© der Geschichte: Josef Bühler. Nicht unerlaubt
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HSV - Bochum: 1:1

Ich sass vor dem Fernseher und langweilte mich. In der Halbzeitpause klopfte jemand an die Tür. Ich ging hin und öffnete. Ein Mann mit einer zerrissenen Wolldecke über dem Körper und einem Gebinde aus Dornen auf dem Kopf stand da vor meiner Wohnung. "Was kann ich für dich tun?" fragte ich. "Dürfte ich bei Ihnen übernachten, werter Herr, ich weiss nicht, wo ich sonst hin soll." "Bist du besoffen - oder etwa von der versteckten Kamera?" "Bitte helfen Sie mir", jammerte er. "Sind die Bullen hinter dir her?" Er schüttelte den Kopf.
Irgendwie tat er mir ja leid, in seinem Lumpengewand und mit den eiternden Wunden an Händen und Füssen. Ich liess ihn in meine Wohnung. "Aber geh zuerst ins Bad, ich will nicht, dass du mir die ganze Bude versaust." Er sah mich an. Und ich sah zum ersten Mal in seine Augen...
Ohne ein weiteres Wort nahm ich seinen Arm und begleitet ihn in mein Badezimmer. Ich liess ihm Badewasser ein und schüttete ordentlich Shampoo nach. Er stand einfach da und schwieg. Ich nahm die Dornen aus seinen Haaren und zog ihm die Wolldecke aus. Als Unterhose hatte er ein vergilbtes Tuch umgebunden. Ich hütete mich davor, mich daran zu schaffen zu machen. Ich half ihm in die Wanne und reichte ihm die Seife. Danach verliess ich das Badezimmer. Als Bochum bereits die letzte verzweifelte Einwechslung vornahm, stand er plötzlich vor mir. Er war nackt und tropfte mir den Perser voll. Aus Händen und Füssen quoll Blut. In seiner Seite klaffte eine verkrustete Fleischwunde. "Um Himmels willen", rief ich und verpasste prompt den Bochumer Ausgleich. Ich zerrte ihn ins Bad, desinfizierte seine Wunden und verband sie. Während ich das tat, weinte er unentwegt. "Wohl ein HSV-Fan", dachte ich. "Sie kommen aus Hamburg?" Er schüttelte wortlos den Kopf.

Ich holte aus dem Plastiksack der Altkleider-Sammlung eine Bundfaltenhose und ein Hawaiihemd und kleidete ihn an. "Hast du Hunger?" Er nickte. Ich hatte noch ein halbes Hähnchen im Kühlschrank. Dazu machte ich ihm eine von diesen Instant-Suppen, die mir immer misslingen und einen Teller Fertig-Kartoffelstock, mit dem es sich meistens ebenso verhält.
Als ich ihm das Menue auf meinem Schwarzwald-Tablett servierte, fehlte wohl nur noch die Kerze auf dem Tisch und man hätte die ganze Szene für `ne Schwulenkiste halten können. "Hattest du Streit mit deiner Frau?" Er verneinte. Die Suppe schien im tatsächlich zu schmecken. "Woher hast du die Wunden?", fragte ich, als er sich eben über den Kartoffelstock hermachen wollte. "Römer", antwortete er knapp. "Man sollte die dreckigen Gastarbeiter alle rausschmeissen", antwortete ich, "wollen doch nur unser Geld uns unsere Weiber. Und kaum hat man ihnen gegeben, was sie wollen, hauen sie einem Hände und Füsse platt. Eine Schweinerei ist das. SPD sag ich da nur, und Grüne obendrein." Er sah mich an. Er hatte den Löffel neben den Teller gelegt. Beim Blick in seine Augen schauderte mich.
Irgend etwas war mit ihnen. Ich kann nicht sagen, was. Ich schwieg. Er ass weiter. Auf einmal hielt er inne. Ich ahnte, worauf er sah. "Für mich ist er noch immer der Führer", sagte ich. Er stand auf und ging langsam zur Wand. "Und das Kreuz über dem Bild?" "Gott und Vaterland", antwortete ich, "leben und sterben für Gott und Vaterland, so wie sie es damals getan haben." Er fuhr mit seinen Händen vorsichtig über das Kreuz. "Für Gott und Vaterland", murmelte er kaum hörbar. "Hat dein Führer nicht Verderben über dein Volk gebracht. Und hat er nicht Millionen von Juden ermorden lassen?" "Ermorden?" rief ich. "Zum Wohl des Volkes umgesiedelt! Das waren die Italos der ersten Jahrhunderthälfte. Schmarotzer, Verschwörer, Zersetzer von Recht und Moral, sie verdienten den Tod." "Ich bin Jude." "Du bist...?" "Jude!" "Und was willst du hier, Jude?" "Ich bin zurückgekehrt zur Errettung der Menschheit." "Weißt du was, Jude, dann errette die Menschheit ohne meine Hose, ohne mein Hemd und ohne mich." Ich riss ihm meine Kleider vom Leib, warf erst seine dreckigen Lumpen vor meine Wohnungstür und dann ihn. "Und übrigens: den HSV find ich zum Kotzen." Kurze Zeit später sah ich ihn von meinem Fenster aus, wie er langsam über die Strasse stolperte und hinter einer Hausecke verschwand.
Ich sah mir noch die Zusammenfassungen der anderen Spiele an und ging dann schlafen. Auf dem Weg zur Arbeit, kam ich am nächsten Morgen an einer Menschenansammlung vorbei. Polizeiwagen und Typen vom Rettungsdienst standen 'rum. Ich drängte mich in die erste Reihe vor. Und was seh' ich da? Den Juden, wie sie ihn, steif gefroren, in einen Plastiksarg zu legen versuchen. Die Frau neben mir machte ein betroffenes Gesicht. "Das war ein Jude", sagte ich zu ihr. "Was sie nicht sagen, tatsächlich." Beim Weggehen hörte ich es durch die Menge huschen: "das war ein Jude", "ein Jude soll das gewesen sein", "Jude".
Ob ich die Blutflecken wohl wieder aus meinem Perser wegbekomme?

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