"In der Ferne zitternde Häuser"

von Jürgen Theobaldy

Heidelberg: Wunderhorn, 2000.

Wer selber schreibt oder geschrieben hat, wer ahnt, was ein Erfolg in der Gegenwartsliteratur bedeutet, wer, gleichgültig in welchem Beruf, die Unsicherheit kennt: der Anerkennung zustimmen oder nicht?, der wird in Jürgen Theobaldys Erzählungen etwas von sich wiederfinden. Hier ist einer, der nein gesagt hat zum Literaturbetrieb, vielleicht, um sich nicht von Lesung zu Lesung zu verlieren, sicher aber, um das Erzählte niemals vom Privaten trennen zu müssen, sondern die Sprache mit Haut und Haar, den Fasern alles Erlebten auf die Spitze zu treiben. Der Preis dafür? Theobaldy sagt auch das wunderbar: Ich, "der mitternächtige(.) Vogel, der nun die Flügel unter die Achseln schiebt, vorsichtig, um sie nicht zu brechen, ausharrend in den Jahren der Mißachtung, noblen Jahren angesichts dessen, was ein früher, kaum erhoffter, stets auf einem Mißverständnis gründender und bald angefochtener Erfolg mit sich bringen kann, den Verlust der Unbefangenheit, den Bruch des eigenen Rhythmus durch die Einladungen, mitzumachen..."

Nein, niemals bricht dieser Autor mit sich selbst, in keinem Wort, keinem Satz, keiner Erzählung. Stets steht nur er selber im Vordergrund, und dahinter, über der Ebene, heiße Luft, eine bleiche Sonne vielleicht, und in der Ferne zittern, flimmern die Häuser sowie sämtlich jene Ereignisse, die fern sind von diesem Meister der Feder.

Wie das Resultat einer Abtastung mit Antennen liest sich denn auch "Stürmisch bewegt", eine Collage aus Phrasen und Erinnerungen zur 68er-Bewegung. Wie eine Posse in Distanz zum Ich erscheint die "Begebenheit", geschrieben anläßlich einer Bahnfahrt und eines Wirtshausbesuches in München.

Warum es irritierend, verstörend sein muß, wenn während einer Verliebtheit die Ferne näherrückt und die Dinge fest, unverzerrbar werden, so daß zuletzt bloß die Wiederholung bleibt, schildert "Bis demnächst, vielleicht, im Dunkeln".

Und so sind alle Erzählungen dieses Bandes Fahrten aus der Blockliteratur, Fahrten mit Gesicht, wie sie laut Theobaldy in "Sattelfest" nur auf dem Fahrrad möglich sein können: "Radfahren öffnet die Pupillen, während das Autofahren sie verengt und dich am Steuer zu einem getriebenen Bewältiger des Daseinskampfes macht ..." - Daß auch dieser Kampf Gegenstand einer Erzählung sein kann, entgeht dem Autor dabei mit kraftvoller Leichtigkeit.

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

zurück