© der Geschichte: Alessandra Mancinelli. Nicht unerlaubt
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Freitag

Sie ist besser als die dürre Krämer, mehr noch: Sie sieht im Gegensatz zu ihr richtig gut aus, findet Drechsler, während sie sich im Spiegel betrachtet. Ihre Hände gleiten über den Rock, über die ausladenden Rundungen ihres Hinterteils. Einhundertzwanzig Kilogramm Frau. Drechsler grinst und kneift ihre Backen. Sie denkt an Krämers Schreibtisch, an die Tasse Tee, die immer fünfzehn Minuten vor Feierabend dort steht.

Sie wirft noch einen Blick in den Spiegel, zögert, knöpft ihre Bluse soweit auf, bis die Spalte zwischen ihren Brüsten frei liegt. Die Toilettentür lässt sie verschlossen, sie wartet. Horcht. Hört sie kommen. Die Klinke wird herunter gedrückt. Mehrmals.
Drechsler gibt einstudierte Laute von sich, die Klinke bleibt in einer schiefen Position, als würde sie horchen. Durch das Holz ruft die Dürre Worte und Drechslers Wehklage wird lauter. Sie denkt, gleich geht es los und reibt sich die Hände. Die Klinke geht auf und ab, sie rattert wie ihr Locher, wenn sie wie wild all die Zeitschriften durchlöchert und will sie zum Lachen bringen. Sie versucht es in der hohlen Hand zu ersticken, lässt nur Keuchen fliehen und wie leise Schreie aussehen.

Diese verdammte Tür solle sie aufmachen. Bumm. Sofort. Rumms. Sie müsse mal, dringend.
Drechsler sagt nichts, sie hat Zeit und müht sich auf den Boden. Lalala, summdenkt sie und fängt an, ihre Tasche auszupacken. Die halben Hähnchen, in die Kündigung eingewickelte Sandwiches, die Tafeln Schokolade und die Gummibärchentüten verteilt sie auf die schwarzweißen Kacheln. Das Kreuzworträtselheft rollt sie wieder ein.
Bumm.
Erst gestern hat wieder jemand ein Modeheftchen auf ihren Platz gelegt, anonym.
Rumms.
Sie weiß, dass die Krämer das war. Sie weiß es einfach.

Die Klinke rattert wieder. Sie wisse, dass sie da drin wäre, sie solle sofort, jetzt, die Tür aufmachen.
Drechsler schiebt das Hähnchen aus der Tüte und beißt hinein.
Sie würde nun nach dem Hausmeister rufen, droht die Krämer.
Schmattke, der gute alte Schmattke liegt seit gestern mit einer Magen-Darm-Grippe im Bett, weiß die Drechsler und leckt das bräunliche Fett von ihren Fingern. Ob noch Zeit für die Schokolade bleibt? Ja, noch zwei Minuten. Mindestens.
Gleich mache sie sich in die Hose, jammert die Krämer.
Ob sie auf den Flur machen würde, fragt sich die Dicke und schlingt die Schokolade hinunter. Das wäre bitter, wenn sich die Dürre zu früh erleichtern würde. Mühsam richtet sie sich auf, hält sich am Waschbeckenrand fest und hinterlässt dort Schokoladenabdrücke.
Sie wäre nun fertig, sagt sie der Toilettentür.
Langsam dreht sie den Riegel um, es macht leise Klack und als hätte die Krämer nur darauf gewartet, reißt sie die Tür auf und stürmt nach vorne, wird von Drechslers Körper abgebremst und steckt in ihren Brüsten fest.
Auch die haben Zeit.
Viel Zeit.

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