|
Sieben
Tage im August - die Flut in Dresden
ein Bericht mit ganz persönlicher
Sichtweise
von Susanne Fischer
Wenn ich heute an diese eine Woche zurückdenke, sie
noch einmal durchfühle, muß ich unweigerlich an einen Albtraum denken,
in dem wir heute noch manchmal gefangen sind:
So bald es stärker regnet und es so scheint, als
wolle es nicht mehr aufhören, kommt die Angst, dass es wieder geschehen
könnte. Das wieder Pegelstände unaufhaltsam steigen und wir unserer eigenen
Ohnmacht ausgesetzt sind.
So wie an jenen Tagen im August 2002.
Montag, den 12.08.2002
Es regnete schon seit Tagen, ich mußte an dem Tag nach Radebeul, die Nachhausefahrt
gegen 16.00 Uhr, die sonst eine dreiviertiel Stunde dauert wurde zur einer
dreieinhalb Stundenfahrt. Es regnete und es war gespenstisch über die
Brücke zu fahren, allein dafür brauchte ich eine dreiviertel Stunde.
Die
Eisenbahnbrücken von Friedrichtstadt standen schon unter Wasser und ich
musste umdrehen und eine andere Strecke nehmen.
Als ich dann endlich zu Hause war, brachte ich meine Tochter mit Ihrem
Freund zur S-Bahn. Ihr Freund rief mich halb neun abends an und berichtete,
dass die beiden mit der letzten S-Bahn gerade noch in Freital angekommen
waren. Sie wurden bis zum Haus begleitet, denn man befürchtete, dass die
Talsperre Malter nicht mehr lange standhalten würde. Es waren die ersten
Vorboten der Flut.
Ich konnte an diesem Abend nicht wissen, dass ich meine Tochter erst eine
Woche später wiedersehen würde - in ihrem Wesen verändert und den Albtraum
schrecklicher Nächte mit sich tragend. In dieser Nacht brach die Flut
in Freital ein.
Dienstag, den 13.08.2002
Die Elbe stieg immer weiter an. Trotzdem fuhr ich auf Arbeit. Unter uns
herrschte Beklommenheit und eine Angst, die man kaum beschreiben kann.
Gegen Mittag schickten man alle nach Hause, die auf der anderen Elbseite
wohnten.
Der Pegelstand erreichte 6,50 m.
Kurz zuvor hatte ich mit meinen 8jährigen Sohn am Telefon gesprochen.
Er hatte Angst, dass ich es nicht schaffte, nach Hause zu kommen und so
fuhr ich schneller, als erlaubt. Noch am selben Tag sperrte man teilweise
die Brücken ab. Die Stadt war zweigeteilt.
Meinen Sohn konnte ich an diesem Tag glücklich in die Arme schließen.
Doch was war mit meiner Tochter? An diesem Abend wartete ich vergeblich
auf ein Lebenszeichen von ihr. Ich wußte nur, dass Freital von dem Fluß
Weißerritz überflutet war.
Mittwoch, den 14.08.2002
Die
Schulen wurden geschlossen und ich wartete mit meinem kleinen Sohn zu
Hause auf das Ende der Flut. Wir wohnen weit weg von der Elbe und so hoch,
dass das Wasser nicht zu uns kam.
Es war eine Aussicht, die irgendwie seltsam war. Eine ganz andere Welt.
Heil und unzerstört. Das Leben ging hier weiter, als würde es die Flut
gar nicht geben, obwohl sie mitten in der Stadt war.
Auch in einem anderen Punkt manifestierten sich zwei Welten: die einen
kämpften bis zum umfallen gegen die Wassermassen und andere sonnten sich.
Ich wollte gerne helfen. Doch allein mit meinen Sohn, mußte ich in erster
Linie für ihn da sein.
Ich war an diesem Mittwoch innerlich zerissen - genauso wie die Stadt.
Ich war an diesem Mittwoch aber auch die wohl glücklichste Mutter: Meine
Tochter meldete sich aus Freital. Sie hatte die Flut überlebt.
Donnerstag,den 15.08.2002
Die Pegelstände stiegen weiter an. An manchen Stellen flußabwärts konnte
man sie gar nicht mehr messen.
Wärenddessen herrschte das Chaos in der Stadt: an vielen Stellen gab es
keinen Strom mehr, die Telefonnetze brachen teilweise zusammen, ebenso
wie die Kabel für das Fernsehen. Menschen wurden abgeschnitten von jeglicher
Information.
Ich konnte das alles am Fernseher mitverfolgen und ich hoffte, dass das
Wasser endlich sinken möge.
Freitag, den 16.08.2002
Noch immer stieg das Wasser und noch immer drangen die pausenlosen Sirenen
von Krankenwagen und Feuerwehr zu uns.
Da
wir in einer von der Flut unberührten Gegend der Stadt wohnten, nahm der
Verkehr und damit das Chaos was dieser auslöste, immer weiter zu.
Am Ende des Tages konnte ich die Sirenen einfach nicht mehr hören, sie
verstärkten die Angst - trotzdem nahmen sie auch an diesem Tag nicht ab.
Ich wartete wie am Tag zuvor - wartete wie hunderttausend andere Menschen
auch, dass das Wasser endlich sinkt.
Samstag, den 17.08.2002
Endlich: Die Flut stieg nicht mehr und ging langsam zurück.
Inzwischen hatte ich schon öfter Kontakt zu meiner Tochter, sie war in
Freital geblieben und half dort bei den Aufräumungsarbeiten. Sie wollte
in den letzten Tagen nicht nach Hause, trotzdem man nach Dresden fahren
konnte, wenn auch nur auf Umwegen.
Ich beschloss, meine Tochter am nächsten Tag zu holen.
Sonntag,den 18.08.2002
Da
die Brücken zerstört waren, konnte ich nicht gleich nach Freital. Eine
Frau half mir, sie wußte, dass eine Brücke noch stand. Gemeinsam mit ihr
suchte ich das Haus, wo meine Tochter und ihr Freund gewohnt hatten.
Als ich in Freital ankam, war es totenstill und ein merkwürdiger Geruch
lag in der Luft. Das schwüle Wetter tat dabei noch sein übriges. Was ich
hier sah, konnte ich nicht fassen. Nur einen Gedanken hatte ich: Das ist
wie nach einem Krieg.
Die Straßen waren aufgerissen, wie nach einen Erdbeben. Die Häuser bis
zum Erdgeschoss voll Schlamm. Menschen karrten den stinkenden Morast und
was von ihrem Hausrat übriggeblieben war, auf die Straße.
Es fehlen mir die Worte, das alles wiederzugeben.
Am Sonntagabend war dann meine kleine Familie wieder komplett, das Wasser
floß langsam ab und es wurde Zeit, wieder in den Alltag zurückzukehren,
denn ich konnte am nächsten Montagmorgen wieder auf Arbeit fahren.
Dort wartete dann eine Überraschung der besonderen Art, die man gar nicht
weiter zu kommentieren braucht: wir mußten begründen, warum wir bei einen
Pegelständen von 8,50 m bis 9.50m nicht auf Arbeit erschienen sind...
Es regnet wieder. Aber ich denke jetzt auch an jenes
Zusammengehörigkeitsgefühl, dass jahrelang nicht mehr existent war. Das
so schnell wie die Flut kam. Und ich hoffe, dass es nicht so schnell gehen
wird wie diese.
Denn es ist noch nicht vorbei, wenn auch das Wasser längst abgeflossen
ist. Noch immer gibt es Familien und Betriebe, die vor den Ruin stehen.
Noch immer sieht man die Spuren, welche die Flut hinterlassen hat: selbst
hier mitten in Dresden.
Noch immer gibt es Menschen, die helfen - ein Anlaß zur Hoffnung.
Susanne am 3. Oktober 2002
Kommentar von Gabi:
Jeder von uns war betroffen, auch wenn er nicht die Auswirkungen der Flut
am eigenen Leib gespürt hat. Ich erinnere mich noch genau an diese Woche
im August, als ich meine Schwester und Eltern erst nach mehren Stunden
mit Netzüberlastung bzw. -ausfall telefonisch erreichen konnte. Ich sah
die Bilder meiner geliebten Heimatstadt, die immer weiter in den Fluten
versank und noch heute kommt mir dies alles unwirklich vor.
Deshalb danke ich an dieser Stelle meiner Schwester für ihren Bericht
und auch den Fotografien, die sie dazu mitgeschickt hat.
Bald werde ich in diese Wirklichkeit fahren - ich weiß, dass ich nicht
mit der Bahn nach Dresden fahren kann, dass ich die Stadt verändert vorfinden
werde. Doch ich freue mich, meine Lieben wiederzusehen - das ist alles,
was ich mir in diesen Wochen am meisten gewünscht habe.
Wer helfen möchte, dem sei dieser Link empfohlen. Man brauchte nicht unbedingt
finanzielle Mittel, um das zu tun:
Viele helfen vielen
zurück
|
|