"Rons Welt. Roman einer Zukunft."

von Marianne Thiele

Berlin: Frieling, 2000.

Marianne Thiele. - Rons Welt. Roman einer Zukunft.Wir schreiben das Jahr 2150. Nichts Neues, wieder einmal sind George Orwells Albträume wahr geworden. Unser blauer Planet ist in weiten Teilen unbewohnbar, das zivilisierte Leben hat sich nach "Terra" unter eine Kunstglaskuppel zurückgezogen. Der elementare Austausch wird von einer Technikerriege per Biofiltern geregelt. Innerhalb Terras gibt ein Zufallsgenerator Befehle, welchen der Bewohner das System für je vierundzwanzig Stunden lückenlos überwacht. Wer mehr als einmal Mist baut und dabei gescannt wird, der fliegt raus. Nur mit Streichhölzern, Medikamenten und einer Decke versehen, muß er auf der "Alten Erde" eine Extrem-Survivaltour unternehmen. Überlebt er die einen Monat lang und ist pünktlich wieder am Gatter, darf er nach Terra zurück.
Wie durch die Glaskuppel physisch, so hat sich Terra auch psychisch von seiner Vergangenheit getrennt. Gewalt, besonders die in den alten Büchern und Filmen, heißt es, verroht. Was für uns zum Bestand der Weltliteratur oder den bleibenden Erfolgen Hollywoods zählt - Grimmelshausens Kriegserlebnisse, Grimms Märchen, Spielbergs "Der Soldat James Ryan" -, gibt es in Terra deshalb nur noch in einer Sammlung der Drei Weisen, welche allein für Forschungszwecke genutzt werden darf. Der einzige vehemente Gegner des Beschlusses, Professor Layhausen, ist vor einem Jahr verschwunden - wie man vermutet mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit.
Trotz besten Wissens und Gewissens, trotzdem das System reibungslos läuft und die Weisen-Regierung Durchsetzungskraft besitzt, nimmt die Gewalt in Terra aber ständig zu. Besonders die Jugend rebelliert. Sie versteht den Sinn der vielen Regeln nicht, sie logt sich nicht in ihre Unterrichtslektionen ein und sie vernachlässigt die pädagogisch wertvollen, elektronischen Haustiere. Weil Terras eigene Zukunft damit auf dem Spiel steht, wird Ron, der Sohn Professor Layhausens beauftragt, seinen Vater in der Vergangenheit zu suchen.

Trotz des gelungenen Konzepts ist Rons Welt als Roman eher enttäuschend. Ob durch Bücher, Filme oder eine Zeitreise, in all ihren Facetten muß Vergangenheit hautnah erlebt werden, will man aus ihr für die Gegenwart lernen. Gemäß dieser Moral sind Ron und seine Mitstreiter zwar gut positioniert, doch aufs Gesamt wirken sie eher wie programmgesteuerte Verkörperungen denn wie lebendige Menschen. Was Rons Welt lesenswert macht, sind allein sein gedankliches Fundament und einzelne Einfälle. Wer zum Beispiel hätte gedacht, daß in der Zeit zwischen unserer Gegenwart und derjenigen Terras Straftäter weltweit verschickt werden, um in Straflagern den Wiederaufbau von Katastrophengebieten zu leisten? - Schlamm, der sich dort wie Erbrochenes die Hänge herunterwälzt, ein vom Bulldozer abgefahrenes Bein in einer Pfütze, Dreck dieser Art auch an den Computern Terras, und im Vordergrund von all dem Menschen - dann hätte Rons Welt wirklich gehabt, was ein spannender Roman zum Leben braucht.

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

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