© der Geschichte: Ludwig Luderskow. Nicht unerlaubt
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Die Magie einer Stimme
Die Magie ihrer Stimme

Wie wir uns kennengelernt haben weiß ich noch ganz genau. Es war zwar unromantisch, aber unwichtig. Auf jeden Fall wir haben uns kennengelernt. Sie haben telefoniert. Ein jeder hörte die Stimme des anderen. Sie sagte öfters - das hat er sich gemerkt - daß sie seine Stimme gerne hörte.
Wenn sie seinen Namen aussprach, hatte es ihm angetan.

Er hatte so einen lustigen Akzent, Deutsch zu sprechen zumindst für sie.
Sie tauschten viel aus - an Vertrautem, an Intimem - eigentlich erzählte er mehr von sich als sie von sich aber sie erzählten, sie unterhielten sich auf eine Art und Weise die er so wahrscheinlich so noch nicht kannte. Beide schienen es zu genießen, so schien es ihm.
Irgendwie meinte er, es ginge auch ihr so. Sie redeten und redeten Stunde um Stunde, es wurde ihnen nie langweilig. Er hörte so gerne ihre Stimme. Sie war wunderschön, diese Stimme. Er fragte sie öfters, ob sie wüßte wie schön ihre Stimme war: sie antwortete jedesmal "nein, es gibt schönere Stimmen als meine" oder "ich weiß gar nicht, was du hast so schön ist sie doch nicht". Er sagte sich jedesmal, wenn sie so sprach "red du mal, du weißt es nicht und das ist auch gut so. Oft haderte er mit sich - war er einfach nur verliebt in das Verliebtsein? Fühlte er sich einsam? Hatte er Sehnsüchte, die sie - ihre Stimme - auslöste? Wie war es bei ihr? Er kannte sie eigentlich gar nicht. Empfand sie genauso? Genauso wie er? Er hatte sie sehr gerne - die Person, die Stimme. Er glaubte nicht, daß man sich in eine Stimme verlieben könnte. Und doch - eines Tages tat er es. Er merkte es eines Morgens. Er wachte mit dem Gedanken an diese Stimme auf. Den ganzen Tag ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Er dachte unentwegt an sie - er war gefesselt, gehemmt, fasziniert, bewegungslos.
Er kannte ihre Telefonnummer in- und auswendig. Kannte sie seine genauso? Oft dachte er daran: würde es jemals etwas aus ihnen beiden werden? Er schaffte es, ein paar Tage, sich nicht zu melden. Doch immer wieder zog es ihm zu der Stimme zurück - er mußte sie hören: er mußte mit ihr reden seinen Namen wollte er hören, ihre Verabschiedung - dann: er hatte Urlaub. Vor ungefähr einer Woche sagte er ihr vor dem Urlaub Lebewohl: ich wünsche dir ein schönes Leben. Ich will dich nicht in keiner Form und Weise stören in deinem Leben. Sie weinte bitterlich am Telefon. Sie hatten sich immer noch nicht gesehen. Weshalb er das tat? Sie suchte den Fehler bei sich. Immer wieder stritt er ab, daß sie es war, die den Fehler machte. War es überhaupt ein Fehler oder war es nur ein Gefühl? und woher stammte dieses Gefühl? war es eine tiefe Enttäuschung daß er sie am darauffolgenden Wochenende nicht treffen konnte? sie telefonierten trotz alledem in der Woche, nicht jeden Tag aber alle zwei Tage. Aber wenn sie dann telefonierten, dann telefonierten sie wieder lange. Es sind immer lange Gespräche bei uns, dachte er sich und: es sind schöne Gespräche. Sie kam ihm mehr entgegen. Sie öffnete sich ihm ein bißchen mehr. Genau das hatte er immer vermißt an ihr. Er verlor sich wieder in der Stimme. Jetzt stand nun der Urlaub an. Drei wunderschöne Wochen. Aber immer in der Stadt bleiben in den drei Wochen wegen ihr? Sie fragen ob sie mitkommen würde wollen ergab sich nicht. Zuviel sprach dagegen. Er fragte sie nochmal: hast du Lust dich zu treffen? gut... sie zierte sich ein bißchen aber sie begründete es auch. Irgendwie freute es ihn daß sie auch gelitten hatte in der Woche: genau wie er. Zumindest sagte sie es. Aber da bestanden eigentlich keine Zweifel. Zwei Wochen jetzt ohne diese Stimme, ohne diesen Akzent, wenn sie seinen Namen aussprach. Sie sagte: Vierzehn Tage ohne mich - du wirst mich vergessen. Du hast kein telefon, du hast nichts... du wirst mich vergessen davon ging sie aus. Er antwortete mit: Blödsinn, das denkst auch nur du! ich weiß nicht was die Zukunft bringt - sagte er - aber ich glaube das nicht. Er fuhr los. Sie wollten sich nach seinem Urlaub wiedersehen - oder eigentlich: das erste Mal sehen. Er war jetzt dort, wo die Sonne schien. Über die Insel ist er gewandert genauso wie seine Gedanken nur: er kam immer bei seiner Herberge an, aber seine Gedanken bei ihr und - ihrer Stimme. Er ahnte, er kriegte sie nicht aus dem Kopf. Sie hatte etwas in ihrer Stimme ein: wie soll man es beschreiben - es war: sie konnte einige Worte... wissen Sie da war etwas. Etwas ganz Besonderes. Er kriegte sie - wie gesagt - nicht aus dem Kopf. Er hob sich ihren ersten Anruf auf dem AB immer auf. Er war schön. Er hörte sich ihn immer wieder an.

Die Tage vergingen langsam. Trotz seines Urlaubs dachte er. Es war sein erster Urlaub seit einigen Monaten, seit fast einem Jahr er verging viel zu langsam bis ich sie wiederhöre. Wie alles kam, weiß ich nicht mehr genau aber irgendwie schienen beide darauf zu warten, daß er aus dem Urlaub kam. Er lief gleichzeitig zum Hörer, als das Telefon klingelte. Raten Sie mal, wer dran war. Leise hörte er seinen Namen. Sie sprach zu ihm. Es klang lieblich an seinem Ohr. Egal was sie sagte - oftmals ertappte er sich, daß er gar nicht zuhörte. Es war Musik: nahezu erotisch. Sie verabredeten sich für das kommende Wochenende. Endlich würde er sie sehen. Sie telefonierten wieder bis dahin jeden Tag. und dann trafen sie sich. war es Liebe? oder einfach nur das heftige Verliebtsein? oder bildeten sie es sich beide ein? er sah ihr zu an dem Wochenende: wie sie etwas sagte, wie sie ihre Lippen bewegte: ihre Wangenknochen ihre Grübchen ihre Augen. und sie sah ihn an: sie sahen sich an und sie redeten miteinander...Kein Hörer kein Telefon. war es ihm egal wie sie aussah? war es ihm mittlerweile wirklich egal? hätte diese Stimme wirklich jede haben können? egal?
sie war beim Treffen - genau wie am Telefon - nicht auf den Mund gefallen und sein Name hörte sich noch zärtlicher an als am Telefon (sie hatte eine ganz eigene Art, manche Buchstaben zu sagen). Irgendwie merkte er beim Gespräch, als er ihr gegenübersaß, daß sie niemals ein Paar werden würden - oder hatte er nur Angst und er bildete sich dies ein? Aber wie gerne würde er! und was wäre wenn eines Tages diese Stimme weg ist: für ihn unerreichbar, daß sie nie wieder mit ihm erzählt? daß diese stimme mit anderen so lieb redet wie mit ihm? und ihn nicht dabei anschaut, geschweige denn anspricht? daß er sie aus seinen Gedanken kriegt: das war seine Hoffnung. Er wollte sie aus seinen Gedanken kriegen: nur das war seine Hoffnung. Aber er gab es nicht zu: er wollte sie, diese Stimme, ganz alleine für sich. wie eines zum anderen kam weiß er nicht mehr.
war es eine Affekthandlung? er weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall: diese Stimme war auf einmal tot. Die Person, die zu dieser Stimme gehörte, hatte auf zu atmen gehört. er hatte ihr mal Lebewohl gesagt und sie fragte damals: warum hast du das nicht gemacht? warum hast du dich wieder gemeldet? er sagte damals: es war kein Ende. Es muß ein Ende sein. Ich kann doch kein Ende konstruieren, wenn kein Ende ist. Dies war ein Ende, wenn auch ein konstruiertes. Er hatte Tatsachen geschaffen. Unumkehrbare Tatsachen. Sie konnte nicht sagen: ich akzeptiere dein Lebewohl nicht. Diese Möglichkeit bestand nicht mehr. Beruhigt fuhr er nach Hause.

Beruhigt darüber, daß er nie wieder mit dieser Stimme reden müßte. Wissen Sie: es war wie eine Sucht. es war wie Rauschgift. Stellen Sie sich vor: Meine Gedanken kreisten nur um sie, wenn ich sie nicht hörte. Hörte er sie einmal vierundzwanzig Stunden nicht: waren seine Gedanken nicht mehr die seinen, sondern sie waren von ihr gefangen. Dies war jetzt alles nicht mehr. Auf seinem AB hatte er ihre erste Nachricht an ihn. ,Diese wollte er auf Kassette aufnehmen: niemals löschen. Er wollte nur ihre Stimme hören, egal was sie sagte: nur ihre Stimme. wissen Sie - ich habe einen Radiowecker. Eines morgens zeigte dieser keine Zeit mehr an. Mein AB wurde auch von Strom gespeist. Ich weiß gar nicht, wielange kein Strom mehr lief. Später in der Zeitung las ich: Stromausfall für ungefähr vier - fünf - sechs Stunden: wie lange genau? ich suchte, nachdem ich den stecker in die steckdose steckte nach der ersten Nachricht von ihr auf meinem AB. ich wollte sie hören - ich brauchte sie jetzt als Trost. aber es war nur Rauschen. wie ein Block mit vielen leeren Seiten.
Ich war verzweifelt. und suchte und suchte und suchte. warum hatte ich mir nur keine Aufnahme gemacht? warum hatte ich es nur immer aufgeschoben? warum habe ich sie umgebracht? und jetzt? erzähle ich ihnen meine Geschichte.

Sie amüsieren sich jetzt bestimmt: denken sich "der arme Kerl!" aber wissen Sie, auch wenn ich jetzt hier bin und der elektrische Stuhl auf mich wartet (wo garantiert kein Stromausfall sein wird), kann ich Ihnen sagen: Ich habe geliebt, wenn auch nur eine Stimme - oder doch nicht nur?

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