück. Es war noch dunkel und ich hatte noch eine angenehme Bettschwere.
Ich drehte mich um und schlief weiter.

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