Das Unsterblichkeitsprogramm

von Richard Morgan

Willkommen in einer schönen neuen Welt. Der Tod hat keinerlei Bedeutung mehr. Alle Menschen tragen per Gesetz sogenannte "Stacks" im Gehirn, die das komplette Bewußtsein speichern. Stirbt jemand, so wird das Bewußtsein aus dem Stack heruntergeladen, womit der Tote im Handumdrehen wiederbelebt wird. Allerdings können sich nur Reiche Klone ihrer eigenen Körper leisten. Alle anderen müssen mit den Körpern vorlieb nehmen, die gerade vorhanden sind. Körper von Sträflingen z.B., deren Bewußtseine für Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte virtuell eingekerkert werden und die keinerlei Anspruch mehr auf ihre leibliche Hülle erheben können. In einigen hundert Jahren trägt man Körper wie heute Anzüge.

Und so wacht der eben noch auf einem Kolonieplaneten bei einer illegalen Aktion erschossene Takeshi Kovacs unvermittelt in einem fremden Körper in San Francisco auf. Er findet sich aus einem bestimmten Grund auf der Erde wieder: Kovacs soll im Körper eines verurteilten Polizisten den vermeintlichen Selbstmord eines jahrhundertealten Superreichen aufklären. Auftraggeber ist niemand anderes als der Tote selbst, der längst wieder in einem neuen Klon steckt, nur daß ihm eben genau jene Erinnerungen fehlen, die er bräuchte, um herauszufinden, ob beim angeblichen Selbstmord nicht vielleicht doch jemand anders seine Finger im Spiel hatte. Stellt sich nur noch die Frage, warum ausgerechnet Kovacs für diesen Fall ausgesucht wurde…

Richard Morgans Debutroman "Das Unsterblichkeitsprogramm" nimmt sich eines zwar nicht sehr neuen, aber immer wieder interessanten Themas an. Doch anstatt sich in philosophischen Fragen zu ergehen und den Konflikt der Identitätsfindung auszuloten, ist die Geschichte eher eine lupenreine Detektivgeschichte geworden, die ihren Helden wie in den amerikanischen Vorbildern in eine Geschichte aus Sex, Gewalt und dunklen Geheimnissen stolpern läßt.

Garniert wird das ganze mit ein wenig Bladerunneratmosphäre. Heraus kommt ein Roman, der zu unterhalten versteht, der immer wieder auch Spannung erzeugt. Und doch fragt man sich beim Lesen immer wieder, warum gewisse Gewaltakte derart explizit geschildert werden müssen, oder warum die Sexszenen in allen Details ausführlich beschrieben werden, wenn es doch die Handlung als solches nicht vorwärts bringt.
Interessant ist die Frage nach der Rollenverteilung zwischen Körper und Bewußtsein. Morgan bezieht konsequent Haltung und entwirft eine erschreckende Vision einer Zukunft, in der es passieren kann, daß man auf der Straße den Körper eines geliebten Menschen trifft, der gerade im Cybergefängnis sitzt, während irgendein Neureicher den Körper spazieren führt.

Und doch ist genau diese Thematik auch ein kleiner Schwachpunkt in einer ansonsten gelungenen Story: denn Morgan reißt das Thema nur an, ohne es wirklich zu vertiefen. Viele Fragen bleiben offen und einige Dinge ergeben bei längerem Nachdenken keinen Sinn: in einer Welt, die keinen Tod mehr kennt, in der Menschen stets wiederkehren und doch immer wieder Nachwuchs zeugen, sollte es eigentlich ein furchtbares Überbevölkerungsproblem geben. Morgan schneidet das Thema nicht an, sondern entzieht sich der Problematik, indem er andeutet, daß nach einer gewissen Zeit viele Menschen einfach nicht mehr leben wollen, und sich permanent in Datenbanken einlagern lassen, um allenfalls bei Familienfesten kurzzeitig wiederbelebt zu werden. Auch die Frage nach einer Seele bleibt unbeantwortet. Morgan berührt dieses Thema ebenfalls nur am Rande eigentlich, ohne es tiefer zu beleuchten. Kann man einen Menschen tatsächlich in allein Einzelheiten elektronisch speichern, ohne dabei etwas zu verlieren?

Besonders interessant wird es, wenn Richard Morgan seine Charaktere sich verdoppeln läßt, wenn Kopien einer Person angefertig werden, die nun ebenfalls leben und von sich behaupten, die wahre Person zu sein. All das hätte Stoff für einen großartigen Science Fiction Roman gegeben, der sich mit Fragen der Identität und des Bewußtseins auseinandersetzt. Stattdessen dient das futuristische Setting oft nur als Kulisse für einen, in letzter Hinsicht recht konventionellen, Krimi um viel Sex und noch mehr Gewalt, der die wirklich spannenden Dinge nicht tiefer ausführt.

"Das Unsterblichkeitsprogramm" ist somit gute Unterhaltung mit einigen hochinteressanten Ideen geworden. Es hätte noch viel mehr sein können, wenn der Schwerpunkt nicht so sehr auf die Action- und Gewaltelemente gelegt worden wäre. Immerhin animiert das Buch in seinen besten Momenten zum Nachdenken. Und jeder kann für sich selbst entscheiden, ob die bei Morgan beschriebene Form der Unsterblichkeit wirklich so erstrebenswert ist.

Leider ist die deutsche Übersetzung ein wenig mißlungen. So liest man etwas von einem "pneumatischen (Frauen)Körper" oder an anderer Stelle von "pneumatischen Brüsten". Dem Übersetzer war offenbar nicht geläufig, daß das englische "pneumatic" im Zusammenhang mit Frauenkörpern nicht etwa "pneumatisch", sondern "kurvenreich" bzw. "üppig" bedeutet. Einige Sätze klingen dazu etwas holprig formuliert und ein paar Druckfehler, die vermeidbar gewesen wären, helfen auch nicht unbedingt beim Lesefluß. Wer es kann, sollte sich deshalb lieber der englischen Originalausgabe "Altered Carbon" widmen.

[geschrieben von Thomas]

 

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