© der Geschichte: Sylvia Schumann. Nicht unerlaubt
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Verlust von Papi und Wiedergewinn von Papi

Ich war 8 Jahre alt und wir waren zwischenzeitlich mal wieder umgezogen. Aber es stellte sich kein Neuanfangsfeeling ein wie sonst immer. Immer stritten sich Mama und Papa. Ich heulte damals nächtelang meinem Meerschweinchen Micky das Fell naß. Sie leckte mir immer die Tränen ab, was ich als Trost empfunden habe. Meerschweinchen lieben Salz. Das erfuhr ich aber erst später.
Eines Morgens wachte ich auf, und ging in die Küche. Dachte Papa ist vielleicht wieder arbeiten. Er hatte eine Weile keine Arbeit. Aber da saß mein Onkel Karl-Heinz mit Mama in der Küche und sie tranken Kaffee. "Onkel Karl-Heinz wohnt jetzt bei uns: Papa wohnt jetzt in dem Appartement von Onkel Karl-Heinz. Kannst ihn am Wochenende immer besuchen." Sprach meine Mutter und besiegelte die Worte mit einem dicken Schmatzer auf Onkels dünnlippigen Mund. Onkel K.H. ist der richtige Bruder meines Daddys. Ich mochte ihn nie. Er war immer so böse zu seiner Frau, Tante Annie. Seine Kinder waren auch doof. Charlotte war hässlich und dumm. Die Cousins grabschten immer an mir rum. Bis auf Bertchen, der machte mit 15 Jahren noch ins Bett. Am Wochenende besuchte ich Papa in seinem neuen Domizil. Alles dort gehörte eigentlich Onkel K.H. Das Bett, der Schrank, einfach alles. Selbst die geschmackvollen Hirschbilder hingen dort. Tante Annie hatte sich schon vor längerer Zeit von Onkel K.H. getrennt. Ob Mutti was damit zu tun hatte? Papa versuchte natürlich glücklich auszusehen. Kinder kann man aber nicht verarschen. Papi war irgendwie älter. Aber komisch. Er trank kein Bier, jedenfalls bis abends. Papa ging mit mir in den Zirkus. Kaufte mir Süßigkeiten und redete ganz viel mit mir.
Und das besonders viel, wenn er abends seine Biere trank."Du bist meine kleine Frau. Deine Mutter ist böse. Sie tut mir so weh." Papi weinte, weinte immer lauter, bis er irgendwann einschlief. Ich lag noch lange neben ihm wach in dem ausklappbaren Schrankbett. Habe geweint. Mußte ja wieder zurück zu Mama, die mir Papa weggenommen hatte. Und zu Onkel K.H.! Wieder zu Hause erwartete mich die nächste Überraschung. Verhasste Cousine Charlotte sollte jetzt auch bei uns wohnen. In meinem Zimmer, mit mir in einem Bett. Bis sie ein eigenes bekam. Aber das war schrecklich genug. Charlotte guckte immer das Fernsehprogramm, was sie wollte und ich durfte eigentlich gar nicht mehr fernseh gucken. Weinende Beschwerde bei Mama wurde abgewehrt. "Onkel Karl-Heinz tut so viel für uns. Papa hätte uns nie das Auto kaufen können, und die neue Küche. Da müssen wir dankbar sein. Also mecker nicht."
Mama war wohl ziemlich dankbar, denn es kamen Geräusche aus dem Schlafzimmer, die ich bei Mama und Papa nie gehört habe.
Auch das tat mir weh, obwohl ich es nicht verstand. Die Wochenenden bei Papa in dieser Onkel K.H. Wohnung wurden fast unerträglich. Und trotzdem freute ich mich jedes Mal auf Vati. Zeigte er mir doch gerade in dieser Zeit, wie noch nie vorher, seine Liebe zu mir.
Ich haßte Onkel K:H. Warum konnte die Liebe von Papi nicht bei Mami und mir zu Hause sein? Wie konnte Mama ohne diese Liebe leben?
An einem Sonntagmittag kam ich nach Hause. Hat mich sicher wer abgeholt. Als erstes ging ich wie üblich in mein Zimmer. Charlotte war weg. Seltsam.
Alle Sachen weg. Prima, dachte ich. "Mama, wo ist Charlotte?" "Das undankbare Blaach wollte zurück zu ihrer Mami. Onkel Karl-Heinz ist ganz schön sauer. Warum konntest du auch nicht ein bißchen mehr wie eine Schwester zu Charlotte sein?" Mutti kam gar nicht auf den Gedanken, dass Charlotte gar nichts mit mir zu tun haben wollte. Nun hatte ich Angst. Was wenn Onkel kommt? Zurück in mein Zimmer. Micky, ich brauche Micky, mein Meerschweinchen. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch Micky fehlte. Ihr Käfig war noch da, aber wo war Micky? Mama muß gemerkt haben, dass sie vergessen hatte, mir etwas mitzuteilen. Sie kam zu mir und sagte lapidar: "Micky ist weggelaufen." Klar, hat ihr Köfferchen gepackt, die Käfigtür aufgemacht und ist aus der Wohnnug in der ersten Etage direkt zum Bahnhof in den Zug nach nirgendwo. Hätte ich da am Liebsten gemacht, abgehauen. Wem sollte ich jetzt meinen Kummer erzählen, das geliebte scheckige Fell naßheulen?

Zu Hause gab es immer mehr Streit zwischen Mama und Onkel K.H.!
Das war wie Musik in meinen Ohren. Mochte es, wenn die beiden sich nicht gut verstanden. Saß dann wie gebannt auf meinem Bett und hörte zu. "Du wolltest sowieso nur mein Geld, hast dafür alles kaputt gemacht Du Nutte", schrie Onkel meine Mutter an. Aber Mama wurde auch laut und schrie zurück:" Du bist doch zu mir gekommen. Ich habe dich nicht geholt." Jedes mal dachte ich: Gleich geht er und Papa kommt zurück. Später aber hörte ich immer wieder die dummen Kichergeräusche aus dem Schlafzimmer dringen.

Dann kam Mutti ins Krankenhaus. Bei Onkel K.H. konnte ich nicht bleiben.
Wurde zu einer befreundeten Asifamilie meiner Mutter ins Nachbarhaus verfrachtet. Dort schlief ich in einem kleinen Zimmer zusammen mit drei Mädchen und einem kleinen Jungen. In dem Zimmer stand nur ein Etagenbett, sonst nichts. Mit den beiden Mädchen in meinem Alter hatte ich oft gespielt, aber noch nie dort geschlafen. Deren Oma und Mutter und ihr Geliebter, wohnten auch in der Wohnung. Die Oma war schon ziemlich alt. Der Geliebte war noch ziemlich jung. Und außerdem der Sohn des vorherigen Geliebten der Mutter. Es gab keine Schulbrote oder so was. Hausaufgaben konnte man dort auch nicht machen. Tag und Nacht drangen dort diese mir schon bekannten Geräusche aus deren Schlafzimmer. Nur viel lauter und irgendwie tierischer.

Ich brach eines Tages in der Schule zusammen. Meine Lehrerin, Frau Mintgens mochte mich schon immer sehr gern. War eine blendende Schülerin. Nur Einsen und Zweien. Aber nicht nur deshalb. Ich durfte im Lehrerzimmer auf einer Couch schlafen, mich ausschlafen. Nachdem ich aufwachte, hatte meine Lehrerin schon in einer Lehrerkonferenz gefragt, ob Einwände bestünden, mich zu sich nach Hause zu nehmen. Kein Einwand! Nach der Schule holten wir ein paar Sachen von mir ab. Ich wohnte nun bei meiner Lehrerin. Dort bekam ich meine erste Zahnbürste. Eine richtige Familie erwartete mich. Wurde auch von den Kindern super aufgenommen. Durfte Klassenarbeiten korrigieren helfen, natürlich nicht meine eigenen. Lernte Gelee, selbstgemachten Gelee kennen, lecker. Spielte stundenlang mit Coco, dem Cockerspaniel. Es war wie im Himmel. Schnell kam aber die Hölle wieder.

Mama kam aus dem Krankenhaus. Bei einem meiner Besuche bei ihr, sagte sie mir, dass wenn sie nach Hause kommt, Papa wieder da wäre. Ich glaubte ihr.

Am Entlassungstag brachte Frau Mintgens mich von der Schule nach Hause. Wir wohnten ja im selben Ort. Ich freute mich auch irgendwie. Aber tief in mir hatte ich so eine Angst. Ich hätte so gerne Frau Mintgens in diesem Moment zur Mutter gehabt. Also, stieg ich aus dem Auto und marschierte nach Hause. Auf den Treppenstufen erinnerte ich mich daran, dass Papa oben auf mich wartete. Ich rannte die letzten Stufen hoch.
Onkel K.H. machte mir die Türe auf. Wo ist Papa? Papa war nicht da. Obwohl ich noch außer Puste war, rannte ich sofort wieder aus der Wohnung. Frau Mintgens, wollte zurück. Sie war sicher schon zu Hause. Ich rannte weinend und ohne auf Autos oder Menschen zu achten zu ihr. Irgendwie muß sie gefühlt haben, dass ich komme, mich erwartet haben. Sie stand mit ausgebreiteten Armen in der Eingangstür des Hauses. Ich konnte nur noch reinlaufen in die Arme. Brauchte nichts sagen. Sie wiegte mich und sang leise in mein Ohr:"MARIA DURCH EIN DORNWALD GING; KYRIELEYSON." Ein Weihnachtslied, es war aber Sommer. Mein Zweitname ist übrigens Maria.

Ich weiß nicht wie, jedenfalls war danach ganz schnell Papa wieder bei uns, und es schien, als wäre alles wieder gut.

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