... und morgen wird alles anders. Autobiographie einer Frau, deren Mutter am sogenannten Vermüllungssyndrom leidet.

von Vera König.

Frankfurt: edition fischer, 2000.

Sie horten im Überfluß, was für andere das Chaos ist. Sie können sich von nichts trennen. Sie sind Sammler aus bisher kaum geklärter Leidenschaft. Die Rede ist von den "Messies", jenen Menschen, die alles wie einen Schatz hüten, was ihnen ein einziges Mal durch die Hände gegangen ist. Vera Königs Erklärung für die Ursache dieses Syndroms ist einfach: Nicht etwa hat ihre Mutter - das wäre vorläufig These der Wissenschaft - ihr Verhältnis zum Müll als Ersatz für soziale Beziehungen genommen, sondern sie ist als Nachzüglerin einer Familie, in der durch die älteren Geschwister alle häuslichen Pflichten erledigt wurden, zu einer Frau herangewachsen, die es auch später niemals gelernt hat, in den eigenen vier Wänden die einfachsten Dinge zu verrichten. Und sei es, eine leere Konservendose in den Mülleimer zu werfen und den Eimer, wenn er voll ist, im Hof in den Container zu leeren.

Nach der frühen Scheidung findet Veras Mutter Arbeit in einem Unternehmen, das ihr eine Betriebswohnung stellt. Gewissenhaft im Job, doch überfordert im Privaten, beginnt sie zuerst in der Küche Müllsäcke zu stapeln, um bald darauf im Wohnzimmer einfach "fallen" zu lassen, was sie momentan nicht mehr braucht. Als die Säcke schließlich den Flur blockieren, ergeht an Vera das Verbot, auf einige von ihnen zu treten, da diese "sonst zu platzen drohten und irgendeine schimmelige Brühe austreten konnte." Zunehmend strikter wird Vera dazu erzogen, in den eigenen Wänden das Unnormale für normal zu halten, während nach draußen der Schein gewahrt bleiben muß. Als der Müll auch im Schlafzimmer überhand nimmt, beginnt die Mutter mit der Tochter im einzig noch sauberen Kinderzimmer im selben Bett zu übernachten. Entdeckt wird die unheimliche Halde erst bei Veras Kommunion. Ihre Tante, jene Schwester, die auch im Haushalt der Großeltern die Hauptaufgaben übernommen hatte, startet eine Großreinmachaktion. Die Mutter kocht für Vera ein Essen, um sich zu entschuldigen. Doch eine Woche später ist alles beim alten. Mit ausgiebigen Besuchen tyrannisiert die Mutter nun Bekannte, um ihre Flucht vor dem Müll weiter fortzusetzen. Zu den verblüffendsten Szenen des Buches gehört wohl jene, als sie von Vera mit ihrem Liebhaber entdeckt wird - bei sich zu Hause mitten im Dreck. Auf dem Küchentisch findet zu dieser Zeit gerade noch die "täglich gebrauchte Kaffeetasse Platz, die schon - wie vieles andere - seit ewigen Zeiten nicht mehr gespült worden war. Außerdem standen dort die häufig benötigten Nagellackflaschen, der Nagellackentferner, ihre dreckige Thermoskanne und leere Benzinflaschen, mit denen sie ihre Feuerzeuge auffüllte ..." Zwischen Tüten und Zeitungen liegen auf einer Matratze "die beiden in trauter Zweisamkeit und schauten Fernsehen." Erstmals blitzt auf, warum das Urteil Veras über ihre Mutter unerbittlich hart ausfallen muß. Mit ihrem Ordnungsempfinden alleingelassen, ist Vera gezwungen sich all jenes zu erkämpfen, was selbst in den meisten Problemfamilien eine Selbstverständlichkeit ist: regelmäßige Mahlzeiten, saubere Wäsche und ein frisch gemachtes Bett. Daß dieser Kampf einhergeht mit Überreaktionen, psychosomatischen Krankheiten sowie der schrittweisen Demontage des Verhältnisses zur Mutter, zeigt die Biographie sehr eindrucksvoll. Ihr zufolge scheint es fast unausweichlich, daß die Bilanz schließlich lautet: Je tiefer der Graben zwischen Mutter und Tochter in Zukunft sein wird, desto besser für Vera. Denn nur ohne die Mutter kann sie dauerhaft in Ordnung und Frieden leben. Allein um das Bild zu vervollständigen wäre ein neutrales Nachwort doch angemessen gewesen. Dort könnte skizziert werden, wie die Messies selber ihr Leiden erleben.

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

 

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