© der Geschichte: Stephan Sigg. Nicht unerlaubt
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Wannenschaum

Schon wieder liegt er in der Wanne und schiebt die Hand rauf und runter.
Ich werfe ihm eine Werbe-Illustrierte entgegen, die gierig Wasser aufsaugt.
Was soll das, raunst du mir entgegen.
Ich setze mich auf den Wannenrand, ziehe meine Rauchutensilien aus meiner Jacke und stecke mir eine an.
"Nicht weiter?"
Lars schüttelt den Kopf.
"Hast du die Broschüre mal angeschaut?"
"Mann, ich hol mir hier grad einen runter. Kannst du nicht mit deinem Scheiss draussen warten?"
Ich blase ihm eine Wolke ins Gesicht und ziehe eine Grimasse.
"Willst du dir nicht besser wieder mal eine Frau suchen? Immer diese Handarbeit. Ist doch auch nicht das wahre. Zieh dich an, dann machen wir einen drauf."
Er kratzt sich am Nacken und verschiebt dann den Schaum so, dass sein Glied nicht mehr zu sehen ist.
"Mann, was starrst du mich so an?"
Ich seufze.
"Jetzt geht es schon mehr als vier Wochen so. Schlafen, essen, wichsen, TV, rauchen. Das kann doch nicht alles sein."
Lars nimmt mir die Zigarette aus dem Mund, inhaliert tief.
"Hilfst du mir noch ein Mal?"
Ich nicke und denke dabei an die vielen Texte, die ich in den vergangenen Tagen für ihn geschrieben habe, damit es weiterlief, damit der Schein gewahrt war. An die Stunden vor seinem Laptop, während er in der Wanne vor sich hin kiffte oder sich einen runterholte. Wenn er sich wenigstens eine Vorlage genommen hätte oder dazu einen Video angeschaut hätte. Aber so sah es einfach nur traurig aus. Deprimierend, wie ein Zwanzigjähriger mit der rechten Hand sich durch den Tag rubbelte, dem Abend entgegen. Ohne Hochs und Tiefs. Nur damit die Energie weg war.

In der Küche schiebe ich klebrige Teller zusammen.
Hätt ich vielleicht doch Angela mitnehmen sollen. Oder die Brünette aus dem Seminar. Die hätte ihn vielleicht auf neue Gedanken gebracht. Weg vom Dosenfood. Von Mikrowellenwärme.
Wo war der Lars von früher? Der Aufreisser, das Energiebündel?
Ich kratze mich am Bauch.
Wenn ich den ganzen Tag wichsen würde, wäre mein Kopf auch leer, denke ich nüchtern und wunder mich, dass ich schon seit mehr als einer Woche kein Kondom mehr hatte überstülpen müssen.

"Ich hab noch zwei Tickets bekommen für den Hiphop-Gig morgen", verkündige ich Lars, als ich ihm die letzte Bierdose aushändige.
Er schaltet den Hahn ein und lässt heisses Wasser nachlaufen.
"Das wird sicher ein Megaevent", versuche ich es nochmals und verstumme auch gleich wieder. Starre enttäuscht aus dem Fenster, wo Sturmböen Schirme von Pensionisten in tausend Stücke brechen. Warum fährt er jetzt nicht einmal mehr auf Hiphop ab?
Die Tickets hatte ich nur durch viel Vitamin B bekommen. Dafür musste er jetzt mit diesem Brillenluder in die Oper gehen, damit wir wieder quitt waren. Er wusste warum er sonst nur seine männlichen Qualitäten als Gegenmittel einsetzte.
"Soll ich uns eine Pizza bestellen?", mach ich einen weiteren Versuch.
Lars stöhnt. Gilt das jetzt meiner Frage oder seinen sportlichen Aktivitäten?
"Du klingst wie meine Alte", sagt er dann bleiern. Ein müdes Lachen.
Ich drehe den Hahn ab, da der Wasserspiegel bedrohlich dem Höhepunkt entgegenschwirrt. Er packt mein Handgelenk, obwohl er weiss, dass ich das gar nicht leiden kann. Ein plötzlicher Adrenalinstoss in mir. Ich hole aus und schleudere ihm meine Faust ins Gesicht. Er fährt erschrocken zurück.
"Du Schwuchtel. Spinnst du jetzt total?"
Zorn spritzt mir entgegen. Lars fährt sich ungläubig über die rechte Backe. Dann taucht er seine Hände wieder ins Wasser, um weiter zu machen mit seiner Tagesaufgabe.

Ich lasse mich im Wohnzimmersessel nieder und folge dem schnellen Cut eines Horrorfilms. Ein maskierter Irrer sticht Frauen nieder, deren Blut in roten Fontänen auf die Mattscheibe spritzt. Lars tritt hinter mir ins Zimmer.
Ich drehe mich um und schaue interessiert in seinen Schritt, um zu sehen, wie es aussieht, wenn man sein bestes Stück rund um die Uhr malträtiert. Er lässt sich in den Sessel neben mir fallen.
Ich ziehe das Telefon aus meiner Hosentasche, wähle Angelas Nummer.
Lars blickt mich fragend an.

Jetzt lieg ich zu Hause in meiner Wanne, lasse Schaum aufsteigen und tauche meinen Schwanz in die Unterwasserwelt, reibe bis meine Flüssigkeit in einem dicken Strahl wie ein unterirdischer Vulkan durch den Schaum hindurchstösst, starre an die geflieste Wand, während Lars sich mit Angela auf dem Hiphop-Event vergnügt.

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