© der Geschichte: Annika Senger. Nicht unerlaubt
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Abwaschwasser und Tränen

Die vibrierenden Techno-Bässe setzen meinen wild um sich schlagenden Holzhammer akustisch um. Die Tanzfläche bebt, blitzt und donnert. Ich starre lasziv lachend in die Ecke. Immer wieder, nur nicht zu auffällig. Der Ventilator hinter seinem Rücken bläst zottelige blaue Splißsträhnen über seine Schultern. Der Wind soll ihm mal gründlich das Hirn durchpusten! Giftgrüner Schrumpf-Alien! Sehen soll er mich mit Thierry und nicht nur das! Ja, es soll ihn tangieren! Wie mürrisch er mich fixiert! Die unbelebte Ecke wirkt wie für ihn reserviert. Meine Zunge taucht tief in Thierrys schmachtenden Abwaschwassermund ein. Skrupellos! Gemein! Der arme Franz-Mann liebt mich sehr. Das behauptet er jedenfalls, aber ich bin nicht fähig, ihn zu lieben, ich werde es niemals sein! Widerlich, sein abgestandener Körpergeruch! Warum tu' ich das? Ich verteile nur noch Holzhammerschläge und treffe dabei nicht nur meine männlichen Opfer. Diese eiskalte Fischflosse auf meinem verlängerten Rückenmark! Und die harte Beule zwischen seinen Beinen, wie sie sich vor Geilheit wieder an mich preßt!

Mimo soll wissen, was er vollgerotzt und weggeworfen hat! Er soll leiden so wie seine Papiertaschentuchtrophäe seinetwegen gelitten hat. Seine schwarzen Augen funkeln satanisch und gleichzeitig erhaben. Vor Arroganz natürlich! Die selbstverliebte Primadonna! Hinter seinen vor der Brust verschränkten Armen tobt er vor Zorn, da bin ich mir sicher. Ich will ihm seine grenzenlose Einsamkeit daumendick aufs Butterbrot schmieren! Ich will vergessen, daß... "Isch liebe disch sehr, ma chérie!" raspelt Thierry mal wieder Süßholz.

Ab in die Ecke zu Mimo, Thierry! Nur noch einmal lasse ich meine Zunge in deinem Abwaschwasser baden. Dann ist Schluß. Mimo ist keinen Meter mehr von uns entfernt. Ich fühle mich so unwiderstehlich in dieser Nacht! Teilhaben soll er an meiner gnadenlosen Inszenierung und das in der allerersten Reihe! Er guckt weg. Höchstwahrscheinlich stopfe ich ihn voll mit emotionalem Leid! Wenn ich doch nur einen Weg finden könnte, offen mit ihm zu reden! Wenn wir nicht beide so wahnsinnig vor Stolz übersprudeln würden! Ach, scheiß auf die vielen überflüssigen Wenns! Was würde das nützen? Die Bässe erschüttern meinen Körper; pumpen ihn voll mit Amazonen-Energie! Mentale Atomgranaten, die ich am liebsten alle mit einem Schlag auf ihn abfeuern möchte! Süß ist die Rache! Was er mir da präsentiert, ist ja doch bloß gekränkte Eitelkeit, nichts weiter! Wohl kaum die Gefühle, die ich mir von ihm wünsche! Stop - gewünscht habe!!! Ich wünschte, er würde mir auf der Stelle eine scheuern. Dann wäre ich zumindest sicher, daß ich hier mit meinem Auftritt seine Gefühle verletze, was gleichzeitig implizieren würde, daß er Gefühle für mich hegt... Oder? "Tu danses bien!" lobt mich Thierry, der mich immer und für jeden Scheiß lobt.

"Ich weiß!"
Für zwei Sekunden trifft mich ein schwarzes Augenpaar. Sie sind so schön! Tötend! Brutal und aggressiv! Es waren diese Augen! Ja, ich hätte wissen müssen, daß dunkle Augen eine der gefährlichsten Waffen gegen mich männermordendes Monster sind! Ich hätte es nicht wissen müssen, denn ich wußte es schon längst, und ich wollte es mit ihm, doch ich wollte es nicht so, wie es im Endeffekt gekommen ist! Blicken sie vorwurfsvoll? Traurig? Hinter seiner Maske weint er womöglich! Auch ich weine! Ich will keinen Krieg mehr! Ich will nicht mehr kämpfen!!! Ständig diese abartigen Kämpfe! Jede Nacht Tränen! Bitte keine Tränen mehr! Ich will doch nur Frieden mit dir, Mimo! Meine Hand gleitet über Thierrys Hintern. Siehst du das, Mimo? Knackiges, strammes Fleisch! Wohl kaum zu vergleichen mit deinem fetten Speckarsch! Guck nur, wie er sich von mir führen läßt und steife Pirouetten unter meinem Arm dreht! Ist das nicht allerliebst, wie er mir aus der Hand frißt? Hey, warum gehst du denn weg, Mimolein Mimose?

Der Hampelmann soll gefälligst seine Flossen von mir nehmen! Mir reicht's! Vielleicht hat Mimo sich heimlich, still und leise an die Bar verzogen. Ob ich mal die Lage peilen sollte? Ich muß endlich mit ihm über den ganzen Mist sprechen, obwohl ich weiß, daß er mir wieder keine Chance geben wird! Nie mehr, und das kann und will ich nicht ertragen!
"Qu'est-ce qu'il y a, Simone?"
"Gar nichts ist los, alles in bester Ordnung."
Ich gehe einfach mal für kleine Mädchen. Nicht, daß ich gleich den Eindruck erwecke, ihm nachzulaufen! Der süße Südländer da am Eingang sieht gar nicht schlecht aus. Und wie er immer wieder zu mir rüberlächelt! Wenn Mimo der Hans Dampf in allen Gassen wäre, könnte ich ihn hier suchen wie die Nadel im Heuhaufen! Aber er ist ein Einzelgänger, ein Eigenbrötler und sogar mehr als nur ein Eigenbrötler! Ein Fall für die Klapse! Ach, da sitzt er ja - ganz alleine neben der Toilettentür! Starrt in seine Kaffeetasse. Höchstwahrscheinlich Milchkaffee wie damals am ersten Tag! Los, Simone, tu es! Faß dir ein Herz! Laß dir ja nichts anmerken, nur ganz cool bleiben! Er soll sich schwarz ärgern, wie er sich noch nie über eine Frau geärgert hat! Und ich möchte doch bloß Frieden! Er würde mir wieder einen Korb verpassen! Gibt es da denn noch irgend etwas zwischen uns zu kitten? Zum Teufel, jetzt bin ich schon wieder schweigend an ihm vorbeigestampft! Ach, und was sehe ich denn da Fürchterliches im Spiegel? Das bin doch nicht ich! Das ist nichts als eine furchterregende bleiche Maske mit Tonnen von dunklem Lidschatten über den Augen! Aber herrlich arrogant können diese kühlen blauen Augen gucken! Selbst die Haare sind nicht wirklich hexenrot, sondern... Ich bin nicht mehr ich! Ich habe mein Selbst verloren! Nur nicht daran denken. Du spielst gegen deine ureigensten Prinzipien, Simone! Warum ignorierst du ihn nicht einfach? Du powerst dich doch nur selbst aus und vernachlässigst dabei die wirklich wichtigen Dinge! Und wofür? Mimo ist eine chauvinistische Mimose! Und jetzt mit Vernunft zurück auf die Tanzfläche. Mimo ist unsicher. Mimo läßt keine anderen Meinungen als seine eigene gelten. Mimo weint!!! In aller Öffentlichkeit! Weint er?! Ich muß ihn trösten! Ich muß...

"Mimo,..."
"Wer sind Sie? Mimo kennt Sie nicht."

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