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Nachtgedanken eines verliebten Literaturwissenschaftlers

Helena, ich weiß nicht, ob du es schon weißt
aber obwohl wir
noch kein einziges Wort miteinander gesprochen haben
ist schon alles gesagt.
Vielleicht nicht so
wie du jetzt vielleicht denkst
aber
schon einmal
ganz genauso.
Und wenn es jetzt darum geht
was ich dir dann noch sagen soll
weiß ich nur
daß ich nichts weiß
aber auch das ist schon gesagt
zum Glück von einem Philosophen
und keinem Dichter.

Helena, ich weiß auch nicht
wie du es gern hättest
romantisch-literaturgeschichtlich
psychoanalytisch
oder postmodern
ich höre immer nur
daß eine Liebesgeschichte mit Niveau
ab spätestens Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts
kein glückliches Ende mehr hat
der Roman, auch der Liebesroman,

als Gattung tot ist
und man seit Joyce sowieso nicht mehr
einlinig erzählen kann.

Ja, selbst mein Vorschlag
mit Dir zu Shakespeares
Dramen zu fliehn
oder wenigstens zu Tucholsky
aber keinesfalls zu Kästner, Sachliche Romanze
und wenn zu Shakespeare dann
nicht zu Romeo
oder Julia
sondern in Viel Lärm um nichts
selbst dieser Vorschlag
ist alles andere als originell.

Umberto Eco
in seinem kleinen UTB-Bändchen
sagt es besser
wenn er schreibt
Auch wenn ich selbst nicht mehr
originell sagen kann
‚Ich liebe dich'
kann ich statt dessen
immerhin
noch originell zitieren
‚Ich liebe dich'
zum Beispiel Shakespeare.

Helena, vor ein paar Wochen
gab es bei der Karl-Arnold-Stiftung
einen Jahreskongreß
Thema Kulturelle Deutungsmacht -
vielleicht könntest du
mit sanfter Gewalt
mein Leben einmal grundlegend neu
interpretieren.

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