Die Zeit lief ab und sie träumte von Bonnie und Clyde

von Andreas Schmitt

Die Zeit lief ab und sie träumte von Bonnie und Clyde Auszug aus Die Zeit lief ab und sie träumte von Bonnie & Clyde. Gedichte von Andreas Schmitt. Copyright © 2002.

Ein Erwachen

Manche von euch brauchen einen Terroranschlag
à la 11. September
als das World Trade Center in Schutt und Asche fiel.

Andere wiederum wurden für einen Moment wach,
als sich Hemingway '61 seinen leeren Schädel in Ketchum
wegschoss
oder ein wahnsinniger Kommunist Kennedy '63 umlegte
oder `80, als es John Lennon in New York erwischte.

In solchen Momenten reißt ihr die Augen auf.
In solchen Momenten haltet ihr euch die Hand vor den
Mund.
In solchen Momenten brennen eure Seelen, rasen eure
Herzen
und ihr fangt an zu heulen,
bis der stupide Alltag euch wieder hat,
mit euren ach so wichtigen Problemen.

Ich brauche das alles nicht!


Gänsehaut

Du sitzt auf deinem Fußboden,
die Lampe scheint bieder über dich hinweg,
und sortierst die alten Platten.
Hendrix schreit dir direkt vom Cover ins Gesicht,
Cobain wälzt sich rücklings auf einem Podium,
die Füße gen Himmel gestreckt
und der gute alte Lennon klimpert ein letztes Mal
für diese Nacht sein Imagine in die Dunkelheit.

Aber du bist nur noch innerlich ein kleiner Rebell.
Schlurfst zum Kühlschrank, das verdammte Licht
rammt dir Schlitzaugen ins Gesicht. Und alles was dir bleibt
ist ein Beutel der fettarmen und ultrahocherhitzten Milch,
die du in kleinen Zügen langsam in dich hineinkippst.

Diese Gänsehaut, wie damals, sie kommt nicht mehr.

Damals in den Diskos, als du dein Girl anschreien musstest
um dich mit ihm zu verständigen …
Zu Hause habt ihr dann die Anlage aufgedreht,
die ganze verdammt Nacht lang, und eure Körper zitterten
im Bass der Boxen.

Heute ist dir fast nichts mehr geblieben, von damals,
sie haben dich mächtig an den Arsch gekriegt.
Diese verfluchten arbeitsgeilen Motherfucker.


Rezensionen:

literature.de, 17. Oktober 2002
Schwarz auf weiß liegen sie vor dir, die Wahrheiten. Aufs Papier gebannt und mit einer direkten Ansprache, die den Leser in den Bann zieht. Schmitts Lyrikband Die Zeit lief ab und sie träumte von Bonnie & Clyde bietet auf seinen 91 Seiten mehr als 50 Gedichte, die die Stimmung in klare, deutliche Worte fassen. Es hilft kein Verstecken oder verdrängen. Andreas Schmitt bringt die Inhalte mit seinen Formulierungen auf den Punkt. Flüssiger Aufbau und die melodische Sprache machen selbst inhaltlich schwierige Texte zu einem Lesespaß. Vor dem inneren Auge enstehen die Bilder, die der Autor entwirft. Klar, deutlich und ohne zu vertuschen: Klarheit, die man selten findet.

Raimund Samson, Hamburg, 06.11.2002
Der Autor ist ein Erzähler, der das Alltägliche, Unspektakuläre, Gewöhnliche liebt - zumindest zum Anlaß nimmt, um daraus klug und treffsicher pointierten Poeme zu verfassen. Aus jedem Tag, jedem Erlebnis, jedem Ding lassen sich Erfahrungen anreichern, Abenteuer - INSPIRATION. Diesen großen akademischen Begriff verwendet A. Schmitt nicht, der Rezensent erlaubt`s sich aber. Mit einer lockeren, selten heftig werdenden Schreibe erinnert sich der Autor an "Kindstage", an seinen Vater, an diverse Jobs, an seine Ex-Frau, an gewisse Situationen. Ich mag Gedichte wie "Daydreamer", "Der Priester" oder "Bedeutungslose Momente" ("... und unten auf den Straßen / die fremden Menschen mit ihren ausdruckslosen Gesichtern / die ich beobachtete und in der gleichen Sekunde wieder / vergessen hatte // und doch sammelten sich diese Blicke / zu einer Erinnerung, / die sich wie ein Stück Glut / in meinen Körper hineinbrannte"). Ich meine, daß bei S. aus manchem Nichts und Unscheinbarkeit Schönes, Heiteres aufscheint. Auch wenn "Father Death" präsent ist. Lest selber!

Robert Mayer-Scholz, Germering b. München, 01.12.02
Gedichte sind überholt. Gedichte kann man nicht verstehen. Gedichte sind überflüssig... Falsch! Zumindest wenn man die Gedichte von Andreas Schmitt`s "Die Zeit lief ab und sie träumte von Bonnie & Clyde" liest. Alleine schon deshalb, weil Andreas Schmitt`s Gedichte eigentlich keine Gedichte sind. Es sind Geschichten. Es sind Gedichte, die Geschichten werden, weil man sie vor sich SIEHT. Weil sie einem nicht fremd sind, sondern schildern, was WIR erleben und oftmals nicht sehen wollen. Dabei ist Andreas Schmitt gnadenlos ehrlich. Verschönt nicht. Und doch fühlt man sich nicht befremdet - wie bei manch anderen Autoren, die nach Bukowski`schem Vorbild schreiben wollen und doch nur billig sind. Gerade weil Andreas Schmitt vom Alltag erzählt, bekommt man das Gefühl, dass man nicht alleine mit dem Leben ist. Unbedingt lesenswert.

Thomas Stemmer, Nürnberg
Schmitt weiß Gedichte einzustreuen, die ermuntern und erfrischen, wie z.B. gleich auf S.12 das Poem `Good old Germany`, indem uns Dürer, Winckelmann, Hesse, Mörike, Wagner, Benn oder die Holbeinbrüder begegnen. Solche Begegnungen heben das Buch über das bei anderen Dichtern leider oft verbreitete "Mich kotzt alles an"-Gefühl hinaus! Er versteht es, das Abgründige im Leben, das so manchen aus der Bahn wirft, gut auszuwiegen mit einem Funken Vertrauen auf das eigene Glück, daß man es "letztendlich" schaffen wird. Das hinterläßt einen guten Geschmack bei der Lektüre! Was mir jedoch am meisten an Schmitts Gedichtband gefällt, ist der starke erzählende Moment. Am hinteren Endes des Buchdeckels angekommen verbleibt der Eindruck einer stetig fortlaufenden Erzählung, ganz so, als handele es sich nicht um einzelne Gedichte, sondern um ein Stück aus einem Guß. Eine kompakte Stimmung wie ein indischer Raga. Man kan einen sehr guten Einblick in eine Gestimmtheit bekommen, jenseits der Worte. Und ist das nicht Literatur? Mittels der Worte hinter die Worte zu kommen? Ich vermute es doch sehr.

Jochen König, Hrsg. Das Dosierte Leben, Ausgabe 30, 2002
In Rezensionen sollte das Wort "Ich" gering dosiert bleiben. Denn wen juckt es, dass ich diesen Büchlein am Samstag Abend bei einer gepflegten Flasche "Welde No.1", jenem guten Bier in Designflaschen aus Schwetzingen, goutiere? Der Werbeslogan von Welde lautet "Aus Lust und Laune". Und dies scheint mir den Charakter dieses Werkes doch gut wieder zu geben. Bei einem Maler sagt man, er habe sein Bild in "flottem Strich" hingezaubert. Dies gilt auch für dieses Dosis von 91 Seiten. Ein lässiger, spontaner Schreibstil, der Bilder im Kopf des Lesers hinterlässt. So schreibt Schmitt auch auf Seite 69, gefragt nach seiner Kreativität: "Ich denke mir überhaupt nichts dabei. "Es kommt einfach so auss´m Ärmel heraus." Schmitt handelt die Bandbreite des Lebens ab, es überwiegen - wie im richtigen Leben - die angeschlagenen, oft kaputten Existenzen: Versoffener Vater, 230 Pfund-Blind-Dates, ignorante Schachspieler, vergessliche Künstler und gebrochene alte Männer. Und die tägliche Dosis Gelace N. Ein Tribut an die Dose (bzw. zwei für 1,65 DM) erfreut speziell uns. Tränen schießen in die Augen, liest man, wie der Opa ein liebevoll gemaltes Bild dem Brennholz hinzugefügt hat. Werbeslogan: "Gute-Nacht-Geschichten für Schlaflose".


Kurzvita
Andreas Schmitt, 1970 bei Mainz geboren. Lebt nach Aufenthalten in Moskau und Bremen zur Zeit in München.
Unzählige Veröffentlichungen von Gedichten und Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften im In- und Ausland und Anthologien. 2002 Aufnahme in das Deutsche Schriftstellerlexikon und Publikation des ersten Gedichtbands im Mohland-Verlag


Bei Storyline vom Autor erschienen: Mordversuch in einer Nachtschicht, Mit Vivaldi in der U-Bahn und Die Musterung.

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