Simulacron Drei / The 13th Floor

von Daniel F. Galouye.

Simulacron DreiZu den wenigen Filmen von Rainer Werner Fassbinder, die mich wirklich faszinierten, gehörte der Fernsehzweiteiler "Welt am Draht". Die Geschichte um eine simulierte Realität beunruhigte mich als Kind damals ungemein. Als ich dann Jahre später herausfand, daß Fassbinder eine literarische Vorlage verfilmt hatte, mußte ich natürlich das Buch irgendwie in die Finger bekommen. Was leider nicht möglich war. Ich konnte das Buch nirgends auftreiben. Das änderte sich erst Anfang der 90er Jahre, als der Heyne Verlag und der selige Lektor der SF Abteilung dort, Wolfgang Jeschke, die Bibliothek der Science Fiction Literatur ins Leben rief und den Roman "Simulacron Drei" von Daniel F. Galouye aus dem Jahr 1964 dort aufnahm.

The 13th FloorMittlerweile gibt es diese Ausgabe zwar auch nicht mehr, aber als dann der gleiche Stoff nochmal vor einigen Jahren in Hollywood als "The 13th Floor" verfilmt wurde, war der Roman als Buch zum Film mit dem jetzt neuen Titel "The 13th Floor" wieder erhältlich.
Aber genug von den Filmen (Fassbinder hielt sich trotz einiger Adaptionen übrigens deutlich näher am Buch als die amerikanische Produktion, aber beide Filme sind auf ihrem Gebiet durchaus gelungen): Douglas Hall ist Mitarbeiter der TEAG, der Test AG des Horace P. Siskins. Hall hat zusammen mit seinem Mentor Hannon Fuller eine simulierte Großstadt im Computer erschaffen. Mit Hilfe der Simulation will man die recht nervigen und allgegenwärtigen Meinungsumfragen überflüssig machen, indem man Produkt- und Meinungsforschung ganz einfach in der Simulation betreibt, in der zigtausende simulierter Menschen leben, die von ihrem Schicksal keinerlei Ahnung haben.

Fuller jedoch ist vor kurzem unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen und als auf einer Party von Horace Siskins plötzlich der Sicherheitschef der TEAG verschwindet, ehe er Hall gegenüber seine Andeutungen zum Tode Fullers näher ausführen kann, dämmert Hall, daß es mit der Sache vielleicht mehr auf sich hat. Hat Horace P. Siskins Fuller aus dem Weg räumen lassen, weil der sich dagegen sperrte, den Simulator für Siskins eigene politischen Interessen zu mißbrauchen? Und welche Rolle spielt Fullers Tochter Jinx, die urplötzlich auftaucht und Halls Sinne verwirrt? Douglas Halls Welt zersplittert endgültig, als sich plötzlich einige Fehler in der Realität zeigen. Ihm kommt die Idee, daß seine eigene Welt auch nur eine Simulation sein könnte. Er will die Wahrheit herausfinden. Und riskiert dabei den Fortbestand der gesamten Welt…

Keine Frage: wer die Geschichte liest, wird schnell herausfinden, was es auf sich hat, lange nach Fassbinder haben die Wachowskibrüder mit "The Matrix" das Thema simulierte Realität in aller technischer Finesse ausgeschlachtet. Galouyes Roman bildet, zusammen mit Philip K. Dicks "Zeit aus den Fugen" sozusagen die literarische Blaupause für alle möglichen Filme und Geschichten über simulierte Realitäten.

Im Gegensatz zu Dick wählt Galouye jedoch ein futuristisches Setting und treibt das ganze Thema noch auf die Spitze. Während man sich bei Dick irgendwann in der Realität angekommen fühlt, hält Galouyes "Simulacron Drei" einige Spitzfindigkeiten und Überraschungen parat, die schon mit dem Titel beginnen. Ein unheimliches Gefühl kommt dabei zwangsläufig auf. Wie können wir überhaupt bestimmen, ob wir in einer Simulation leben oder nicht? Folgt man der These des Philosophen Nick Bostrom ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir in einer Simulation leben, entweder beinahe null oder fast einhundert Prozent. Er argumentiert wie folgt:

1. Jede Zivilisation stirbt aus, ehe sie technisch in der Lage ist, Simulationen zu erzeugen
2. Zivilisationen, die Simulationen erzeugen können, haben kein Interesse mehr daran
3. Wir leben in einer Simulation

Nach Bostrom ist die Wahrscheinlichkeit, daß unsere Welt real ist, nur dann sehr hoch, wenn Punkt 1 oder Punkt 2 zutrifft. Sollte dies nicht der Fall sein (einige Zivilisationen überleben und haben Interesse an simulierten Realitäten), so folgert Bostrom, wird die Anzahl der simulierten Welten sehr rasch die der realen Welten übertreffen, so daß die Wahrscheinlichkeit, daß man selbst in einer Simulation sich befindet, rasch gegen hundert Prozent geht, womit dann Punkt 3 erfüllt ist.

Aber zurück zum Buch: Galouyes Roman ist ein früher Vorläufer und wohl auch Pionier der Cyberspaceliteratur, ehe dieser Begriff überhaupt erfunden wurde. Natürlich wirken die technischen Gegebenheiten im Roman heute etwas altbacken, aber die Wirkung der verstörenden Idee wird dadurch nicht geschmälert und verliert nicht ihre Glaubwürdigkeit.

Der aus der Ich-Perspektive erzählte Roman ist von vorne bis hinten spannend, wohl noch viel spannender, wenn man Matrix und Co. nicht kennt, aber selbst Matrixafficionados werden bei Galouye ihren Spaß haben, zumal wenn man sehen kann, wo denn die Wachowskis überall ungeniert geklaut haben und wie grandios sie die an sich gute Idee - im Gegensatz zu den Autoren, bei denen sie sich bedient haben - mit den Filmen 2 und 3 in den Sand gesetzt haben. Galouyes Stärke ist dabei nicht unbedingt auf literarischem Gebiet zu suchen, andere Autoren schreiben deutlich besser gewiß, "Simulacron Drei" ist trotzdem eines der besten und verstörendsten SF-Bücher, weil die Idee darin unsere eigenen Grundfeste erschüttert und hinterfragt. Wie real ist man selbst, wenn Erinnerungen aus dem Nichts erschaffen und eingepflanzt werden können? Wie real ist man, wenn die Welt ringsherum nur aus elektrischen Impulsen im Computer besteht? Was 1964 noch visionär war, gewinnt zunehmend an Realität. Vielleicht denkt der eine oder andere nach der Lektüre des Buches ja anders über "Die Sims" nach, wenn er sie wie elektronische Marionetten nach seiner Pfeife tanzen läßt…

Das Buch ist momentan noch als "The 13th Floor" von Kiepenheuer und Witsch erhältlich, was aber nicht mehr allzu lange der Fall sein dürfte.

[geschrieben von Thomas]

 

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