"Das Jesus Video"

von Andreas Eschbach

Andreas Eschbach gilt als großes Talent der deutschen Phantastik. Sein Roman "Das Jesus Video" hat eine interessante Idee - bei Ausgrabungen in Israel findet man ein 2000 Jahre altes Skelett, das einen kleinen Beutel als Grabbeilage hat. Der Beutel enthält die Bedienungsanleitung einer Videocamera, die zur Zeit der Ausgrabung noch gar nicht existiert.

Es wird recht schnell klar, wie brisant dieser Fund ist: das Skelett muß einem Zeitreisenden gehören, der irgendwie aus der näheren Zukunft in die Zeit Jesu geraten ist. Die Bedienungsanleitung der Videocamera läßt darauf schließen, daß diese Kamera irgendwo noch vergraben liegt - und mit ihr die wohl brisantesten Videoaufnahmen der Menschheitsgeschichte: Aufnahmen von Jesus.

Was hier jetzt in der Kürze sehr vielversprechend klingt wird leider sehr schablonenhaft und teilweise sehr unbefriedigend umgesetzt.

Die Hauptcharaktere des Buches sind nichts weiter als platte Abziehbilder:
da gibt es den skrupellosen amerikanischen Multimilliardär, den smarten amerikanischen Jungstudenten, dann natürlich den obligatorischen Handlanger des Industriellen (komplett mit Bürstenhaarschnitt), sowie ein paar böse Inquisitoren des Vatikan. Daneben gibt es noch ein paar Nebencharaktere, die so oberflächlich bleiben, daß sie kein echtes Interesse erwecken: die hübsche Israelin Judith fungiert als Objekt der Begierde für den amerikanischen Studenten und der deutsche Schriftsteller Peter Eisenhardt(!) hat eigentlich gar keine Berechtigung, im Buch mitzuwirken. Eschbach denkt sich zwar einen Grund aus, den Schriftsteller in die Handlung einzubeziehen, doch der erscheint derart unlogisch, daß man dabei das Gefühl hat, eine konstruierte Geschichte zu lesen.

Eschbachs Buch gleicht in gewisser Weise den Werken von Hohlbein. Es gibt ein wenig Mystik bzw. ein paar wenige SF-Elemente, die als Motivation für lange, endlose Verfolgungsjagden dienen. Doch genaugenommen ist "Das Jesus Video" kein SF-Roman. Immerhin wird das Buch auf dem Cover als "Thriller" angepriesen. Für einen SF-Roman hat Eschbach keinerlei SF-Elemente eingebaut.

Es gibt zwar das Element der Zeitreise, doch diese Zeitreise wird weder gezeigt noch erklärt noch ist sie sonstwie von wirklichem Belang für die Story. Die Geschichte beschreibt hauptsächlich die Hatz nach dem Fundort der Videocamera. Eschbach schreibt dabei über große Strecken zwar so, daß es sich gut lesen läßt und man die Auflösung erwartet - aber er schafft es nicht, seine Charaktere glaubhaft zu machen und mit Leben zu füllen. Sie wirken wie Abziehbilder oder Klischees aus schlechten Groschenheftchen. Eschbach versteht es dabei zwar, das Lokalkolorit gut einzufangen und den Eindruck zu hinterlassen, gut recherchiert zu haben - aber das ist nicht genug.

So ist die einzige Motivation, weiterzulesen eigentlich die Auflösung der Geschichte, da man wissen möchte, was nun auf diesem Video zu sehen ist. Doch der Weg dahin ist lang, sehr lang, knapp 650 Seiten hat die Taschenbuchausgabe - was einfach zu viel ist. Eschbach füllt die 650 Seiten hauptsächlich mit der Suche nach dem Fundort der Kamera, was leider nur das Niveau eines durchschnittlichen Actionfilms auf RTL hat. So etwas in Buchform lesen zu müssen, strengt über die Länge des Romans an.

Vor allem gegen Ende des Buches ist man die wiederholte Verfolgungsjagd leid, es ist zu viel und man ist versucht, querzulesen um endlich die Auflösung zu erfahren - was man auch gut tun kann.

Die Auflösung des Buches leider ist eine Enttäuschung. Ohne hier zuviel verraten zu wollen muß gesagt werden, daß das Ende des Buches nicht die knapp 580 Seiten zuvor rechtfertigt. Eschbachs Roman wirkt über weite Strecken (vor allem zum Schluß hin) sehr konstruiert und bemüht zu oft den Zufall.

"Das Jesus Video" bietet meines Erachtens seichte bis nette Unterhaltung für den Sommerurlaub am Strand, wo man aufgrund der Hitze nichts lesen mag, was sonderlich den Geist fordert. Das Buch läßt sich zumeist gut lesen, erst gegen Ende wird es zu langatmig, doch kann man auch getrost querlesen und bis zur Auflösung weiterblättern ohne irgendetwas von Wichtigkeit zu verpassen.

Wer hingegen intelligente SF erwartet oder einfach nur intelligente Unterhaltung, sollte "Das Jesus Video" besser nicht lesen. Wer mit so einer Erwartungshaltung an den Roman geht kann nur enttäuscht werden. Es ist keine SF, nicht einmal Fantasy, es ist ein mittelmäßiger Thriller mit einer Prämisse (Zeitreise) die mehr als enttäuschend im Buch behandelt wird.

Generell muß ich sagen, daß Eschbach die an sich sehr gute (wenn auch nicht sehr neue) Idee nicht ausnutzt und leider zu platt und trivial umsetzt.

Ein großes Fragezeichen bleibt auch beim Titel "Bester Roman des Jahres 1998" bzw. Gewinner des Kurd-Laßwitz-Preises. Die Juroren des Kurd-Laßwitz-Preises müssen sich zum einen fragen lassen, wie man Eschbachs Thriller als SF oder Phantastik-Roman durchgehen lassen kann und zum anderen ob es um die deutsche Literaturszene so schlecht bestellt ist, daß ein allenfalls mittelmäßiger Roman Gewinner des Preises werden kann. Wenn damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß Eschbachs Roman besser als Hohlbeins Werke ist, so kann ich zustimmen - aber "Das Jesus Video" ist auf keinen Fall ein gelungener SF-Roman. Der Kurd-Laßwitz-Preis verliert damit an Bedeutung als Richtungsweiser für gute Phantastik.

[geschrieben von Thomas]

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