© der Geschichte: Brigitte Breidenbach. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Ohne Worte

"Worte! Alte, neue, große und kleine Worte!" schreit der Wort-Budenbesitzer auf dem Jahrmarkt.
"Sehr preisgünstig abzugeben!" kreischt er - schon etwas heiser - hinterher. Bei diesen Worten horche ich auf.
"Abzugeben", denke ich verächtlich. "Wie unehrlich die Menschen mit ihren Worten umgehen, und wie gern sie noch dazu die falschen Worte verwenden! Verkaufen hat er ja wohl gemeint!"
Neugierig geworden trete ich näher, um sein so angepriesenes Sammelsurium zu betrachten. Schon führe ich einen Dialog mit mir:
"Du bist kaufsüchtig! Brauchst du überhaupt noch Worte? Reicht dir deine Sammlung etwa nicht mehr?"
Ärgerlich denke ich: "Man kann nicht genug Worte besitzen; das hat doch nichts mit überflüssigem Konsum zu tun! Wenn alle so geizig sind, sich mehr Worte zuzulegen, dann steht es um unsere Verständigung immer schlechter. Die meisten haben sich ja ohnehin nichts mehr zu sagen.
"Außerdem", so grübele ich weiter gegen meine innere Stimme, "wie oft schon habe ich meine Worte verschenkt, und es kam nichts zurück. Selten genug findet ein Austausch statt. Und was mir auch immer wieder passiert: die Leute dreh'n mir das Wort im Munde 'rum, so daß es meinen Sinn verliert und ich verzweifelt nach meinen Worten such' ".
Während ich so 'rumwortschle und meinen Blick schweifen lasse, stelle ich erstaunt fest, daß es keinen zweiten Wort-Budenbesitzer auf diesem Jahrmarkt der Künste gibt. Der Typ hat doch glatt das Wortmonopol hier, sozusagen das letzte Wort - um jeden Preis. Wo bleibt da die vielgepriesene freie Wortwirtschaft?
Kopfschüttelnd nehme ich seinen Stand näher unter die Lupe. Inzwischen haben sich noch weitere Wortsuchende um die Bude versammelt, und plötzlich geht eine regelrechte Wortklauberei los. Ich höre, wie ein Wort das andere gibt. Man kann sein eigenes Wort nicht mehr verstehen!
"Wo kann ich meine Worte patentieren lassen, damit sie nicht mehr gegen mich verwendet werden?" versuche ich lautstark das Gerede zu übertönen. Der Wortverkäufer gibt keine Antwort. Offenbar fehlen ihm jetzt die Worte, die er eben noch so großspurig anpries.
Da höre ich neben mir eine fröhliche Stimme: "Liebling, zu Weihnachten schenk' ich dir einen Sack voll der Worte, die du so oft verlierst!"
Überglücklich strahlt sie ihn an: "Ich nehme dich beim Wort!"
"Donnerwetter", denke ich, "mann schenkt noch Worte! Nun ja, schließlich ist Weihnachten das Fest der Liebe".
"Aber hat Liebe noch Worte nötig?" sinniere ich vor mich hin, "es wird ja viel geredet ..."
Meine Gedanken werden jäh unterbrochen.
"Haben sie auch politische Worte zu verkaufen?" drängt sich ein krawattenbehängter, kraftloser Yuppie zum Wort-Besitzer durch.
"Nee, die sind letzte Woche alle mit dem Sondermüll entsorgt worden!"
"Aber wieso das?" fragt der dynamisch-Depressive enttäuscht.
"Na, Worte, denen nicht entsprechende Taten folgen, sind leeres Ge-Rede. Und sowas verkaufe ich nicht!" In seiner Ehre gekränkt, wendet sich der Wort-Standbesitzer ab.
"Schöne Worte abzugeben, beste Qualität! Ich steh' zu meinem Wort!" Wie drohend versucht er weiter, seine Ware loszuwerden. Seine Bemühungen werden endlich belohnt: Worte werden gekauft, sorgfältig ausgewählt, auf die Waagschale gelegt und einige sogar heruntergehandelt. Die Menge befindet sich jetzt im Kaufrausch. Ganze Sätze geh'n über den Ladentisch!
Ich bin sprachlos: Worte werden heute gewechselt wie früher die Wäsche bei den Saubermanns - zu oft und glatt gebügelt.
"Mir geh'n langsam die Worte aus!" spornt der Wort-Händler die Leute an und kramt in seinen säuberlich unterteilten Schubfächern. Begeistert schreit er in die wortgeile Meute: "Wer will das letzte Wort haben?"
"Ich!!!" sehe ich da einen Napoleon-Gnom aufgeregt mit fuchtelnden Ärmchen nach vorne preschen.
Hämisch grinst der Wortverkäufer:
"Hier hast du's: verpiß dich!"

zurück