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Gift

Nachdem Herbert an Verfolgungswahn zu leiden begonnen hatte, war das Auskommen mit ihm schwer geworden. Seine Frau hatte darunter am meisten zu leiden. Trotz dieser Belastung schloß die angehende Apothekerin damals eine Arbeit über Giftpflanzen ab. Beim Besichtigen der dazu nötigen umfangreichen Bibliothek unkten Freunde der Familie hie und da, daß Frauen, die alles über Gift wissen, und so weiter und so weiter ... Da aber Herberts Blick von mal zu mal starrer geworden war bei solchen Witzchen, wurden diese schalkhaften Bemerkungen immer seltener - wie auch die Besucher.

Gespräche mit Herbert verliefen im Uferlosen. Er war nicht mehr imstande, sich auf das zu konzentrieren, was Thema war.

Wen wundert's, daß Monika neue gedanklichen Gefährten suchte. Daß sie zum Bücherwurm wurde. - Oder zur Leseratte, wie Herbert sie in liebevollen Momenten betitelte. Doch auch diese - nonverbale - traute Zweisamkeit verrann in Monotonie. Zerrann im Nichts ersterbender Gefühle. Monika vermochte es bald nicht mehr, Herberts Urangst mit Zärtlichkeiten zu betäuben.

Es wurde seine Manie, argwöhnisch um den Bücherschrank seiner Angetrauten zu schleichen, um dann mit einem raschen Griff das eine oder andere Fachbuch zu entwenden, heimlich darin zu lesen. Natürlich wurde ihm dabei unheimlich zumute.

Auch als Laie erkannte er in vielen der darin vorgestellten medizinischen Formeln die Beschreibung gefährlicher Wirkstoffe.

Argwöhnisch beäugte er ab nun, was seine Frau an Pflanzen, Säften oder gar undefinierbaren Pülverchen nachhause brachte. Vor allem, weil sie vieles davon zur Zubereitung von Speisen verwendete. Als er getrocknete Wildkräuter im Küchenschrank entdeckte, mutierte dieser blitzartig zum Giftschrank.

Monika, seine Frau, gab es auf, die Küche zu benützen. Sie brachte Fertiggerichte nachhause. Sie hatte keine Lust mehr, ständig einen Fachmann kommen zu lassen, der die fest verschraubten Kastentüren fachgerecht öffnete. Das Fertigessen war nicht besonders gut. Schlechter als dieses war eigentlich nur die Stimmung daheim.

Herbert erkannte in den Schriften seiner Frau die Urheber seines Unglücks. Er begann diese erst zu hassen, dann zu verstecken. Zur Rede gestellt, verstieg er sich dazu, Büchermäuse dafür verantwortlich zu machen, höchst unangenehme Wesen, ähnlich den Leseratten. Hinterhältige Nagetiere, die alles beschriebenen Papier entweder auffraßen oder in ihre dunklen Höhlen zerrten.

Obendrein beschwerte er sich, daß ihm Bücherwürmer schreckliche Alpträume bescherten. So schrecklich, daß er auch nach dem Aufwachen verwirrt umherirrte, nach Wurmvertilgungsmittel schreiend.

In dieser irrwitzigen Phase seines Lebens kam Herbert in Behandlung. Sein Zustand besserte sich tatsächlich. Auch sein Seelenleben stabilisierte sich einigermaßen. Doch noch immer gab es Phasen, da bemerkte Herbert überall Lebensbedrohliches: Im Lesestoff seiner Frau; in Gesprächen, wie sie angehende Apothekerinnen mit ihren Kommilitonen führen; selbstverständlich auch in Flaschen, Dosen, Papiertüten...

Dann kam jene schreckliche Nacht. Am Abend aß Herbert noch das Pilzragout, das Monika für ihn zubereitet hatte. Sie hatte ihm zuliebe sogar frische Wildgewürze gepflückt. Natürlich auch sich zuliebe - sie kannte Herberts seltsame Einstellung zu allem, was in getrockneter Form aufbewahrt ist.

Herbert liebte nicht nur Pilzragout mit frischen Kräutern, er liebte auch seine Frau Monika und zwar über alles. Den Verfolgungswahn liebte er nicht, an dem litt er.

Deshalb bemühte er sich an diesem Abend besonders, dunkle Ahnungen zu verdrängen, welche ihm der Anblick des Pilzragouts bescherte.

Immerwieder rief er sich ins Gedächtnis, daß doch er, jawohl er ganz persönlich, das Pflücken dieser Kräuter überwacht hatte. Mit Argusaugen, selbtverständlich.

Warum also das Misstrauen gegen die ursprünglich so fröhliche, lebenslustige Gefährtin. Ursprünglich deshalb, weil sie neuerdings etwas verhärmt aussah, blaß. Und dieser trübe Blick. - War da was Hinterhältiges zu entdecken? Ja? - Nein. Herbert rief sich zur Ordnung. Monika liebt ihn, das wusste er. Schließlich hatte ihm der Psychoanalytiker genau das immer wieder eingehämmert.

Und dieses Pilzgericht - es roch herrlich, verführerisch. Zu verführerisch.

Vorerst behielten also Appetit und Liebe die Oberhand.

Das Mißtrauen kam erst später, als es dem Herbert etwas eigen zumute wurde.
Nun, in jener Nacht der Nächte kam Monika, Schlimmes ahnend, aus dem Schlafzimmer. Das Rumoren ihres Mannes hatte sie geweckt. Er stand vor dem Küchentisch, ordnete leere Medikamentenschachteln, stapelte sie penibel nach der Größe. Schwer hing der Geruch von Baldrian im Raum.

"Pilzvergiftung", sagte er ruhig, als er ihre Anwesenheit bemerkte. "Du hast mich vergiftet. Wenn ich nur den Grund wüßte. Es war doch alles in Ordnung zwischen uns."

"Du hast alle ...", kreischte Monika, denn sie begriff schlagartig, was die zitternden Hände Herbert's zu bedeuten haben.

"Ja, ich hab sie geschluckt. Alle, die ich gefunden habe", erklärte er mit hämischem Triumph. Schon schloß er die Augen, sackte die Wand entlang zu Boden. "Alle Beruhigungstabletten und die ganze Flasche Baldrian, zum Nachspülen."

"Warum hast du das getan?", heulte sie. "Warum?"
"Damit ich nicht so viel Angst habe, beim Sterben".

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