© der Geschichte: Holger Westermann. Nicht unerlaubt
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Zwischenspiel

Du gehst durch die Massen. Vor einigen Wochen hast du aufgehört, eiligen Leuten die dir entgegenkommen, auszuweichen. Diese zurückhaltende Selbstverständlichkeit, hat dich angekotzt. Du willst nicht mehr Opfer sein, du willst Dich behaupten. Du willst das Menschen Dich wahrnehmen, Dir ausweichen. Dich respektieren.
Die Rolltreppe ist defekt. Jeder der sie betreten wollte, weicht auf die Steintreppe, die daneben nach oben führt, aus.
Warum?
Ist sie jetzt keine Treppe mehr, nur weil sie ihre elektronische Funktion verloren hat?
Sind die Stufen jetzt Tabu?
Du benutzt die Rolltreppe - als Einziger! Menschen sind so dumm!
Oben schauen Dich alle an. Ein Neuzugang in Seelenlosen-Treff. Du schaust zurück, hältst Ihren Blicken stand. Sie schauen weg. Du suchst Dir einen günstigen Ausgangspunkt, zum einsteigen. Dein Erfahrungswert, lässt Dich eine bestimmte Stelle am Bahnsteig wählen. Nah am Gleis. Automatismen in Vollendung. Jeder schaut Jeden an, schaut weg, schaut wieder hin. Du schaust dir die Architektur der umliegenden Gebäude an, achtest auf Form, Farben, Baustruktur, Materialien. Ungleichmäßigkeiten. Du fängst an, ein Lied zu Pfeifen. Heute ist es "Traumfrau" von "Creme 21". Du schaust Dir dabei die Frauen in der Masse an. Du legst die geistige Schablone in deinem Kopf über ihre Körper, und sondierst die nichtzutreffenden aus. "Nein - Nein - Ja - auf jeden Fall - Nein - Nein - hübsches Gesicht, durchschnittlicher Körper - zu dicker Hintern - zu klein (leider) - .......
Aus dem Augenwinkel erspähst du eine Taube - du hörst auf zu pfeifen, die Taube hat deine volle Aufmerksamkeit. Sie sitzt auf den Gleisen, und pickt auf ein Brot ein, das jemand weggeworfen hat. Eigentlich stören dich Tauben, wo immer du sie siehst, aber diese eine fasziniert dich - Jetzt. Sie hackt auf ein Brot ein, schüttelt es und reißt so ein kleines Stück heraus. Frisst es. Dies wiederholt sich. Eine zweite gesellt sich dazu und fordert ihren Teil. Du fragst dich, ob Tauben die Menschen wirklich beobachten. Sie observieren. Sie sondieren. so wie du gerade die Frauen hier am Bahnsteig.
Möglicher Futterspender. Ja - Ja - Nein - zu fettig - ungenießbar - zu kalt - .... Denken Tauben so?
Oder reagieren sie einfach nur auf Gerüche und eventuell auf menschliche Verhaltensmuster beim Essen. Von weitem siehst du den Zug aufkommen. Du nimmst wieder die anderen Menschen war. Einige blicken ebenfalls auf die Taube. Wegen Dir? Wer weiß?! Faszinierte Blicke - werden die Tauben gleich wegfliegen?
Der Zug ist jetzt schon fast da. Alle die es sehen, blicken gierig - erwarten die Sensation des Tages. ZUG ÜBERROLLT ZWEI TAUBEN! Sie wollen das Blut, den schock, den Ekel sehen. Nicht im Fernsehen, LIVE dabei sein, den Kollegen gleich am Arbeitsplatz oder dem Sitznachbarn im Zug alles bis ins kleinste Detail berichten können - hinterher.
Und vor allem, man konnte ja nichts tun, man war zu weit weg, und man hatte nichts zum werfen, aber es gibt ja auch schon genug Tauben, und sie sind auch selbst schuld, warum setzen sie sich auch auf die Gleise..................
Es wird knapp. Auch du blickst gebannt hin. Sie fliegen im letzten Moment weg. Als wenn es ein Film-Stunt wäre. Nehmen Tauben eigentlich die Umgebung in der selben Geschwindigkeit war wie der Mensch? Du meinst dich zu erinnern, das sie mit dem Kopf so wackeln, weil sie so ihre Beute (Essen) besser erkennen können.
Erleichterung , vereinzelt Enttäuschung in den Gesichtern.
Der Zug hält. Die Tür direkt neben dir. Deine Standortwahl war gut. Optimal. Für Heute.
Ein älterer Mann rempelt dich an. Du blickst verachtend auf ihn herab. Menschen strömen aus dem Zug.

Du suchst Blickkontakt zu hübschen Frauen. Einen kleinen Moment in Deinem und ihrem Leben, den ihr Teilt. Der Mann rempelt dich nochmals an, diesmal heftiger. Du blickst weiterhin über ihn hinweg sagst in ruhigem, festen Ton.
"Ich rate ihnen, mich nicht noch mal anzurempeln." Er blickt zu dir auf. Ist sich nicht sicher, ob du ihn oder jemand anders meinst. Unterlässt es aber Dich beim Einsteigen nochmalig anzurempeln. Zufall? Ein kleiner Sieg? Egal! Du fühlst dich trotzdem Gut. du erhascht einen Sitzplatz. Morgens zur Hauptzeit ein wahres Wunder. Neben dir ein junges Mädchen. Vielleicht 17 oder 18 Jahre. Sie hat einen Schlapp-Hut tief ins Gesicht gezogen und schläft. Das neue Buch was du dir ausgeliehen hast, ist sicher gut, du versinkst in eine andere Welt.

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