von Thomas Kohlschmidt

Action, Action, Action!
So präsentieren sich uns heute die meisten Fernsehfilme , -Serien und Kino-Spektakel.
Wo unser Blick hinfällt, übertreffen sich die Medien mit noch bunteren, noch schrilleren und noch provokanteren Themen. Das färbt natürlich auch auf die Buch-Szene mit ihren Geschichten ab.
Manchmal scheint es mir, nur noch das hat Erfolg, was einen gehörigen Blut-, Ekel- und Nacktpopo-Faktor hat. Oder was zumindest so geschmacklos ist, dass es tatsächlich noch mal was neues ist.
Wem nichts mehr einfällt, der karikiert den ganzen Wust (Erstaunlich, wie viel Comedy das plötzlich überall gibt. Als ob zynisches Ablachen die letzte Notwehr der in die Enge getriebenen Kreatur ist).
Sicherlich ist unsere überreizte Zeit schnell und verführerisch.
Ich gebe ja zu, dass ich auch ganz gern mal "Stirb langsam 5" sehe oder "Heiße Miezen erobern Transsilvanien" lese, aber irgendwann, nach dem 1000sten Toten und gefangen im Wald nackter Brüste kommt mir doch noch so was wie Langeweile und ein Gefühl von Leere hoch.
Und dann geht sie los, die Suche nach dem ´Film mit Niveau´ und dem ´guten Buch´.
Aber was ist das eigentlich, was uns da im Strudel der Eindrücke oft fehlt?

Wenn wir uns die Drehbücher und Konzepte der heute erfolgreichen Filme und Bücher ansehen, dann scheint mir die ganze Landschaft zwischen zwei Polen aufgespannt zu sein:
Auf der einen Seite des Spektrums finden wir die überstylten Handlungen, die viel auf Action, markige Sprüche, heftigsten Symbolismus und bis zur Karikatur überzeichnete Figuren setzen. Da trifft der ´ausgebrannte Cop´ auf ´die Nutte mit Herz´. Das alles natürlich an bizarren Schauplätzen.
Hier geht es um vordergründige, sinnliche Unterhaltung, um eine Art Feuerwerk in Bild und Sprache.
Das kann ganz nett sein, aber eben meist auch nicht mehr.
Wenn die Funken verglüht und die Kracher verklungen sind, bleibt nur kalter Rauch.
James Bond hat uns zwar geschüttelt und gerührt, aber nicht berührt.

Auf der gegenüberliegenden Seite des erzählerischen Regenbogens gibt es Geschichten, die oftmals fast ohne Handlung auskommen. Es sind Stillleben, die ruhig und übersichtlich, fast suggestiv auf ein Thema konzentriert sind.
Viele dieser Texte sind keineswegs langweilig und das mag überraschen.
Kennt Ihr das nicht auch? Ihr seid von einem Film/Text total begeistert, versucht einem Freund davon zu erzählen und der fragt; "Was passiert denn da?"
Wenn ihr es dann erzählt denkt ihr mittendrin "Nein, die Handlung hört sich doch total banal an. Verdammt, aber das Werk ist trotzdem fantastisch! Wie erzähle ich es bloß?"
Ich habe lange drüber nachgedacht, was ein Werk wie z.B. Leo Tolstois ´Anna Karenina` oder auch Liedertexte von Stephan Sulke so faszinierend machen.
In beiden Beispielen geht es meistens um unerfüllte oder erfüllte Liebe, um Angst, Wut, Hilflosigkeit, Hoffnung, Verzweiflung und Sterblichkeit.
Es geht um das, was wir - trotz all unserer Unterschiede als Individuen - gemeinsam haben, um ´das Menschliche`. Ich denke heute, dass uns solche Texte/Filme/Lieder deshalb so packen, weil sie uns in die Seele greifen. Jenseits der Sinne und jenseits des vordergründigen ´Hier und Jetzt` blicken sie in Mechanismen der Welt, die immer wahr sind. Sie fangen ein Stück von dem ein, was alle Philosophen der Welt stets zu erfassen versuchten: Die Existenz des Menschen.
Wenn also bei ´Anna Karenina` die Figuren aneinander leiden, dann liest sich das einfach herz-zerreissend. Oder wenn Sulke von ´Lotte´ und einer gescheiterten Ehe singt, könnte man das Heulen kriegen, genauso, wie man bei ´Mensch, Johnny`, wo er nach Jahren einen alten Freund wiedertrifft, die ganze explosive Freude spürt, die so eine schöne Überraschung in Menschen auslöst.
Wenn das dann noch kunstfertig in treffende Worte und Sätze gegossen wird, entsteht ein Zauber, der die Zeilen durchweht und einen Schauer auslöst. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes ´ergriffen`.
Und so was ist für mich dann tausendmal intensiver und prickelnder, als die ganze Beate Uhse-Weihnachts-Edition.

Ich glaube, gute Autoren können uns ihre Figuren so plastisch, so ehrlich gefühlvoll und verloren tapfer gestalten, dass wir das Drama unserer Existenz verstanden fühlen.
Der hektische Alltag mit all seinen Seifenblasen und Fanfaren mag uns oft den Kopf und das Herz verdrehen, aber hinter dem Getöse und in Momenten der Stille, in denen wir dann ja zum ´guten Buch` greifen, da steigen uns all die ungelösten Rätsel der Welt und der Seele an die Oberfläche unserer Wahrnehmung. Wenn es einem Autoren gelingt, solche Wirrnisse und Empfindungen einzufangen und sprachlich präzise zu schildern, dann ist das eine Offenbarung.
Dazu müssen sich Technik, Sprachkraft und Blick für den Menschen harmonisch treffen.
Und dazu wiederum braucht es wohl eine Menge Lebenserfahrung.
Man sagt ja, dass Gleiches Gleiches erkennt.
Um andere Menschen zu erfahren, muss man demnach sich selbst gefunden und erlebt haben.
Stil und Technik sind Werkzeuge, deren Einsatz wir üben können.
Das Feeling für den zu bearbeitenden Urstoff aber, das zu erwerben bedeutet das Leben zu leben.
Wie heißt es so schön in einem Song der ´Carpenters`: "Die besten Liebeslieder schreibt man mit gebrochenem Herzen."
Das klingt hart, ist aber wohl wahr.
Ein guter Autor muss das Entzücken und Leiden aus eigener Erfahrung in sich tragen. Nur dann kann er es in Geschichten über Figuren spürbar machen und fesseln.
Die ´guten Geschichten´ sind dann Protokolle unserer Suche nach Wahrheit über uns und die Welt.

Nun mag man einwenden, dass viele Stillleben-Geschichten grottenöde und langweilig sind. Dass ungelenke Figuren und hölzerne Dialoge das Lesen zur Qual machen. Dass der sogenannte ´Sinn´ der Story, ihre Moral und Lehre, viel zu dick aufgetragen wurden, sodass es einen ekelt.
Ja, solche Werke gibt es natürlich in Hülle und Fülle. Da hat der Autor nicht die Balance gefunden, keinen guten Rhythmus erzeugt oder beherrschte Stil und Wortwahl nicht.
Meistens aber verstand er nicht genug von Menschen und könnte sie nicht sensibel und einfühlsam schildern.
Hier sehen wir es wieder:
Wir müssen unbedingt selber leben lernen.
Wenn wir als ´Literaten´ in weltfremden Zirkeln weitab von den Jahrmärkten, Kneipen, Bahnhöfen, Krankenhäusern, Puffs und Kaufhäusern residieren, dann werden unsere Texte zwar klug und gedrechselt sein, aber niemals mitreißen.
Wir müssen unter Menschen.
Schreiben verbessern heißt dann eben auch oft, den PC auszuschalten, alle Ratgeber zuzuklappen, die Seminare zu verlassen und in der Kneipe nebenan einen Saufen zu gehen.
Aber auch das gilt es sicherlich nicht zu übertreiben (Sprachkraft und Stil leiden doch erheblich, nach 8 Bier). Es kommt eben auf die Balance an.

Und so tummeln sich zwischen den Polen ´Sex and Crime` und ´Tiefer Menschlichkeit´ die besten Geschichten in Richtung Tiefe. Wenn es uns gelingt, ur-menschliches zu erfassen, dann hat die Geschichte Substanz und Tragkraft. Mit einem nicht zu übertriebenen Schuss Handlung (Action´), wird das Ganze dann gut ´verkauft`.
Interessanterweise aber ist die Handlung gar nicht so wichtig.
Tolstois ´Anna Karenina` ist 1000 Seiten dick, und die Handlung ließe sich in wenigen Zeilen sagen. Die Wirkung des Werkes aber ist für mich unbeschreiblich.
Ich habe den Roman schneller durch gehabt, als so manches Krimi-Heft vom Bahnhofs-Kiosk.
Und ich werde ihn nie vergessen!

Zu Anfang der Autorenlaufbahn denken wir oft: "Man, welche Geschichte wurde noch nicht erzählt. Was ist originell?"
Und wir konstruieren wild drauf los, nur um Haken zu schlagen, die alle verblüffen.
Das mag teilweise als Würze des Ganzen gut sein, aber im Grunde ist der Kern des Schreibens glaube ich ein anderer:
Das Leben selbst: seine Größe, seine Erbärmlichkeit, sein Drama.
Und es ist so schwer, das zu beschreiben.
Das ist halt die Kunst, die es zu lernen gilt. -

(Und jetzt geh ich einen heben!)

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