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Willi und Lilli

Willi stand am Ufer. Das Eis war an dieser Stelle geschmolzen und in dem entstandenen Loch war jetzt Wasser, das in der Sonne so wild glitzerte, als hätten sich alle Sternschnuppen des Himmels in dieses kleine Loch am Nordpol verirrt. Willi wußte natürlich, daß es keine Sternschnuppen waren, aber er wollte sich dennoch etwas wünschen. Der kleine Eisbär schloß die Augen so fest es ging und wünschte sich, nicht mehr allein zu sein. Und er glaubte mit ganzem Herzen, daß es klappen würde. Denn das war das Wichtigste - wenn man ganz fest daran glaubt, wußte Willi, würde alles klappen.

Als der Eisbär die Augen aufmachte, erkannte er enttäuscht, daß es nicht funktioniert hatte - nichts hatte sich geändert...Doch! Jetzt erst bemerkte Willi den Regenbogen, der plötzlich da war. Der Eisbär erinnerte sich an ein Märchen, das sein Vater in einer kalten Winternacht erzählt hatte, in dem der Held am Ende eines Regenbogens einen Topf voller Gold gefunden hatte und Willi beschloß, den Endpunkt seines Regenbogens zu finden.

Zaghaft betrat der Eisbär den Regenbogen, denn er hatte Angst durchzubrechen. Aber der Boden gab nicht nach und als Willi sich sicherer fühlte, ging er zügig weiter, obwohl der Abgrund links und rechts von ihm immer tiefer und tiefer wurde. Nach einer Weile machte er in der Ferne eine Gestalt aus. Als er näher kam, erkannte er, daß es ein anderer Eisbär war, der ihm entgegenkam. Um genau zu sein, es war eine Eisbärin. Um noch genauer zu sein, es war die schönste Eisbärin, die er je gesehen hatte. Sie standen sich nun gegenüber und jeder betrachtete den anderen schweigend und neugierig. Dann sagte Willi "Hallo" und das Mädchen grüßte zurück.

"Ich heiße Willi.", sagte Willi. Ich heiße Lilli.", sagte Lilli. Und was machst du hier?", fragte Willi und wollte schon hinzufügen "auf meinem Regenbogen", aber das behielt er für sich, weil er nicht unhöflich sein wollte. "Ich suche den Goldtopf am Ende des Regenbogens.", antwortete das Eisbär-mädchen. "Oh", meinte Willi verwundert, "ich auch."

So beschlossen die beiden, gemeinsam weiterzusuchen. Aber wo?-Schließlich waren beide aus verschiedenen Richtungen gekommen, ohne den goldenen Topf zu entdecken. So wollten sie an beiden Enden noch einmal genauer hinsehen. Sie fingen in der Richtung an, aus der Lilli gekommen war. "Oh!", meinte Lilli nach einer Weile, "Hier sieht es ganz anders aus als vorher. "Es war kalt geworden und der Himmel, der anfangs so blau wie Lillis Augen gewesen war, wurde jetzt immer dunkler. Lilli fand, daß es nach totem Fisch roch. Es war jetzt so dunkel, daß die beiden beschlossen, erst am nächsten Morgen weiter zu marschieren. Sie legten sich auf den Regenbogen und schauten in den Himmel. Die Sterne blinkten munter über ihnen, als wollten sie ihnen "Gute Nacht" morsen. Lilli fing an zu zittern. Willi legte den Arm um sie und sie kuschelte sich dankbar an sein warmes, weißes Fell. "Gute Nacht", sagte Lilli und gab ihm einen Kuß.

Willi, der noch nicht viel Erfahrung mit weiblichen Eisbären hatte, wurde rot... Das heißt, er wäre rot geworden, aber Eisbären werden nicht rot. Und wenn, wäre das auch egal gewesen, denn es war viel zu dunkel, um etwas zu sehen.īDas ist also küssenī, dachte Willi und er fand, daß es sich schön anfühlte, sogar schöner als das Schneebärbauen, das für ihn immer das Größte gewesen war. "Danke für den Schneebär", sagte er und fügte dann hinzu: "Es ist bestimmt nicht mehr weit, bis wir zum Goldtopf kommen." Lilli glaubte ihm und schlief ein.

Am nächsten Morgen wachten sie gleichzeitig auf. Beide hatten einen Bärenhunger und als Willi sagte: "Ich habe Hunger.", fiel ihm ein riesiges Gummibärchen auf den Kopf. "Autsch!", sagte der Eisbär erst erschrocken und freute sich dann. Sie teilten das Gummibärchen genau in der Mitte. Gestärkt gingen sie weiter und sie kamen bald zum höchsten Punkt des Regenbogens. Willi schlug vor, den Rest des Weges einfach zu rutschen und Lilli setzte sich auf seinen Schoß. "Halt dich gut fest!", riet ihr Willi und stieß sich mit den Tatzen von der Bahn ab. Sie wurden schneller und schneller und je schneller sie wurden, umso mehr lachten sie. Aber als es ihnen schließlich doch zu rasant wurde, war es zum Bremsen schon zu spät und sie fielen unangenehm hart auf den Boden. "Es gefällt mir hier nicht.", sagte Lilli. "Mir auch nicht.", antwortete Willi und begutachtete die viereckigen, grauen Berge, die sie umgaben.
Sie waren alle unnatürlich gleichförmig und in jedem der großen Vierecke waren wieder viele kleine Vierecke. Der Himmel und der Boden hatten dasselbe, dreckige Grau und die Luft roch entsprechend. "Und hier soll der goldene Topf sein?", fragte Willi ungläubig. Plötzlich öffnete sich das unterste der Vierecke in einem Berg und heraus kam ein seltsames Wesen, wie es die beiden nie zuvor gesehen hatten. Sein Fell war, bis auf den Kopf, genauso grau wie die ganze Umgebung und es bewegte sich auf nur zwei Tatzen vorwärts. Die Eisbären faßten sich ein Herz und beschlossen, das Wesen trotz seines sonderbaren Aussehens nach dem goldenen Topf zu fragen. Aber als sie sich ihm näherten, rannte es schreiend davon.

Die Eisbären sahen sich verwundert an und Willi meinte: "Wieso hat es denn Angst vor uns, wir sind doch keine Lawinen?". Ohne große Hoffnung suchten die beiden Eisbären in dieser trostlosen Gegend weiter nach dem goldenen Topf, bis sie wildes Geschrei erschrecken ließ. Sie blickten vom Boden auf und sahen eine Horde der seltsamen Wesen auf sie zurennen. In den Händen hatten sie furchteinflößende, seltsame Gegenstände und ihre Augen waren kalt wie der kälteste Winter in der Heimat der Bären. Ängstlich flüchteten die beiden in Richtung Regenbogen. Als sie die Verfolger hinter sich gelassen hatten, verkündete Lilli: "Jetzt habe ich endgültig keine Lust mehr. " Willi stimmte ihr zu und sie kehrten über den Regenbogen zurück in ihre Heimat. "Schön.", sagte Lilli, als sie den blauen Himmel betrachtete und war plötzlich gar nicht mehr enttäuscht, daß sie den goldenen Topf nicht gefunden hatten. "Schön.", sagte auch Willi, der in Lillis blaue Augen sah und in diesem Augenblick fiel ihm ein, daß sich sein Wunsch ja doch erfüllt hatte. - Er war nicht mehr allein. "Du...", er wußte nicht, wie er es Lilli erklären sollte, dachte lange nach und sagte dann einfach:" Du bist der Topf voll Gold."

Und Lilli verstand es.

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