"Warten"

von Ha Jin

München: dtv, 2000.

Dieses Buch trägt seinen Titel zu recht. Es wartet der Leser, die Leserin - bis sich auf den letzten Seiten in einer gelungenen Wendung der Charakter der Hauptfigur enthüllt. Ha Jin greift das literarische Vorbild seiner Zeit auf: Brav nach Vorbild des sowjetischen Realismus umreißt der erste Satz seiner Erzählung die gesamte Geschichte. "Jeden Sommer kehrte Lin Kong nach Gansdorf zurück, um sich von seiner Frau scheiden zu lassen." Auf der Ochsentour zum Erfolg erfährt man allerdings nur wenig Neues über die Höhen und Tiefen Kulturrevolution, statt dessen lassen klischeehafte Milieu- und Naturbeschreibungen die Spannung mehrfach ins Gras beißen. Hätte die Geliebte Manna Wu, um derentwillen der Aufwand betrieben wird, zumindest etwas mehr Witz, dann würde sie sagen: "Liebling, du kürzt das Buch sofort um die Hälfte, sonst ist Schluß mit uns!" Warum Waiting den "National Book Award 1999" bekommen hat, bleibt deshalb ein Rätsel mit zwei Lösungen: Entweder wurde nach Stilfibel geurteilt, oder aber die Entscheidung war eine politische.

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

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