© der Geschichte: Ewgenij Sokolovski. Nicht unerlaubt
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Die Tür

Die Tür war verschlossen. Das war sie schon immer. Solange man sich erinnern konnte.

- Mutter, warum darf ich denn die Tür nicht aufmachen?
- Du darfst es nicht, mein Sohn.
- Aber warum denn?
- Weil es verboten ist.
- Aber von wem?
- Von mir.
- Aber wieso?
- Weil es nicht gut ist.
- Hast du die Tür denn selbst mal aufgemacht? Was ist denn dahinter? Warum ist es nicht gut?
- Nein, das hab ich nicht. Und das tue ich auch nie, dahinter ist nur Unheil.
- Aber woher weißt du dann, dass dahinter nur Unheil ist, wenn du diese Tür noch nie geöffnet hast?
- Ich weiß es.
- Du kannst es doch nicht wissen!
- Doch, ich kann es. Mir haben deine Großmutter und dein Großvater davon erzählt.
- Haben sie denn diese Tür je aufgemacht?
- Um Gottes willen, nein! Ich sag dir doch, da ist nur Böses hinter dieser Tür, niemand macht sie auf.
- Kennst du denn überhaupt jemanden, der diese Tür irgendwann mal geöffnet hat? Und davon berichtet?
- Also hör mal jetzt, du gehst mir wirklich langsam auf den Geist. Niemand hat diese verdammte Tür je aufgemacht und niemand wird das je tun. Ist das denn nicht klar genug? Da sind wirklich sehr böse Sachen dahinter. Niemand will sie wirklich öffnen.
- Doch, ich will es.
- Du bist noch ein Kind, du verstehst das alles noch nicht.
- Mutter, wir sind doch sehr arm. Vielleicht verbirgt sich ein Schatz hinter dieser Tür. Du kannst es doch nicht wissen! - Und zum zehnten Mal sage ich dir - da ist nichts Gutes hinter dieser blöden Tür!!! Sonst würden die Leute nicht so über sie reden. Das sagen sehr weise, alte Leute. Nicht so wie du und auch nicht so wie ich.
- Aber vielleicht irren sie sich doch. Vielleicht ist da nichts Böses dran. Niemand von denen hat doch je ein Blick hinter die Tür geworfen. Lass mich doch machen. Ich öffne sie nur ganz kurz. Nur ein Spalt offen. Und sofort wieder zu. Ich will doch nur ganz kurz gucken, was dahinter ist.
- Nein, du tust es nicht! Und lass mich jetzt mit deinen dummen Fragen in Ruhe. Und wehe, ich sehe dich noch einmal vor dieser Tür! Sonst versohle ich dir so den Arsch, dass du noch eine Woche lang nicht mehr drauf sitzen kannst! Ist das jetzt klar?
- Ja, Mutter.

Die Tür blieb verschlossen. Langsam vergaß der Junge seinen großen Wunsch. Er wollte sie gar nicht mehr öffnen. Es gab doch so viele andere Sachen zu tun. Und außerdem sagten alle, mit denen er gesprochen hat, dass man diese Tür unter keinen Umständen aufmachen sollte. Die Mutter schien doch recht zu haben. Er war derjenige, der Unsinn geredet hatte.
Und nach etwa zwanzig Jahren, hat sein eigener Sohn ihn gefragt, ob er die geheimnisvolle Tür Mal aufmachen dürfe.
"Nein" - sagte er, auf keinen Fall - "da ist nur böser Unheil dahinter".

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