© der Geschichte: Frank Lauenroth. Nicht unerlaubt
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Mit Dreien spiel Vier

Die Bar war verraucht, die Luft imponierte durch Ihre Schnittigkeit. Der Wirt lehnte lässig hinter seinem Tresen und schaute sich die Gäste an. Ab und zu dirigierte er mit Blicken und sparsamen Handbewegungen seine Kellnerinnen in die Ecken seines Geschäfts, die ihm vernachlässigt erschienen. Ich lehnte auf der anderen Seite des Tresens und schaute in mein alkoholfreies Bier auf der Suche nach dem Sinn meines, nein - nicht Daseins, aber zumindest meines Hierseins. Das Telefon klingelte und er nahm ab. Er nickte im langsamen Takt, sprach dann kurz in die Muschel und legte auf. Zeitgleich fuhr sein Blick suchend durch den Raum. Bis er an mir haften blieb. Der Wirt gab seine lässige Haltung auf und bewegte sich langsam auf mich zu, beugte sich halb über den Tresen und winkte mich dichter heran. Ich tat ihm den Gefallen und schob mein Ohr an seinen Mund heran.
"Kannst Du Karten geben?"
"Kommt aufs Spiel an..."
"Skat."
"Jo, kann ich."
Der Wirt lehnte sich kurz zurück, bemaß mich mit einem abschätzenden Blick, taxierte kurz mein alkoholfreies Bier und beugte sich wieder in Ausgangsposition.
"Hab im Hinterzimmer drei Jungs, die Probleme haben. Kannst Du eben mal aushelfen? Deine Rechnung geht aufs Haus."
Drei alkoholfreie Bier hätten mich nicht in den Ruin gestürzt, aber ich hatte nichts anderes vor und ein Kartenspiel erschien mir als ideale Ablenkung. Ich nickte also, nahm mein Glas und ließ mich von ihm zum Hinterzimmer führen. Der Gang war dunkel, aber kein Vergleich zu dem Raum, in den ich dann eintrat. Er mochte an die fünf Meter lang und vielleicht drei Meter breit sein. Vor der hinteren Wand stand ein runder Tisch, um den drei Männer saßen. Mehr konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht erkennen, da die einzige Lampe im Raum zu dicht über dem Tisch hing und selbst diesen nur mäßig erhellte. Der Wirt schob mich in den Raum und stellte mich den Anderen als"der hat sich bereit erklärt" vor. Dann drehte er sich um und schloss die Tür hinter mir. Ich glaubte noch etwas wie"armes Schwein" zu hören, aber sicher war ich mir nicht. Als ich näher heran trat, konnte ich hinter dem Tisch einen noch kleineren Tisch erkennen, auf dem ein Telefon stand. Wahrscheinlich hatte sie mit diesem angerufen.
"N'Abend." Ich versuchte möglichst cool zu klingen.
"Keine großen Worte. Setz Dich! Gib!", sagte der Blonde zu meiner Linken.
Ich setzte mich auf den einzig noch frei verbliebenen Stuhl und sah kurz in die Runde. Ein wenig mehr konnte ich jetzt, da sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkennen. Einer hatte blondes, kurzes Haar. Der Zweite hatte dunkles Haar und trug eine Brille. Der Dritte saß mir direkt gegenüber, gleichzeitig aber zu weit vom Tisch entfernt, als dass ich hätte Einzelheiten erkennen können. Ich nahm die Karten und mischte. Schnell wurde offensichtlich, warum meine Karriere als Kartengeber in Las Vegas gescheitert wäre. Nicht, dass ich untalentiert gewesen wäre... nur verabschiedeten sich ab und zu einzelne Karten aus dem Stapel in die Dunkelheit unter dem Tisch, was mit aufwendigen Suchaktionen verbunden war. Das wirkte unprofessionell. Ich versuchte meine Schwäche mit einer Frage zu überspielen.
"Warum gebt Ihr Euch nicht selber die Karten?"
"Heinz schummelt immer beim Geben.", sagte der Blonde.
"Heinz Rudolf... soviel Zeit muss sein.", kam von Brille zurück.
"Was is' nu?", fragte der dritte Typ. Er beugte sich vor und so sah ich, dass er eine Sonnenbrille mit runden Gläsern trug. Als ob es nicht schon dunkel genug war. Ich teilte die Karten im 4-3-3-System aus. Zwei Karten in den Skat und ich konnte mich zurücklehnen.
"Achtzehn.", begann der sonnenbebrillte Hagere.
Brille nickte nur.
"Zwanzig ..."
Irgendwo jenseits der Dreißig ging der Skat an die Sonnenbrille. Zwei Karten wieder abgelegt und schon wurde das Spiel eröffnet. Kreuz war Trumpf. Er legte den Herz-Buben. Ah - ohne Zweien spiel Drei.
Prompt mussten die Anderen bedienen. Brille legte den Pik-Buben und Blondie ging mit dem Kreuz-Jungen drüber. Tja, was nun legen? Punkte sammeln, hoch vor. Blondie versuchte das Herz-As. Mit Schmackes landete die Karte in der Mitte des Tisches. Im nächsten Moment zweifelte er jedoch an seiner Wahl.
"Gib mir mein ... Herz zu-rück!", sagte der blonde Typ und presste die Worte durch die sich kaum öffnenden Zahnreihen. Ich sah mich genötigt, einzugreifen.
"Was liegt, das liegt!"
Der Typ zog seine ausgestreckte Hand wieder über den Tisch zurück. Der Sonnenallergiker neben ihm warf ab. "Dein ist mein ganzes Herz...", sagte Brille.
Das war ein offensichtlicher Hinweis, aber da es hier nicht um Beträge jenseits der Neidgrenze ging, behielt ich meinen Einwurf für mich. Außerdem waren diese beiden Stiche die einzigen, die Blondie und Brille bekommen sollten. 27 Punkte, mehr war in diesem Spiel nicht zu haben.
"Jetzt hat er uns schon wieder Schneider gespielt."
"Lass Helge da raus."
Oh, wie ich diese Witze hasse.
Es klopfte. Brille drehte sich um und sah zur Tür.
"Mach auf, mach auf."
Es war ein eigenartiger Singsang. Und es war der Wirt.
"Eure Getränke!"
Blondie schnalzte mit der Zunge. "Ahh - mein Sanitäter in der Not."
Der Sonnenbebrillte fragte, ob er Pfefferminz dabei hätte. Ich fragte mich nur, wer so etwas heute noch trinkt. Immerhin hatte der Wirt auch für Brille was dabei und ich bekam mein viertes, alkoholfreies Bier.
Der Wirt ging wieder, ich gab und sie spielten wieder. Zwischendurch gab es immer wieder eigenartige Einwürfe, die ich so gar nicht mit Skat in Verbindung bringen konnte."Ob wir nicht alle Wunderkinder wären, ob ich schon mal in Bochum war, was ich von Dicken halten würde?"
Dabei wetteiferten die Drei, dass es mir in den Ohren zu klingeln begann. Eine Zeitlang war das lustig, aber irgendwann ging es zulasten meiner Nerven.
"Er ist ja Mensch, weil er lacht, weil er lebt...", sagte Blondie und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. Brille fragte mich, ob schon jemals eine Frau in meinem Drink gerührt hätte und Mister Sonnenscheu ergänzte bedeutungsschwanger, dass die Freiheit letzten Endes die einzige ist, die zählt.
Irgendwann, es mochte nach zehn Spielen gewesen sein, verabschiedete ich mich, bedankte mich artig für den Spaß und wandte mich zum Gehen. Vom Stuhl aufgestanden war ich längst, als mich Brille am Jackett festhielt.
"Halt mal. Zwei Fragen noch..."
Ich sah ihm in die Augen, soweit mir das möglich war, und nickte ihm erwartungsvoll zu.
"Magst Du Deutsch-Rock?"
Alle drei beugten sich leicht zu mir und hingen förmlich an meinen Lippen.
"Ja klar, gab es schon tolle Lieder."
Und im gleichen Moment wurde mir klar, woher hier der Wind wehte. Der Wirt kannte bereits ihre Vorlieben für Getränke. Wahrscheinlich saßen sie in diesem Hinterzimmer mit schöner Regelmäßigkeit. Und von Zeit zu Zeit durfte ein Unbeteiligter die Karten geben, ihnen zuhören, einen ganzen Abend... bis zu dieser einen Frage: "Und wenn Du zurückdenkst... was war Deiner Meinung nach der beste Deutsch-Rock-Titel aller Zeiten?"
Da war sie also: die einzige Sache, die ihnen wirklich wichtig war: wer hatte den größten Hit gelandet, wer war der Beste?
"Keine Frage...", sagte ich. "Da gab es nur ein Lied..."
Ich ging vom Tisch langsam Richtung Tür, drehte mich noch einmal um und führte meinen Satz zu Ende: "Tausendmal berührt."

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