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Das neue Grass

Hui, was hat der Mensch nicht alles gewuppt bekommen. Kaffeemaschinen mit Zeitschaltuhr, stumpf aus der Wäsche guckende Plüschtiere zu je 2000 Mark und Socken mit Anti-Rutsch-Sohle (Reihe beliebig erweiterbar).

Viel, viel schöner als diese zweifellos nützlichen Dinge sind allerdings die sogenannten Literaturforen im Internet. Für Nicht-Surfer sei eine kurze Erklärung erlaubt. Ein Literaturstudent ohne Freundin mit furchtbar viel Zeit mietet sich einen Platz im Netz, macht ein bißchen Werbung für seinen Schulhof der Federschwinger und schon fliegen zahllose Hände, von übernatürlich begabten Gehirnen geleitet, über die Tastatur.

Theoretisch sollten sich an diesem Ort Nachwuchsautoren nützliche Tips in Bezug auf Verlagssuche oder Schreibstil geben, könnten ihre lyrischen Ergüsse vorstellen und dafür konstruktive Kritik ernten, oder den Rest der Welt vor Verlagen mit Hang zu Mafiamethoden warnen. Der findige Leser wird es bemerkt haben, die Betonung liegt hier auf den Worten "KÖNNTE" und SOLLTE". Denn wie so oft (man denke an Autobahnen, Atombomben, Kaffeemaschinen mit Zeitschaltuhr) entpuppt sich die Praxis als Spielverderber. Wer sich jemals in ein solches Forum verirrt hat, wird festgestellt haben, dass die meisten der Teilnehmer Monologe führen und sich einen Keks dafür interessieren, was sich der Kollege so aus der Rübe quetscht.

Weit über die Hälfte der Beiträge wird überhaupt nicht, die andere Hälfte nicht erschöpfend beantwortet. Sollte sich dann doch jemand dazu durchringen etwas zum Thema beizutragen, so wird in die Antwort geschickt eine unterschwellige Botschaft bezüglich des eigenen Schaffens eingearbeitet. Beispiel einer Antwort zu einer 100 Zeilen umfassenden Frage: Ja, da hast du vollkommen recht (Wahlweise: Nein, dass sehe ich nicht so). Übrigens, ich publiziere demnächst im Analphabeten-Verlag mein neues Werk 1,2,3. Das solltest du dir kaufen! Tolle Antwort, danke für ´s Gespräch.

Doch voran liegt es, dass sich selbst die untere Riege der Schreibwilligen (Vergleichbar mit der Kreisklasse im Fußball) nicht vernünftig unterstützt? Man könnte auf Teesocken-Geblubber der Marke: -Wir vereinsamen, keiner setzt sich mehr mit seinem Nachbarn auseinander- zurückgreifen, doch das wäre zu einfach und außerdem schlichtweg falsch. Ich persönlich setzte mich sehr wohl mit meinem Nachbarn auseinander. Vorzugsweise morgens um Zwei, wenn das Rindvieh mal wieder seine gottverdammte Stereoanlage bis zum Anschlag aufreißt. Das nächste Mal werde ich ihm seinen ?&="* bis zum Anschlag auf... Entschuldigung, ich schweife ab.

Der wirkliche Grund für dieses ignorante Verhalten dürfte schlicht im Konkurrenzdenken der meisten Teilnehmer liegen. Nützliche Infos aufschnappen und wieder verschwinden. Gut möglich, dass der, dem ich noch vor einigen Tagen einen väterlichen Rat gegeben habe, mir schon morgen den Literaturpreis der Samtgemeinde Wunderbüttel vor der Nase wegschnappt und das muß ja nicht sein. Wie soll ich, der neue Stefan King, der neue Gunnar Grass, der einzig wahre John Griesgram denn dann entdeckt werden? Mein (väterlicher) Rat zu diesem Thema: Manuskript in möglichst schlechter Qualität (Rechtschreibfehler, unschlüssige Handlung) unfrankiert an den weltweit größten Verlag schicken, maximal drei Tage auf die Millionenofferte warten und dann konsequent mit ´nem Kuhstrick zur nächstgelegen Brücke marschieren.
Oder um es mit den Worten des Menschenfreundes E. Mielke zu sagen: Ich hab´ euch doch alle lieb.

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